USA 30. Apr 2025

100 Tage Kahlschlag

Am Dienstag war Donald Trump erneut 100 Tage US-Präsident.

Die zweite Amtszeit ist einzigartig in der amerikanischen Geschichte. Trump hat den Himmel versprochen und wollte im Handumdrehen Frieden in Gaza und der Ukraine stiften. Doch dort geht das Töten weiter. Trump und seine Regierung legen derweil eine Kettensäge an Grundpfeiler der bestehenden Ordnung: von Amerikas Rolle als Garant eines liberalen Systems weltweit bis zum sozialen Netz, der Meinungsfreiheit und der Gewaltenteilung, sowie grundlegenden Institutionen wie Behörden, Universitäten und grossen Anwaltskanzleien in den USA. Dazu kommen Zollkriege ohne Plan, die bereits eine tiefgreifende Neuorientierung selbst in Europa weg von Amerika auslösen. Aus der zuverlässigen Stütze für Demokratien weltweit ist ein unberechenbarer Gefahrenherd geworden. 

Während er Macht an sich rafft, wächst sein persönlicher und der Reichtum seiner Familie in einem Schattenreich ohne öffentliche Aufsicht mit einer neuen Crypto-Firma, seiner defizitären Internet-Plattform «Truth Social», Geschäften mit den Saudis oder Millionen-Einkünften aus Events an seinen Liegenschaften. Inszeniert wird all dies als Entertainment mit endlosen Kontroversen und Überraschungen. Die Show wird zwar zum Flop. Mit Zustimmungswerten von 39 Prozent und ähnlich miserablen oder noch schwächeren Noten bei Inflation und Wirtschaftslage macht Trump bei Umfragen die schwächste Figur unter sämtlichen US-Präsidenten seit den 1940er Jahren.

Aber drei Monate nach seinem Amtsantritt hält Trump seine Partei immer noch fest im Griff. Gelähmt durch Richtungs- und Generationen-Kämpfe nach dem Kollaps der Biden-Präsidentschaft und der Niederlage vom November, beginnen die Demokraten aber gleichwohl eine überfällige Debatte über ihr Wesen und ihre Aufgaben. Gleichzeitig nimmt der Widerstand in Form von Protesten, Klagen sowie einer gemeinsamen Abwehrfront der Universitäten zu.

In dieser so nie da gewesenen Gemengelage geraten jüdische Persönlichkeiten und Gemeinschaften auf eine Art ins Rampenlicht, die zumindest in der amerikanischen Geschichte ebenfalls keinen Vergleich hat. Trump nutzt Juden, jüdische Anliegen und Israel als Schild und Schwert – begründet also den Versuch einer weitgehenden Kontrolle ehrwürdiger Institutionen wie Harvard (gegründet 1639) durch antisemitische Ausschreitungen dort. Auch Verhaftungen und Abschiebungen angeblicher Juden- und Israel-Hasser ohne Verfahren wird dadurch gerechtfertigt. Gleichzeitig geriert sich der Präsident als Schutzpatron Israels und amerikanischer Juden, definiert aber auch, wer ein «richtiger» oder «guter Jude» – oder aber keiner und im Extremfall sogar ein «Palästinenser» ist. Als solchen diffamiert Trump ganz bewusst Chuck Schumer. Der demokratische Fraktionsführer im US-Senat darf als einer der zuverlässigsten Freunde Israels auch unter Netanyahu in der amerikanischen Politik gelten. 

Obendrein agitiert der Präsident schon seit der Wahl 2016 gegen «Globalisten» und meint damit jüdische Persönlichkeiten wie George Soros oder den ehemaligen Goldman Sachs-CEO Lloyd Blankfein. Mit dem ehemaligen Soros-Angestellten Scott Bessent hat er aber einen solchen «Globalisten» zum Finanzminister ernannt. Bessent ist nicht jüdischer Herkunft und gilt inzwischen bei Medien und Märkten als «Stimme der Vernunft» und «Erwachsener hinter den Kulissen» des Trump-Theaters. Dieses findet in Wirtschaftsminister Howard Lutnick und dem stellvertretenden Stabschef Stephen Miller die wichtigsten Erklärer und Verteidiger. Beide sind jüdischer Herkunft und Miller ist als Scharfmacher bei der Immigrations-Politik sogar einer der wenigen Veteranen aus der ersten Amtszeit. 

Diese geballte Präsenz jüdischer Themen und Personen löst im Verein mit den Attacken auf Unis und Bürgerrechte inzwischen eine Flut an Protestschreiben etwa von Rabbinern aus: Man will sich nicht vereinnahmen und definieren, zum Spielball autoritärer Absichten machen lassen. Diese Haltung dürfte die weiterhin zu rund 70 Prozent mit den Demokraten sympathisierende Mehrheit amerikanischer Jüdinnen und Juden teilen. Gleichzeitig aber stehen grosse Spenderinnen und Spender wie Miriam Adelson weiter fest zu Trump, während die ADL und andere Organisationen zwischen Applaus für das Durchgreifen gegen echte oder angebliche Feinde Israels und der Sorge um bürgerliche Freiheiten schwanken. 

Binyamin Netanyahu mag derweil bei Trump mit seinem Drängen zu gemeinsamen Angriffen auf iranische Atomanlagen – oder gleich das Regime – auf taube Ohren gestossen sein. Aber während der Präsident seinen Allzweck-Unterhändler Steve Witkoff direkte Verhandlungen mit Teheran dazu führen lässt, hat Israel freie Hand bei einer neuerlichen Grossoffensive in Gaza und stellt damit eine langfristige «Enthausung» der palästinensischen Bewohner sicher. Seriöse Erhebungen von Pew und Gallup machen klar, dass dieses Vorgehen in der amerikanischen Gesellschaft ausserhalb der Evangelikalen Aversionen gegen Israel treibt. In jüdischen Gemeinschaften dürften die Kriegsführung und die immer engere Bindung des israelischen Staats an konservative, wenn nicht autoritäre Figuren und Regierungen schmerzhafte Kontroversen bis hinein in viele Familien schüren, die Verwandten, Freunden und vielerlei Partnern in Israel tief verbunden sind. 

Was am Horizont dieser Trends steht, bleibt natürlich offen. Aber zumindest lösen sich viele Menschen und Institutionen 100 Tage nach dem 20. Januar 2025 aus Schock und Furcht. 
 

Andreas Mink