das jüdische logbuch 27. Mär 2020

Siebenmal kein Krieg

Frankfurt a. M., März 2020. Ein Abend auf Distanz ohne Distanz. Tiefe Nähe und räumliche Entfernung. Nein. Es ist kein Krieg, kein Krieg, kein Krieg. Der Ernst einer Situation wird nicht durch falsche Angstmacherei gemildert. Emmanuel Macron und viele andere Politiker sind einer Situation nicht gewachsen, die sie nicht so kalt hätte erwischen dürfen. Menschen in Isolation vor einem Virus sind nicht Menschen in Not, auf der Flucht oder mörderischer Verfolgung. Dieser Tod ist ein anderer. – Ein Abend in Frankfurt bei Freunden in Isolation. Ein jüdischer Abend. Die Seuchen gehen immer einher mit Stigmatisierung. Pest und Juden, HIV und Schwule, SARS und Asiaten, Ebola und Schwarze. Corona allerdings könnte vielen der Rassisten und Populisten zeigen, dass die Krankheit jede und jeden dahinraffen kann. Selbst jene, die im Moment versuchen, rechtsstaatliche Gesetzgebung auszuhebeln. Denn längst sind die Faschisten in den Demokratien angekommen. Daher geht es an diesem Abend in Frankfurt längst nicht mehr um die Krankheit. Es geht um die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit. – Die Strassen sind leer. Alles ist beschaulich ruhig geworden. Bald beginnt Pessach und damit das jüdische Siebnerwerk der Trauerzeit Omer. Die Toten werden betrauert auf dem Kontinent, Sorge und Angst gehen um. Menschen finden über geschlossene Grenzen hinweg nicht mehr zueinander. Menschen in Not und Wirtschaften am Anschlag. Die Demokratie ist in der Bewährung, wenn es ihr schlecht geht, und zu wenig geschützt, wenn es ihr gut geht. Jetzt ist der Zeitpunkt, sie zurückzuerobern. Als Gemeinschaft. Isolation kann nicht Abschottung, Grenzschlies­sung nicht Trennung, existentielle Herausforderung nicht Abkehr vom anderen und gegen den anderen sein. Denn sonst gibt’s Krieg, Krieg, Krieg.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann