das jüdische logbuch 26. Sep 2025

Die neue Weltlichkeit

Nizza, September 2025. Ambivalenzen, Diskrepanzen, Widersprüche prallen in diesen Tagen aufeinander. Die Sonntagsschlagzeilen läuten bereits die Nahostdebatte an der UN-Vollversammlung ein. Während die jüdische Gemeinschaft weltweit Rosch Haschana begeht, mobilisiert Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für die Anerkennung Palästinas. Die 80. UN-Vollversammlung will in der Palästina-Frage Weichen stellen, die ohne die heftige Offensive von Israels Regierung in Gaza kaum so hoch auf die Prioritätenliste der durchgerüttelten internationalen Gemeinschaft gelangt wäre. Isoliert sich Israel zunehmend selbst oder wird es von der internationalen Gemeinschaft isoliert? Folgt mit der Welle von Kultur- und Wissenschaftsboykotten jene der wirtschaftlichen und politischen Sanktionen? Kann Israel sich diese auf die Dauer leisten? Netanyahu wird seinen frontalen Angriffskurs in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung fortsetzen, während die US-Haltung offen und vielleicht bald wandelbarer wird.

Ambivalenzen, Diskrepanzen, Widersprüche. Isoliert sich Israel innerhalb der jüdischen Gemeinschaft? Die Synagogengespräche waren anders in diesem Jahr. Die einen denken über ihren neuen Plan B nach, weil sie mehr Antisemitismus befürchten. Andere brechen mit Israel, und immer weniger verteidigen den Regierungskurs. «Der Jom Kippur ist der Tag, an dem die Zeit stillsteht – nicht um das Vergangene ungeschehen zu machen, sondern um es vor Gott zu bringen. Nur so wird Versöhnung möglich», schreibt Franz Rosenzweig in «Der Stern der Erlösung» von 1921.

Was heisst das für ein säkulares, für ein nationalistisches, für ein religiöses, ein atheistisches oder für ein Kulturjudentum? Die Aseret Jemei Tschuwa werden für alle Denk- und Reflexionsraum im Weltlichen.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann