Telegramm aus dem Krieg 30. Okt 2023

Danny Kushmaro, Fernsehstudios, Aussenbezirk von Jerusalem

Geschichten von Menschen im Krisengebiet in Israel, an der Front und aus der Zivilgesellschaft. In dieser neuen tachles-Kolumne porträtiert die Autorin Menschen im Krisengebiet. Heute über Danny Kushmaro.

Danny Kushmaro ist Starmoderator des israelischen Fernsehens. Ich begegnete ihm am frühen Morgen des 7. Oktober. Genauer gesagt, ich sah und hörte ihm zu, wie er im Fernsehen sprach und war über die Nachrichten, die er verkündete, fassungslos. Er sprach live mit Frauen und Männern, die flüsterten und ihn anflehten, Hilfe zu rufen. Alle sassen sie in Bunkern und Verstecken in Israels Süden. Gegen 9 Uhr morgens berichtete er live, dass sich der jüdische Staat im Krieg befand. An diesem Tag, vor jetzt fast einem Monat, drang Danny Kushmaro in meinen Alltag ein. Mit der Stimme des Krieges.

Vor dem 7. Oktober war er einer der vielen Journalisten und Kommentatoren, denen man zuhört, bevor man umschaltet und sich die Aussagen eines anderen Kollegen anhört. Danny Kushmaro, quadratisches Gesicht, blaue Augen, eiskalt. Im Fernsehen.
Am 7. Oktober hat sich die Welt verändert. Die Nachrichten aus Israel erschütterten unsere Vorstellungen, ob fest gefügt oder vage, unsere Ansichten über Israel, den Nahen Osten, die Hamas, die USA, die Sicherheit von Juden und Nichtjuden, unsere Zukunft, den Journalismus.
Auch Danny Kushmaro hat sich verändert. Eine Veränderung, die man mit blossem Auge über den Fernsehbildschirm erkennen kann. Ich wollte diese Veränderung sehen, aber ohne Bildschirm zwischen uns, live.

Kushmaro ist ein Mann, der es eilig hat, aber er bleibt präzise. Seit dem 7. Oktober ist Kushmaro jeden Abend in der Woche am Netivot-Knotenpunkt im Süden des Landes, ganz in der Nähe von Gaza, anzutreffen. Am Freitagabend moderiert er eine wöchentliche Live-Sendung aus den Fernsehstudios, die nur wenige Kilometer von Jerusalem entfernt sind.
«Wir gehen», sagt er und führt die Besucherin in den Vorraum der Redaktion, sagt die Schlagzeilen des Abends an, dreht sich um und sagt: «Willst du einen Kaffee?» «Nein. Nicht hier. Zu viel Lärm, gehen wir nach draussen, unter die Bäume» ... Cut ... Er beginnt: «Ich verstehe, dass es für einen Europäer schwierig ist, die aktuelle Situation hier zu verstehen. In den komfortablen westlichen Städten wird sich ein Mensch darum kümmern, seine Kinder so gut wie möglich zu erziehen, er wird an das nächste Auto denken, das er kaufen möchte, oder daran, wohin er in den Urlaub fahren möchte. Überlebenscodes wie hier gibt es dort nicht. Wie könnte man verstehen, dass das Töten um des Töten willens aufgrund einer religiösen Fantasie hier Realität ist.»
Wenn Kushmaro mit mir, mit uns spricht, spricht er auch über seine extremen Gefühle, die er in den letzten Wochen erlebt hat. «Auch mir fällt es schwer, diesen Ausbruch von Gewalt zu verstehen, die grenzenlose Grausamkeit, mit der diese Verbrechen an 1400 unschuldigen Menschen begangen wurden.» Kushmaro erinnert sich an ein Interview, das er mit Orthodoxen führte, die für die Organisation Zaka arbeiten. Diese Männer arbeiten alle ehrenamtlich, um die Leichen der Opfer vorzubereiten und ihnen ein würdiges Begräbnis zu geben. Kever Israel. Ein Grab in Israel. «Ich fragte sie: ‹Warum haben sie ganze Familien gefesselt, kleine Kinder und ihre Eltern, um sie zu foltern und sie dann zu töten? Und wie konnten sie sich danach an den Küchentisch der Familie setzen, während die Leichen auf dem Boden lagen. Und den Kühlschrank öffnen. Und essen.›
Wir haben das absolute Böse von Angesicht zu Angesicht gesehen.»

Es ist eine fast unmögliche Mission, diese Schrecken in jedem Interview über Tage und Nächte hinweg zu durchleben, sie zu verdauen und sie dann seinem Publikum zu zeigen. Eine Mission mit hohem Risiko.
Ich versuche, mich in Dannys Redefluss einzufügen: «Wie reagiert der Journalist?»
Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen. «Ich bin in erster Linie Israeli. An diesem 7. Oktober versuchte man, mich in meinem Haus in Tel Aviv und dann im Süden des Landes zu töten. Jeder von uns hat Verwandte in der Armee. Die Hälfte dieses Landes ist derzeit in der Armee und die andere Hälfte wird bald eingezogen. Und in diesem Moment ist etwas Zentrales zerbrochen: Der innere Vertrag, den wir mit diesem Land hatten. Die Armee erlitt eine Niederlage. Die Menschen fühlten sich im Stich gelassen. Auch wenn sich die Militärdienste inzwischen wieder erholt haben. Also ja, bevor ich Journalist bin, bin ich Israeli, Patriot und Zionist. Und dann bin ich auch und gleichzeitig ein Journalist, der die Tatsache verarbeiten muss, dass Familienangehörige, Freunde und Kinder von Freunden im Süden während dieser Feiertage in Re’im und in den südlichen Gemeinden getötet wurden. Also ja, wir nehmen die Dinge persönlich.»
In einem kollektiv traumatisierten Land gelingt Danny Kushmaro eine Premiere im Journalismus. Er verbindet die kalte und genaue Analyse der Ereignisse mit dem Raum für Gefühle, seine eigenen und die der anderen, und wird so zum Sprachrohr aller, derer im Süden, der Kibbutzim und der Gemeinden, in denen er so gerne und oft mit seinem Motorrad unterwegs ist. Wie die Tageszeitung «Maariv» schreibt: «Es gelingt ihm der Spagat zwischen analytischem und engagiertem Journalismus, ohne Angst, seine Tränen zu zeigen oder die Mutter eines als Geisel genommenen Kindes live zu umarmen.»
Kushmaro spricht über die Grenzen der Objektivität, die leichter zu handhaben sind, wenn man weit weg ist, als wenn man nah dran ist. Er spricht über die Verantwortung des Journalismus gegenüber seinen Lesern und Zuschauern, die ihm dankbar dafür sind. Ein 8-jähriger Junge besucht mit seinem Vater Kushmaro, der ihm die Hand reicht und sich liebevoll für ein Selfie zur Verfügung stellt. Auf Tiktok singen ihm Teenager Lieder vor und nennen ihn Aba Kushmaro. Die Kinder kreieren Lieder und Tänze zu seinen Ehren. Er findet das peinlich, sagt er.
Er schläft wenig oder gar nicht, versucht morgens für ein paar Stunden abzuschalten und schaut dann nicht fern. Er liest alle Nachrichten, die man ihm schickt. Und antwortet jeder und jedem.

Kushmaro wird nie den Morgen des 7. Oktober vergessen, als er während der Live-Übertragung Hilferufe erhielt, von denen er nie gedacht hätte, sie zu erhalten. Wie die Frau, die schrie, «ich habe meinen Vater gesehen, er wurde gerade entführt», oder der junge Mann, der sich mehr als acht Stunden in einem Loch im Feld versteckt hatte und dem er live antwortete.
Er erzählt von seiner Hilflosigkeit, seiner Wut und beschliesst, die Hilferufe immer und immer wieder live zu spielen, damit alle, «die da oben», wie er die Politiker nennt, und die anderen, alle anderen, hören und sich erinnern können. Es ist Zeit für die letzten Vorbereitungen für die Sendung an diesem Freitagabend.
Im Auto, das mich zurück ins Zentrum des Landes bringt, klingelt das Telefon. «Hier ist Danny», sagt er, «ich wollte dir sagen, dass trotz allem etwas Aussergewöhnliches passiert ist: Wir sind wieder vereint, trotz allem».

Anna-Patricia Kahn