Einen Tag nach der Publikation des Antisemitismusberichts des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, hat die CICAD ihren Bericht herausgebracht – mit anderer Methodik und anderen Resultaten.
Dem Antisemitismus geht es nie so gut wie in Krisenzeiten. Der CICAD-Bericht 2022 erinnert leider an diese traurige Realität. Nach der Pandemie haben der Krieg in der Ukraine und, in geringerem Masse, die französischen Präsidentschaftswahlen die schlimmsten Wahnvorstellungen diesbezüglich geschürt. Allein in der Westschweiz zählte die CICAD im Jahr 2022, 562 antisemitische Handlungen. Diese Explosion ist einerseits auf die Erweiterung der beobachteten Quellen zurückzuführen, da Covid-19 beobachtet hat, wie Verschwörungstheoretiker von «Mainstream»-Netzwerken wie Facebook, Instagram und Twitter zu alternativen Plattformen wie Telegram, zu 75 Prozent, VK oder auch Gab abgewandert sind. Ein weiterer Grund für diese Zahl ist die obsessive Aktivität eines Genfer Holocaust-Leugners, der in seinem Wahn erst gestoppt wurde, als er wegen Rassendiskriminierung zu einer 180-tägigen Privatstrafe verurteilt wurde. Aber auch ohne diesen Umstand verzeichnet die CICAD 283 registrierte Handlungen im Internet gegenüber 165 im Jahr 2021, was einem Anstieg von mehr als 70 Prozent entspricht. Darüber hinaus wurden 23 ernste Taten (7 im Jahr 2021) und 3 schwere Taten (5) von der Antisemitismusbekämpfungsstelle registriert.
Der Rechtsextremismus ist wie immer ein alter Vektor: sein Hass auf Juden und verschiedene Minderheiten kommt täglich zum Ausdruck, bleibt jedoch relativ von den grossen Städten entfernt.
Die Verschwörungstheorien nehmen sehr stark zu, und passen sich schnell an aktuelle Ereignisse an. Das Internet fördert ihre Verbreitung bis hin zu Veranstaltungen und Konferenzen. Der Antisemitismus bleibt sowohl bei alten als auch bei neuen Verschwörungstheorien stark vertreten. In diesem Jahr war der Konflikt in der Ukraine eine wichtige Quelle für jüdische Verschwörungstheorien. Sie «werden recycelt und angepasst, sind aber für Personen, die einer oder mehreren Verschwörungstheorien anhängen, attraktiver», heisst es in dem Bericht.
Als dritter Vektor kommt die Holocaustleugnung. Sie ist in der Westschweiz nach wie vor eine Randerscheinung. Die in der welschen Schweiz vertretenen Holocaust-Leugner sind jedoch sehr aktiv und machen einen Grossteil der im Jahr 2022 erfassten Fälle aus.
Dazu kommen noch die Nachrichten aus dem Nahen Osten. Diese sind in der Regel eine ständige Quelle für antisemitische Kommentare in sozialen Netzwerken. Allerdings war der israelbezogene Antisemitismus in diesem Jahr weniger stark ausgeprägt, auch wenn es zwei Spitzenwerte im Mai nach dem Tod der Journalistin Shireen Abu Akleh und im August während der Zusammenstösse zwischen dem Islamischen Dschihad und der israelischen Armee in Gaza gab.
Auch noch lokale Nachrichten beeinflussen den Antisemitismus. Im Jahr 2022 lösten ein von der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus veröffentlichtes Dossier über Antisemitismus und ein Video des Medienunternehmens Tataki, in dem Stereotypen über die jüdische Gemeinschaft thematisiert wurden, eine Welle antisemitischer Kommentare in den Netzwerken aus.
Darüber hinaus enthält der CICAD-Bericht auch eine nationale Zusammenfassung, die das Ergebnis der Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) ist. Die Dachorganisation hat übrigens mit dem GRA am nächsten Tag ein eigener Bericht veröffentlicht und stellt fest, dass «eine staats- und gesellschaftliche feindliche Subkultur den Antisemitismus verbreitet». Während zwischen der deutschen und der italienischen Schweiz einerseits Ähnlichkeiten festzustellen sind, werden andererseits Unterschiede aufgrund der kulturellen Einflüsse aus Deutschland und Frankreich für beide Sprachregionen festgestellt. Beispielsweise verbreitete eine Professorin, die in Genf entlassen wurde, Theorien über Covid-19 und den Krieg in der Ukraine von dieser Stadt über Marseille bis nach Quebec. Ein Phänomen, das jenseits der Saane praktisch unbekannt geblieben ist. Was den Antisemitismus im Internet betrifft, so ist auch hier ein Anstieg zu verzeichnen, allerdings weniger stark als in der Romandie, da die CICAD, wie bereits erwähnt, im Gegensatz zur Deutschschweiz damit begonnen hat, alternative Medien zu überwachen.
Der Bericht geht auch auf den internationalen Kontext ein und stellt fest, dass die Situation in den USA am alarmierenden ist, wo Politiker, Künstler und Sportler zunehmend öffentliche antisemitische Reden halten.
Andererseits werden die Bemühungen der Bundesbehörden begrüsst, insbesondere das Budget von 2,5 Millionen Franken, das der Bundesrat für die Sicherheit der jüdischen und muslimischen Minderheiten bewilligt hat.
Im Schlussteil dieser Arbeit geht es schliesslich auch um die Initiativen, die in den Bereichen Bildung, Politik und Justiz ergriffen werden müssen, um diese Geissel einzudämmen.
In der gesamten Schweiz belief sich die Gesamtzahl der antisemitischen Handlungen im Jahr 2022 auf 1472, ein Anstieg um 44 Prozent gegenüber 2021. In der Deutschschweiz und im Tessin waren es 910 gegenüber 859, was einem Anstieg von fast 6 Prozent entspricht.
Es sind die antisemitischen Aktionen im Internet (853 im Jahr 2022), das sind mehr als 9 von 10, die auch in diesem Teil des Landes blühen. In dieser makabren Liste machen Verschwörungstheorien (498 im Jahr 2022) mehr als die Hälfte der Vorfälle aus, gefolgt von Vorfällen aus dem Repertoire des traditionellen Antisemitismus (308 im Jahr 2022), israelbezogenem Antisemitismus (58) und der Holocaust-Leugnung (46).