dialog 07. Nov 2025

Der christlich-jüdische Dialog lebt

Rabbi Abraham Joshua Heschel (l.), welcher im Auftrag des American Jewish Committee eine zentrale Rolle bei der Ausarbeitung der «Nostra aetate»-Erklärung spielte, betrachtet gemeinsam mit Kardinal…

Mit der Erklärung «Nostra aetate» überwand die katholische Kirche die Substitutionslehre und schaffte eine neue Grundlage für jüdisch-christliche Beziehungen – 60 Jahre später geht der Dialog weiter.

Am 13. Juni 1960 hat Papst Johannes XXIII. den jüdischen Historiker Jules Isaac zur Audienz empfangen. Isaak überzeugte den Papst, endlich etwas gegen die «Lehre der Verachtung» gegenüber Juden zu unternehmen. Dieser gab Kardinal Augustin Bea den Auftrag, für das geplante Konzil ein Dekret «Über die Juden» zu erarbeiten. In einem dramatischen Prozess – einige witterten jüdische Weltverschwörung und warfen dem Konzil vor, unterwandert zu sein, andere wollten am Begriff der Juden als «Gottesmörder» festhalten, wieder andere sahen eine «Israel-Lobby» am Werk – entstand während der Konzilsjahre 1962 bis 1965 die Erklärung «Nostra aetate. Die Haltung der Kirche gegenüber den nicht-christlichen Religionen». Sie wurde am 28. Oktober 1965 mit 2221 Ja- zu 88 Nein-Stimmen mit überwältigender Mehrheit verabschiedet.

Die Überwindung der Substitutionslehre
Damit war die Grundlage für eine neue Beziehung zum Judentum geschaffen: Nicht mehr die Passionsberichte der Evangelien standen im Zentrum, sondern die Theologie des Paulus, der seither als messianischer Jude seiner Zeit rehabilitiert ist. Die Substitutionslehre, dass die Kirche an der Stelle des jüdischen Volkes in der Heilsgeschichte stehe, wurde überwunden. Davon zeugt die «Karfreitagsfürbitte für die Juden», in der es seither heisst: «Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will.»

In den 1970er Jahren gaben sich zahlreiche Bischofskonferenzen neue Dokumente zum Judentum, und auf vatikanischer Ebene etablierten sich Dialoggremien. Die «Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum» wird heute vom Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch geleitet. Der Dialogprozess musste sich vielen Herausforderungen stellen, darf aber als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden. Dies ist vor allem das Verdienst von Johannes Paul II. Er hat die jüdisch-christliche Beziehung zur Chefsache gemacht.

Als Pole in der Nähe von Auschwitz aufgewachsen, nahm er sich persönlich der Auseinandersetzung um Auschwitz als Gedenkort an. Dazu gehörte letztlich die Räumung des Karmelitenklosters auf dem Gelände, aber auch die umstrittene Selig- und Heiligsprechung von Edith Stein. 1993 nahm der Vatikan mit Israel volle diplomatische Beziehungen auf und auf das Millennium hin veröffentlichte der Papst «Wir erinnern. Reflexionen über die Schoah». So gross das Ringen in diesen Prozessen war, letztlich war sein Besuch an der Klagemauer und in Yad Vashem ein Durchbruch. Eine wachsende Anzahl auch orthodoxer Rabbiner sucht seither den Dialog mit der Kirche.

Die komplexe Beziehung bleibt
Die Kirche musste sich aber fragen, was an die Stelle der Substitutionslehre treten soll. Wie ist das Verhältnis zum Judentum positiv zu bestimmen? Auch hier war Johannes Paul II. mit seiner Rede vom «ungekündigten Bund» wegweisend. Sie hat Aufnahme in den römischen Katechismus gefunden. Für die Kirche stellte sich aber die Frage, wie dieser altehrwürdige Bund mit dem «neuen Bund», in dem sich die Kirche sieht, zusammengeht. Vor zehn Jahren, zu 50 Jahren «Nostra aetate», hat die Kommission von Kardinal Koch dazu ein umfangreiches Dokument veröffentlicht. Darin wird Judenmission abgelehnt, auch wenn am christlichen Wahrheitsanspruch nicht gerüttelt wird. Annäherung und Abgrenzung sowie eine komplexe Beziehung zwischen beiden Glaubenstraditionen werden beschrieben.

In der Schweiz führt die Jüdisch/Römisch-katholische Gesprächskommission (JRGK) den Dialog für die Bischofskonferenz und den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund. Mit friedlichen Mitteln um theologische Fragen ringen, jeder Gewalt abschwören und Antisemitismus bekämpfen gehört dazu. Wenn sich Juden wie Katholiken getrennt und gemeinsam in den Dienst einer humaneren und gerechteren Welt stellen, ist viel gewonnen.

Am 23. November lädt der JRGK zu der Veranstaltung «60 Jahre Nostra aetate: Der jüdisch-katholische Dialog in herausfordernden Zeiten» ein. Die Veranstaltung umfasst Kurzbeiträge, ein Podiumsgespräch sowie Psalmrezitationen und geht Fragen nach, wie sich der jüdisch-katholische Dialog angesichts des Israel-Gaza-Konflikts und des neuen Antisemitismus seit dem 7. Oktober gestaltet. Zugleich wird erörtert, wie aus der Bibel Orientierung und Inspiration geschöpft werden können.

60 Jahre Nostra aetate: Der jüdisch-katholische Dialog in herausfordernden Zeiten, 23. November, 16 bis 18 Uhr, Paulus-Akademie Zürich, Pfingstweidstrasse 28. Anmeldung unter https://www.unilu.ch/agenda/.

Christian M. Rutishauser