das jüdische logbuch 03. Okt 2025

Krieg oder Frieden oder Krieg

Oktober, Hamburg 2025. Das HarbourFront-Literaturfestival bringt in diesem Jahr viel jüdische und israelische Literatur. Die Veranstaltungen an den besten Spielorten der Stadt, vom Thalia-Theater über die Elbphilharmonie bis zur Laeiszhalle, sind ausverkauft: Illouz, Kaléko, Berkel, Biermann und so fort. Aktuelle Fragen werden auf den Bühnen verhandelt, kontextuiert und es wird oft staunend in Richtung USA geblickt. Die Frequenz der Reality Shows im Weissen Haus bleibt ebenso hoch wie oft gestört. Im Nebel von Inszenierung, Propaganda und Klamauk verschwinden die wesentlichen Dinge: die politischen Veränderungen oder der Angriff auf die amerikanische Verfassung durch den Präsidenten. Während in der Innenpolitik mit grossen Schritten Fakten geschaffen werden, bleibt Trumps sprunghafte Aussen- und Handelspolitik kaum greifbar. Mag sein, dass sein vollends undiplomatischer, ungewohnter und oft brachialer Ansatz nicht der falsche ist. Mit Blick auf die dieswöchige Ankündigung des neuen «Friedensplans» für Israel-Palästina muss man den US-Präsidenten an den Erfolgen der Abraham-Abkommen messen – und er muss sich daran messen lassen. Aus israelischer Perspektive gibt es allerdings andere Parameter – nämlich solche, die mit der DNA Israels zu tun haben.

Die Debatte um Israel ist älter als seine Gründung. Wer Israel mit dem Attribut jüdischer Staat oder Staat der Juden versieht, kommt nicht umhin, die vielfältigen jüdischen Positionen zu verinnerlichen. Jüdisch und zionistisch sind ebenso wenig kohärent wie zionistisch und israelisch. Dabei geht es weniger um Wortklaubereien, sondern um unterschiedliche Programme, Kontexte und Kausalitäten. Je weiter sich Israel von einer liberalen Demokratie entfernt, desto mehr rückt die Frage ins Zentrum, welches Israel angestrebt wird. Diese Frage kann nicht permanent dem jahrzehntealten Nahostkonflikt untergeordnet, sondern muss davon losgelöst verhandelt werden.

Im ehemals jüdischen Grindelviertel läuft der Film «Denken ist gefährlich» an. Er verhandelt anhand von Hannah Arendts Leben und Werk gerade auch ihre Positionen zu Zionismus, Israel und Demokratie. Auf Basis ihrer Schriften, Essays und Briefe nähert sich der Film den grossen Fragen des Jahrhunderts, spiegelt die USA in der McCarthy-Zeit und zeigt, wie klar Arendt in ihrer Totalitarismus-Forschung zeitlose Mechanismen freilegte, die letztlich für alle Menschen und nicht zuletzt Minderheiten gefährlich werden können.

Was heisst das alles für die Debatte in und um Israel innerhalb der jüdischen Gemeinschaften der Welt? Dass sie sich radikal und konsequent einmischen müssen. Dafür benötigt es kein Bürgerrecht, sondern die Haltung, die Bürgerrechte weltweit verteidigen. Für alle. Arendt schrieb 1945: «Der Zionismus hat in Palästina eine jüdische Heimstätte geschaffen. Aber er wird keinen jüdischen Staat schaffen können, ohne eine Katastrophe für beide Völker heraufzubeschwören.» Wenn dieser Warnung alle künftigen Initiativen für eine Lösung in Nahost folgen, die alle Parteien auf Augenhöhe involvieren und nicht machtpolitisch oder gar kolonial etwas verordnen, dann kann wachsen, was einst durchbrochene und heute neue Utopie sein kann.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann