Die Trump-Vision eines «dauerhaften Friedens und Wohlstands in Nahost» könnte an der historischen Rolle der Region scheitern – aber auch an den Ordnungsvorstellungen des US-Präsidenten.
Lob und Dank für Donald Trump kommen diese Woche auch in den USA quer durch die politische Bank. Sogar der von ihm viel geschmähte Vorgänger Joe Biden würdigt den «schwierigen Weg» zu dem Waffenstillstand und das persönliche Engagement Trumps dafür. Wie Biden ist auch Bill Clinton dem heutigen Präsidenten «tief dankbar» und verkündet gar, nun sei «der Nahe Osten auf einem Pfad zu einem hoffentlich dauerhaften Frieden und einer Zukunft in Frieden, Würde und Sicherheit für Israeli und Palästinenser gleichermassen.» Doch rasch wurden die Schwächen des von Jared Kushner und Steve Witkoff – immer mit Trump im Rücken – im ägyptischen Scharm El-Scheich vor einer Woche über die Ziellinie geschobenen Deals deutlich: Von grausigen, wenn auch eher praktischen Problemen wie der Identifizierung der Leichname von in der Gewalt der Hamas-Terroristen umgekommenen Geiseln bis hin zur Entwaffnung der Islamisten und dem Ausmass der israelischen Präsenz im weitgehend zerstörten Gaza-Streifen steht bereits Zündstoff für neuerliche Kampfhandlungen parat.
Lösung des Kernfonflkts
Kushner und Witkoff wollten «erst alle Parteien zu einem Ja bewegen» und schwierige Details anschliessend klären. Ob die Freilassung der Geiseln dafür ein ausreichendes Momentum schafft, ist indes fraglich. Überdies hat dieser Verhandlungsansatz seit den Oslo-Abkommen Anfang der 1990er Jahre keine grundsätzliche Lösung des Kernkonflikts um die staatliche Kontrolle Palästinas gebracht. Der Trend hier lief zu einer immer stärkeren Dominanz Israels und jüdischer Siedler auf dem Land «vom Fluss bis zum Meer». Diese Entwicklung hat infolge der barbarischen Hamas-Attacken auf den Süden Israels vor zwei Jahren mit der Zerstörung Gazas durch die IDF und einem dramatischen Ausbau von Siedlungen und zunehmender Siedlergewalt gegen die Araber auf der Westbank noch an Fahrt aufgenommen. Ein «Palästinenserstaat» ist nun endgültig nicht mehr denkbar und Trump hat in dieser Hinsicht offen Netanyahu unterstützt, der auf seine jahrzehntelange Arbeit gegen eine «Zweistaatenlösung» stolz ist.
Ein umfassender «Frieden» zumindest im Sinne Clintons scheint daher kaum möglich. Ob Trump der selbst gestellten Aufgabe treu bleibt, nach «3000 Jahren an Konflikten» Frieden in der weiteren Region zu stiften, ist ebenfalls fraglich. Schliesslich hat er von Zollkriegen über Rachefeldzüge gegen persönliche Widersacher bis zur Eskalation von Spannungen mit Venezuela und der Jagd auf angeblich kriminelle «Illegale» in demokratisch geführten Grossstädten bereits reichlich zu tun. Wie passt die Rolle eines «Friedensstifters» in Nahost dazu?
Konkurrierende Imperien
Einerseits bleibt Trump hier doch der Tradition seiner Vorgänger zumindest bis Jimmy Carter oder sogar Franklin D. Roosevelt und Harry Truman verpflichtet. Damit ist die Bedeutung Palästinas und des Nahen Ostens für Grossmächte angesprochen. Denn wenn es dort seit drei Jahrtausenden Konflikte gab, dann wurden diese eher von konkurrierenden Imperien wie jenen der Pharaonen und Hethiter oder später der Assyrer, Perser, Römer, Byzantiner, Araber, Osmanen und dann spätestens ab Napoleon aus Europa in den Fruchtbaren Halbmond getragen. Der britische Vater der Geopolitik Sir Halford Mackinder hat Palästina und speziell Jerusalem am Ende des Ersten Weltkriegs als «geographisches Zentrum» und «Nabel der Welt» charakterisiert.
Seit dem frühen 20. Jahrhundert war neben der Bedeutung der Region als Verbindungsglied zwischen Afrika, Asien und Europa die Entdeckung immenser Erdöl-Vorkommen gekommen, also dem für die Führung moderner Kriege essentiellen Rohstoff. Damit wurde das Eindringen Amerikas (und später Chinas) in die Region unausweichlich. Hatten amerikanische Ölkonzerne zunächst enorme Mühe bei der Überwindung britischer Monopole, wurde Saudi-Arabien während der Weltwirtschaftskrise ein Partner. Die Bedeutung des Königreichs zunächst als Rohstofflieferant, dann als Kunde für die Rüstungs- und andere Industrien und schliesslich als eigenständiger Machtfaktor ist seit 1945 dramatisch und stetig gewachsen. Dabei blieb immer eine Spannung zwischen dem wachsenden Bündnis der USA mit Israel und der Antagonie arabischer Staaten gegenüber dem zionistischen Projekt in Palästina.
Vorteilhafte Beziehungen
Kushner und Trump haben diese Spannung 2020 durch die Abraham-Abkommen deutlich verringert, aber das Kernproblem Palästina blieb und wurde durch die Zerstörung Gazas und die Tötung von auch von Israel nicht bestrittenen knapp 70 000 Palästinensern durch die IDF erneut akut. Hier setzt die in Scharm El-Scheich unterzeichnete «Trump-Erklärung für dauerhaften Frieden und Wohlstand» an. Vom «Forward» als weitreichend und mutig eingestuft, erkennt der Text ausdrücklich die historische und spirituelle Verbindung von Juden zum Land Israel an und macht «freundschaftliche und für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen zwischen Israel und seinen Nachbarn in der Region» zu einem Ziel der unterzeichnenden Mächte USA, Ägypten, Katar und Türkei. Israel ist der Erklärung jedoch ebenso wenig beigetreten wie die Palästinensische Autonomiebehörde, Iran, Russland oder China.
Allerdings legt die moderne Geschichte der Region die Vermutung nahe, dass die Rechte der Palästinenser für arabische Staaten kein vordringliches Anliegen sind. Der Waffenstillstand dürfte vielmehr durch die vor dem 7. Oktober 2023 kaum vorstellbaren, militärischen Erfolge Israels nicht so sehr gegen die Hamas, sondern die Hisbollah im Libanon, das syrische Assad-Regime und vor allem Iran ausgelöst worden sein. Spätestens die missratene Attacke Israels auf Hamas-Exponenten in Katar am 9. September muss am Golf, in Ankara und Kairo die Frage aufgeworfen haben, ob Netanyahu noch irgendwelche Grenzen in immer weiter ausgreifenden Angriffen kennt. Da Israel militärisch letztlich doch absolut von amerikanischen Waffen – und diplomatischer Rückendeckung – abhängt, hatte Trump gegenüber seinem «Freund» sehr starke Druckmittel in der Hand. Bemerkenswert ist zudem, dass diese Abhängigkeit Israels weltweit noch durch die zunehmende Isolierung des Landes aufgrund der Kriegsführung in Gaza mit amerikanischen Waffen verstärkt wird.
23 Milliarden Dollar
Laut einer aktuellen Studie des Watson-Instituts an der Brown University haben die USA seit dem 7. Oktober 2023 Militärhilfen in Höhe von rund 23 Milliarden Dollar an Israel geleistet und weitere zehn Milliarden Dollar für eigene Operationen gegen die Huthi im Jemen und andernorts in der Region ausgegeben. Appelle aus der Region fanden bei Trump womöglich auch deshalb offene Ohren, weil die Ölmonarchien ihn und seine Familie inklusive Kushner seit seiner ersten Präsidentschaft mit Geschäften umwerben. Hier ist bei Krypto und Immobilien auch Witkoff engagiert.
Gleichzeitig scheint das durch Trumps persönlichen Einsatz bei einem – im Detail völlig unklaren – «Wiederaufbau in Gaza» noch vertiefte Engagement der USA in Nahost seiner aussenpolitischen Doktrin «America first» zu widersprechen. Experten erwarten von dem überfälligen Pentagon-Papier zur «nationalen Sicherheitsstrategie» eine grundlegende Umorientierung auf die Dominanz im amerikanischen Doppelkontinent und der Karibik, inklusive Militäreinsätze bei bisherigen «Polizei-Aufgaben» in der Bekämpfung von Drogenkartellen, aber auch gegen «innere Feinde», deren Auswahl der Präsident nach eigenem Belieben zu gestalten scheint. Dies passt durchaus zu Trumps Vorstellung einer Aufteilung der Welt unter – auch und gerade im Inneren ihrer Staaten – starken Männern und Mächten, also China, Russland und den USA.
Eigensinnige Mächte
Könnte er also sogar eine Übernahme Taiwans durch China und die Einverleibung der bisherigen Geländegewinne Russlands in der Ukraine hinnehmen, führt Trumps Gaza-Plan sein «America first»-Konzept ad absurdum: Denn Nahost bleibt schon aufgrund von Geographie und Rohstoffen der «Nabel der Welt» und noch dazu ein «Zentrum» mit zunehmend selbstbewussten und eigensinnigen Mächten über Israel hinaus. Dabei mag die Zukunft der Palästinenser zumindest für arabische Eliten als innenpolitischer Bauchschmerz nur eine Nebenrolle spielen. Aber dass Russland und China den USA in Nahost den Vortritt lassen, scheint unrealistisch. Dazu kommen die Eigeninteressen von Regionalstaaten, die fortan nicht mehr Iran, sondern eher Israel als übergriffig und bedrohlich zu betrachten scheinen. So läutet der trumpsche Friedensplan womöglich nur ein neues Kapitel in 3000 Jahren an Konflikten in und um Nahost ein.