In der Romandie wird wegen weit verbreiteter antisemitischer Aktionen in der Westschweiz Alarm geschlagen – betroffen sind Schulen, Sport und Kultur.
Es kommt zu einer «beunruhigenden Freisetzung antisemitischer Äusserungen im öffentlichen, kulturellen, pädagogischen und digitalen Raum». So beschreibt es die «Coordination intercommunautaire contre l’antisemitisme et la diffamation» (CICAD) in ihrer letzten Pressemitteilung, in der sie neue Straftaten auflistet, die sich gerade in besorgniserregender Weise in der Romandie häufen. Es ist alltäglich, man zögert fast, es banal zu nennen, da diese Taten in einer immer weiter verbreiteten Gleichgültigkeit fortgesetzt werden. Und genau das ist es, was am meisten beunruhigt.
Morddrohung in Genf
In Genf am Bahnhof Cornavin wurde am 21. Juni, zum Beispiel, eine im siebten Monat schwangere Frau von einem Unbekannten mit dem Tod bedroht, er folgte ihr und gab dabei wahnhafte, mit antisemitischen Anschuldigungen vermischte Äusserungen von sich. Während sie einen unter ihrer Kleidung versteckten Davidstern trug, verdächtigte der Angreifer sie, über ihre Herkunft zu lügen: «Du bist Jüdin, ich weiss es.» Mehrmals behauptete er, mit einem Messer bewaffnet zu sein, was die Angst der Frau und die unmittelbare Gefahr der Situation noch verstärkte. Die fehlende Reaktion der Öffentlichkeit trug dazu bei, ein tiefes Trauma bei der Betroffenen zu verstärken, stellte die CICAD fest.
Vorfälle an Schulen und im Sport
Vor den Sommerferien häuften sich in Schulen in der gesamten Westschweiz in Biel, Freiburg, Lausanne und Genf alarmierende Fälle von Antisemitismus in Schulen, wie etwa das Zeigen von Hitlergrüssen oder «Heil Hitler!»-Rufe.
Auch die Welt des Sports bleibt nicht verschont. Am 21. Juni machte ein Spieler des TC Bulle bei einem Interclub-Spiel in Winterthur äusserst schwerwiegende rassistische und antisemitische Äusserungen. Er sagte unter anderem: «Die Deutschschweizer sind eine dreckige Rasse, wie die Juden». Anschliessend bedrohten er und sein Trainer einen Zuschauer körperlich. Die Tatsache, dass die Schiedsrichter keine Sanktionen verhängten, obwohl sie die Gefahr der Situation erkannten, wirft ernste Fragen über die implizite Toleranz von hasserfüllten Verhaltensweisen im Amateursport auf.
Ein verbotenes Filmfestival
Auch die Kulturszene ist betroffen. Das Bio-Kino in Carouge verweigerte jüngst die Zusammenarbeit mit dem internationalen jüdischen Filmfestival in Genf mit der Begründung, dass die blosse Vorführung von Filmen, die mit der jüdischen Kultur in Verbindung stehen, im aktuellen Kontext als «politischer Akt» wahrgenommen würde. Der Leiter des Kinos behauptete, dass «das Verhalten der israelischen Führung einen schwarzen Schleier über alle Tugenden der jüdischen Kultur wirft». Eine jüdische Kulturveranstaltung mit politischer Unterstützung gleichzusetzen, sei eine inakzeptable Form der Stigmatisierung, die gegen die eigentlichen Grundsätze des kulturellen Pluralismus verstosse, so die CICAD.
Als Gast beim Pariser «Radio J» betont Johanne Gurfinkiel, Generalsekretär von CICAD, dass diese Auffassung darauf hinweist, «dass ein jüdischer Schweizer Bürger nicht mehr denselben Platz in der Gesellschaft geniesst wie einer seiner Landsleute. (…) Wir leben in einer Phase, in der Zionismus bekämpft wird, mit der Möglichkeit, Juden auszurotten.»
Ein Propagandamedium
In dieser Geisteshaltung ist die Plattform Renversé, die mit der extremen Linken in Genf verbunden ist, zu einem Propagandasprachrohr geworden, das Terrorismus verherrlicht. Im Juni veröffentlichte sie einen Text, in dem der Schütze des Attentats, bei dem zwei Mitarbeiter der israelischen Botschaft in den USA getötet wurden, als «Held» bezeichnet wurde. Andere Publikationen verbreiten Reden, in denen zu Gewalt aufgerufen wird.
Diese wiederholten Vorfälle zeigen, dass Antisemitismus nicht mehr auf die Peripherie der Gesellschaft oder den virtuellen Raum beschränkt ist. Er äussert sich auf der Strasse, in Schulen, in kulturellen Einrichtungen und sogar auf Sportplätzen, ohne dass die Behörden entschieden genug reagierten. CICAD warnt davor, dass die Normalisierung solcher Äusserungen das soziale Gefüge zutiefst schwächt. «Die bedeutende Frage gilt der Reaktion der Behörden. Diese ist praktisch nicht vorhanden. Die Situation ist alarmierend, weil unter dem Vorwand des Konflikts in Gaza Juden nun in zwei Kategorien gespalten werden: diejenigen, die eine sehr entschiedene und kritische Meinung zur israelischen Politik haben, und diejenigen, die nicht auf diese Beschimpfungen und Vorstellungen reagieren wollen und dann zu Quasi-Parias werden», stellt Gurfinkiel bei «Radio J», fest.
Auch wenn in einigen Fällen bereits Anzeigen und Beschwerden eingeleitet wurden, fordert CICAD eine klare Stellungnahme der kantonalen und eidgenössischen Behörden, ernsthafte Untersuchungen der dokumentierten Fälle, insbesondere in schulischen und kulturellen Einrichtungen, eine strikte Anwendung der Gesetze gegen Hassreden und eine bessere Ausbildung der Ordnungskräfte und des Bildungspersonals angesichts des sich derzeit ausbreitenden Antisemitismus.