Basel, Februar 2021. Die kleinen Geschenke sind wie gemacht für die Pandemie, wenn vorwiegend Kinder ab nächster Woche überall auf der Welt Freunden und Nachbarn «mischloach manot» zu Purim vor die Tür legen. Kontaktlos, gehaltvoll – der distanzierte Gruss der Zuversicht. Der Akt von Menschen für Menschen, von Mensch zu Mensch durch die Jahrhunderte. Ein Akt, der Gemeinschaft bildet unter Menschen. Die Solidarität verbindet, und nicht eine von aussen aufoktroyierte Gruppenbezeichnung.
Die Purimgeschichte erzählt von der Errettung des «jüdischen Volks» in der persischen Diaspora. Der Regierungsbeamte Haman möchte die Juden im ganzen Königreich ermorden lassen. Doch mit einer List rettet Königin Esther die Juden, wie die gleichnamige Megila erzählt, die nächste Woche zu Purim zweimal gelesen wird. Sind Juden ein Volk oder Menschen? Die völkische Selbstzuordnung von Gruppen entmündigt, vereinnahmt, instrumentalisiert das Individuum in einer Epoche, in der Individuen per Verfassung in der freien, rechtsstaatlichen demokratischen Welt geschützt sind. Weil dem so ist, erhält auch die Purimgeschichte eine neue Bedeutung in Abkehr vom historischen Narrativ und von einer bis anhin weniger sinn- als gruppenstiftenden Sprache im biblischen Kontext. Juden mögen biblisch als Volk, gar als Volk Gottes betrachtet werden. Sie sind es aber nicht in der realen Welt bzw. nur dort, wo sie von der teils vermeintlichen Aussenwelt zu einer Gruppe gemacht, stigmatisiert, ausgegrenzt werden. Dieser feine Unterschied ist mehr als Semantik oder Spitzfindigkeit. Er trifft den Kern des Antijudaismus, basierend auf der Entmenschlichung, Entindvidualisierung, Enteignung «der Juden» als jüdische Menschen. Juden sind die Summe der Jüdinnen und Juden. Sie entziehen sich der begrifflichen Zuordnung und Definition. Sie entziehen sich aber nicht einer gelebten Realität zwischen Drang nach Individualität und Solidargemeinschaft. Da helfen völkische Zuordnungen wenig und verkennen, dass diese meist Propaganda sind und nicht Realität darstellen. Die Purimgeschichte in der Megillah Esther soll durchaus in die Gegenwart übersetzt werden, selbst wenn die Sprache der Vergangenheit noch dazwischen stehen sollte.
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
das jüdische logbuch
19. Feb 2021
«Mischloach manot» als Programm
Yves Kugelmann