das jüdische logbuch 17. Okt 2025

Wann endet der 7. Oktober?

Frankfurt, Oktober 2025. Montag war der beste Tag seit Jahrzehnten für den Nahen Osten. Das Kriegsende mit der Rückkehr der letzten lebenden israelischen Geiseln steht für sich selbst. Für Millionen Menschen in Israel und Gaza markiert der Tag eine vorläufige Wende – die weder Leid, Trauer oder Angst ändert, aber den Kontext des Krieges. Die schweren Waffen schweigen. Doch der 7. Oktober und der nachfolgende Krieg Israels in Gaza werden noch Generationen nachwirken. Millionen dokumentierte Zeugnisse und erzählte Geschichten werden weit über die Region hinaus die kommenden Jahre prägen.

Die grosse Trump-Show von Jerusalem und Scharm El-Scheich ist bereits weit weg. Millionen Menschen sind mit existenziellen Fragen, ihrem Alltag, ihrem Schmerz konfrontiert. Die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen wird Israels Gesellschaft in den kommenden Jahren beschäftigen, während die Aufarbeitung der Hamas-Massaker in der dysfunktionalen Ordnung des zerstörten Gazastreifens noch lange nicht möglich sein wird und die vielen Asymmetrien des Konflikts weiter verschärfen wird.

Die Hamas-Massaker und der Krieg haben Parallelwelten ausserhalb der Krisenregion geschaffen, die massiv auf sie zurückwirken – ohne dem Konflikt gerecht zu werden oder ihn zu entschärfen. Auf allen Seiten wird mit enormer Intensität digital, verbal, teils gewaltsam weitergekämpft, wie auch gerade von Bern bis Spanien mit Gewalteskalationen bei Demonstrationen auf der Strasse. Aktivismus, Protestaktionen, antisemitische Eskalationen und die Stigmatisierung oder gar Negierung der Palästinenser fluten und vergiften die Gesellschaften. Der Waffenstillstand hat all dies nicht gestoppt. Was wird mit all dem? Auf der Frankfurter Buchmesse wurden der Konflikt und die aktuellen Ereignisse entrückt in eine Welt von Büchern, die vor vielen Monaten geschrieben wurden, und nur wenige halten nun den realen Entwicklungen stand. Doch, der Reflexionsraum Buch und die Plattform Messe bringen da eine Diskussionskultur mit, die in den letzten Jahren vergessen ging. An vorderster Front ging das Jüdische Museum Frankfurt mit gutem Beispiel voran und präsentierte zum Thema «Jüdische Geschichte und Gegenwart des Völkerrechts» eine lang vermisste spannende Diskussion zwischen Alexandra Kemmerer, Omri Boehm und Ronen Steinke im Gespräch mit Mirjam Wenzel. Wichtige Fragen wurden auf Basis von Vernunft, Empathie und Expertise verhandelt.

In Israel, innerhalb der jüdischen Gemeinschaften, sind die Gräben in den letzten Jahren tiefer geworden. Die Konfrontation mit Antisemitismus wird und soll diese nicht kitten, sondern ein offener Umgang mit den Herausforderungen bleibt dringend notwendig. Für alle Gesellschaften wird evident, dass all das, was den anderen vorgeworfen wird, nicht selbst praktiziert wird und der so gefährliche ethnisch-völkische Diskurs beendet wird. Der 7. Oktober ist noch lange nicht zu Ende. Der pragmatische Aufbruch in eine mögliche neue Zukunft im Nahen Osten muss Millionen Menschen mitnehmen. Sonst wird der letzte Montag eine weitere verpasste Chance für eine neue Zukunft in Nahost bleiben.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann