bern 25. Jul 2025

Debatte um die Debatte

Die Intervention von Berns Rabbiner Jehoschua Ahrens spaltet die Geister.

In der Jüdischen Gemeinde Bern tobt seit Wochen eine Auseinandersetzung um den Umgang der Gemeinde mit israelbezogenen Debatten – eine kommentierte Einordnung.

Die Drohung gegen den Rabbiner kam anonym, angeblich aus dem Inneren der Gemeinde und wegen dessen Haltung zu Israel. Berns Rabbiner Jehoschua Ahrens hatte sich seit dem 7. Oktober 2023 wiederholt öffentlich exponiert, zuletzt mit einem offenen Brief an SP-Co-Präsident Cédric Wermuth anlässlich der Gaza-Demo in Bern vom 21. Juni. Der Vorstand der Jüdischen Gemeinde Bern distanzierte sich damals mit dem Argument, man äussere sich nicht zu Israel; der Schweizerischer Israelitische Gemeindebund (SIG) massregelte Ahrens’ Ton der Kritik an Wermuth.

Diese vorgeführte Uneinigkeit war bald Stadtgespräch. Nach der Lokalpresse wurde sie wenige Tage später in der Stadtratsdebatte belächelt, als die Antisemitismusbekämpfung in der Berner Kulturpolitik traktandiert war. Diese Uneinigkeit in den jüdischen Reihen gipfelte nun vor gut einer Woche in einer anonymen Drohung aus dem Innern.

Desolates Bild
Nicht nur in Bern, sondern auch in anderen Schweizer Städten: Uneinigkeit und Spaltung in den jüdischen Gemeinden, wenn es um die Haltung zum Krieg in Israel und Gaza geht. Schulterzucken und Passivität, wenn jüdische Kinder in Schweizer Schulen «wegen Gaza» gemobbt werden und jüdische Kultur in Schweizer Städten «wegen Israel» plötzlich «zionistisch» konnotiert ist und nicht mehr im öffentlichen Raum stattfinden kann. Aktiv vor Ort werden zwar betroffene Einzelpersonen und Gruppen, Eltern, Kulturschaffende, einzelne Politikerinnen und Politiker, die sich stark im Kampf gegen diesen israelbezogenen Antisemitismus exponieren, doch die «traditionellen» Beobachter wie SIG und GRA sind längst an ihre Grenzen gestossen. Und die Gemeinden bleiben still. Wie in Bern.

Nur: Es geht längst nicht mehr um Israel. Es geht um uns. Hier. In der Schweiz. In Europa.

Was hier zählt, ist nur in zweiter Linie, was in Israel und Gaza wirklich geschieht. Was hier zählt, ist, was unsere Medien unseren nicht jüdischen Nachbarn und Mitschülerinnen dazu verbreiten, was unsere Politikerinnen, Lehrer und Kunstschaffenden dazu erzählen, und wer hier mit welchen Mitteln ungehindert propalästinensische Gewaltpropaganda streuen kann, besonders an Universitäten. Was hier zählt, sind die Bilder, die in der Schweizer Öffentlichkeit über «Israel» entstehen und damit auch das Image der «Juden» prägen, ob uns das nun gefällt oder nicht.

Über die Politik in Israel kann man sich weiterhin uneinig sein. Es ist schliesslich nicht Sache der jüdischen Gemeinden, die israelische Politik zu kommentieren oder gar zu verteidigen. Sehr einig hingegen sollten sich die jüdischen Gemeinden und der SIG in der Bekämpfung des israelbezogenen Judenhasses werden, der jenseits berechtigter Kritik längst Realität geworden ist, besonders in Schweizer Universitätsstädten. Bisher haben die Chatgruppen des nach dem 7. Oktober gegründeten Netzwerks Never Again Is Now wiederholt Aktivitäten durchgeführt oder bei Parteien und Organisationen interveniert. Dies ist ein wichtiger Anfang. Um gegen den Antisemitismus einen erfolgreichen Schutzwall zu bauen, braucht es dazu jedoch auch die jüdischen Gemeinden und den SIG. Alle an ihrem Ort.

Aufgabe von allen
Der Antisemitismus ist theoretisch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. In rotgrün regierten Schweizer Universitätsstädten wie Bern ist das leider Utopie: Antisemitismus geschieht, existiert aber nicht in den Köpfen. Die Stadtberner Fachstelle gegen Rassismus etwa erfuhr erst nach dem 7. Oktober von der Existenz des Antisemitismus, israelbezogenem dazu, und ist bis heute dazu komplett konzeptfrei.

Also werden es jüdische Einrichtungen wie die Gemeinden und der SIG mehr anpacken müssen, gemeinsam mit jüdischen und nicht jüdischen Netzwerken einen Schutzwall der Anti-Antisemiten aufzubauen. Vor allem in Bern, Zürich, Basel, Lausanne und Genf. Damit würden sie nicht nur mutigen Personen wie dem Berner Rabbiner den Rücken stärken, sondern mit einem starken lokalen Auftritt bei Stadt und Kanton, an den Schulen, in der Politik und in der Kulturszene Präsenz und Stärke markieren: Nicht so bei uns. Nicht so mit uns. Berns jüdische Gemeinschaft ist Teil dieser Stadt. Mit und ohne Israel.

Hannah Einhaus