Basel, September 2022. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) nimmt es mit den Realitäten nicht immer ganz so genau. Einmal will er die Schweizer Juden vertreten, vertritt aber eigentlich nur die Mitgliedsgemeinden, nicht die liberalen Gemeinden, nicht die Nicht-Mitgliedsgemeinden, nicht die ganze jüdische Gemeinschaft der Nichtmitglieder. Dann wiederum verpasst er die Bührle-Debatte und tut so, als ob er sich vor der Eröffnung des Kunsthauses Zürich mit der umstrittenen Sammlung darum bemüht hätte. Und so fort.
Diesmal ist es die Zukunftsstiftung, die 2021 gegründet wurde und deren Machbarkeit der SIG nun im Nachhinein prüfen will. Dies hinterlässt schon nach den ersten Wochen staunende, verunsicherte und teils empörte Gesprächspartner. Die jüdische Gemeinschaft wurde vor der Gründung nicht angehört, die Delegiertenversammlung des Verbands nicht involviert – allenfalls wurde kurz informiert. Über Jahrzehnte hat der SIG kaum Drittprojekte gefördert – allenfalls mit kleinsten Beiträgen. Die florierende Schweizer jüdische Zivilgesellschaft mit über 120 Organisationen, Vereinen und vielen gemeindenahen Institutionen finanziert sich jährlich selbst mit Millionenbeträgen aus jüdischen und nicht jüdischen Förderungen, Spenden, Legaten, philanthropischen Mitten. Die Gemeindeinfrastruktur und -dienste gerade auch der SIG-Gemeinden werden zu grossen Teilen mit Drittmitteln finanziert. Schulen, Altersheime, einen Grossteil der jüdischen Infrastruktur stemmt die jüdische Zivilgesellschaft jährlich selbst. Das Archiv für jüdische Zeitgeschichte, das Zentrum für jüdische Studien, jüdische Bibliotheken, das jüdische Museum der Schweiz, jenes in Zürich und eines in Entwicklung in Aargau, Sportvereine, Chabad und viele andere jüdische Organisationen im Bereich Dialog, Aufklärung gegen Antisemitismus, Geschichtsvermittlung, jüdische Kulturfestivals wie Mizmorim, Yesh, das jüdische Filmfestival Genf finanzieren sich seit Jahren ohne Hilfe des Gemeindebunds – übrigens auch die jüdischen Medien der Schweiz. Sie sind unabhängig, wirken weit über SIG-Gemeinden hinaus. Hinzu kommen karitativen Organisationen, teils gemeindeeigene Fürsorgen und NGO für jüdische und israelische Institutionen. Schätzungen zufolge generiert die jüdische Gemeinschaft ausserhalb von Gemeindesteuern und Staatshilfen jährlich bis zu 50 Millionen alleine in der Schweiz. Ohne SIG, mit grossem Erfolg, mit grosser Bandbreite. Nun will der SIG einen Teil dieser Fördergelder in die eigene Stiftung abschöpfen und tritt in frontale Konkurrenz mit der eigenen Gemeinschaft. Gegenteilige Beteuerungen der SIG-Funktionäre widerlegt die Realität, wenn es darum geht, Gelder effektiv zu generieren. Statt zu sparen, den Verwaltungsapparat abzubauen und Doppelspurigkeiten mit Gemeinden zu minieren, sollen nun Mittel in eine SIG-Stiftung fliessen. Und dies zu einem Zeitpunkt verschiedener Krisen, da Mittel durch Inflation und Kapitalmärkte alleine in den letzten Monaten im zweistelligen Prozentbereich dezimiert wurden und viele Spendenbudgets nach unten angepasst wurden. Gemäss Handelsregistereintrag bezweckt die Zukunftsstiftung «die Förderung und Unterstützung von Toleranz innerhalb der gesamtschweizerischen Gesellschaft». Eine Vorgabe, die der Verband selbst nicht umsetzt. Die liberalen Gemeinden sind weiterhin nicht Teil des Gemeindebunds, Mitgliedsgemeinden kennen zum Teil bis heute keine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, die nach der Annahme der «Ehe für gleichgeschlechtliche Paare» von Herbst 2021 sind in den Mitgliedsgemeinden nicht umgesetzt und so fort. Dieser Verband, will nun also die Toleranz in der gesamtschweizerischen Gesellschaft fördern und gerade auch nicht jüdische Geldgeber in eine Konfliktsituation manövrieren. Denn viele unterstützen bereits jüdische Belange, werden künftig vor die Entscheidungen gestellt, zwischen Zivilgesellschaft oder offiziellem Verband zu unterscheiden. Loyalitäts- und viele andere Probleme kommen noch hinzu. Konfliktsituationen auch in Bezug auf ideologische Aspekte, hinter die nicht jüdische Förderer schwer Einblick erhalten oder hineingezogen werden. Denn mit der Förderung wichtiger jüdische Aspekte wie bis anhin kommt der Konflikt dazu, dass der Gemeindebund eben fundamentalistische Mitglieder hat, zugleich mit Fördergeldern Politik macht. Denn der Stiftungsrat ist weitgehend identisch mit der Geschäftsleitung des SIG und wird vom SIG-Präsidenten selbst präsidiert. Anstatt allenfalls eine unabhängige Stiftung zu gründen, hat der SIG eine Cooperate Gouvernance Problemkonstrukt geschaffen, dass sich in der Realität zwischen alle Fronten wirft, auch wenn es in der Theorie schöngeredet wird. Ein Konstrukt, für das der Verband kaum Expertise mitbringt, wobei diese weit hinter jener steht, die viele Organisationen bereits seit Jahrzehnten erlangt haben. Kurt Tucholsky soll einst gesagt haben: «Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.» Vielleicht nicht mal das. Auf jeden Fall kann nun das Exempel statuiert und Förderanträge an die neue Stiftung gesendet werden. Die Entscheidungen des Stiftungsrats werden Programm sein. Einzureichen sind Anträge für Förderungen an: SIG-Zukunftsstiftung, c/o Dreyfus Söhne & Cie, Aeschenvorstadt 16, 4051 Basel. Viel Erfolg.
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
das jüdische logbuch
30. Sep 2022
Förderung und Unsinn
Yves Kugelmann