Mit fünf Abenden stellt das Collegium generale an der Universität Bern mit der Veranstaltungsreihe «Nachdenken über Nahost» historische, völkerrechtliche und ethnografische Aspekte zur Diskussion.
Die Veranstalterinnen des Collegium generale nehmen es gleich vorweg: «Fünf Abende können nicht ausreichen, um der Situation in Israel und Palästina gerecht zu werden», heisst es in der Einladung. Laut Professorin Katharina Heyden gilt es jedoch, an der Universität Bern «Raum zu schaffen für das fundierte Nachdenken und den Dialog seit dem Massaker am 7. Oktober und dem darauffolgenden vernichtenden Krieg».
Den Auftakt machten am 23. Oktober der Islamwissenschaftler Florian Zemmin von der Freien Universität Bern und Sarah El Bulbeisi von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Mit einer kritischen Einordnung der aktuellen Konfliktlinien und ihrer Geschichte wagte er einen Blick auf die Zukunft, sie zeigte anhand von Beispielen aus Deutschland und der Schweiz, wie Palästinenserinnen und Palästinenser mit Tabu, Trauma und Identität umgehen. Im November werden verschiedene Perspektiven des Völkerrechts und die Definitionen von Zionismus und Postkolonialismus beleuchtet. Auch die Archäologie als Mittel zur Aneignung oder zum Ausschluss von Kulturerbe wird Thema sein.
Bauten als Spiegel der Geschichte
Letzten Montag bestritten Architekturhistorikerin Regine Hess von der Technischen Universität München und Soziologe Bashir Bashir von der Open University of Israel in Raanana den Abend mit zwei in Thema und Tonlage sehr unterschiedlich gelagerten Referaten.
In ihrem Referat «Umstrittene Geschichte: Architektur in Palästina und Israel» ging Hess auf die Architektur als Ausdruck historischer Denkweisen und Machtstrukturen ein: «Die Architektur ist nicht zu trennen von der Konfliktgeschichte.» Jüdische Siedlungen, von den frühen Kibbuzim bis zu neuen Siedlungen nach 1967 auf der Westbank, seien jeweils auch baulich für militärischen Selbstschutz eingerichtet. Die Architektur in den Dörfern, die nach der Nakba 1948 arabisch bewohnt blieben, werde heute mit «Summud housing» bezeichnet, Wohnungsbau des Widerstands. Staatliche Siedlungsplanung gehöre angesichts raschen Wachstums und illegaler Bauten eher zur Ausnahme.
Plädoyer für Perspektivwechsel
Einen soziologischen Ansatz bot Soziologieprofessor Bashir Bashir. Mit «Rethinking the Politics of Israel/Palestine: In Defense of Egalitarian Bi-nationalism» schlug er eine Zweistaatenlösung mit zwei gleich starken Nationalismen vor. Dies sei heute nicht so. «Setzen Sie die Brille von Siedlerkolonialismus und Apartheid auf!», forderte er das Publikum trotz Mikrofon mit lauter Stimme auf. Dieser Siedlerkolonialismus sei hasserfüllt und schädlich. Die Einstellung, Juden seien eine «überlegene Rasse», führe zu Rassentrennung. Heute bestünden zwar ein israelischer und ein palästinensischer Nationalismus, aber «im Verhältnis von Besitzer und Sklave». Erst ein egalitärer Binationalismus könne dazu führen, dass Palästinenser die Existenz von Israel anerkennen. «Erst dann kann Israel sicher in seinen Grenzen leben!», rief er weiter laut in den Saal. «Die Hamas muss ein Teil der Lösung sein!»
Für seine Proklamationen erhielt Bashir Bashir längeren Applaus. In der abschliessenden Diskussion wies Regine Hess darauf hin, dass auch an ihrer Universität Begriffe wie «Apartheid», «Genozid» und «Siedlerkolonie» den Diskurs dominieren. Doch machte sie mit ruhiger Stimme klar: «Ich teile diese Ansichten nicht.»
Vortragsreihe «Nachdenken über Nahost». Universität Bern, Hauptgebäude, Hochschulstrasse 4, Bern. 3. November: «Völkerrechtliche Verantwortlichkeit für Unrecht in Israel und Palästina. Eine Auslegeordnung». 10. November: «Zionismus, Kolonialismus und Postkolonialismus». 17. November: «Archäologie für alle? Aneignung und Ausschluss vom Kulturerbe Israels/Palästinas». Jeweils 18.30 Uhr.
 
   
       
       
       
 
 
 
 
 
