das jüdische logbuch 16. Mai 2025

Basel zwischen Herzl und Eurovision

Basel, Mai 2025. Zwischen dem ersten Zionistenkongress und dem Eurovision Song Contest in Basel liegen 128 Jahre – sowie historische, zivilisatorische, politische Entwicklungen und Brüche, die in diesen Tagen zwischen Basler Lokalkolorit und Weltpolitik nicht mehr auf einen Nenner zu bringen sind. Das grösste Musikereignis der Welt ist für die einen Plattform für Frieden und Liebe, für die anderen dankbare Bühne für Mission und Politik. Israel war über Jahrzehnte einer der Lieblinge in der Eurovisiongemeinschaft. Das hat sich seit dem 7. Oktober und dem nachfolgenden Gaza-Krieg verändert, wenngleich auf Basels Strassen bisher keine Eskalationen gegen die israelische Präsenz wie etwa vor einem Jahr in Malmö stattgefunden haben. Doch längst geht es auch in Basel nicht mehr um Musik, sondern Politik. Das zeigt sich auch in einer verunsicherten jüdischen Gemeinschaft, die in Fan- und anderen Communitys seit Wochen darüber sinniert, welche Aktionen wie und wo rund um den ESC stattfinden sollen. Mit wenig Selbstbewusstsein und viel Selbstzerfleischung wurde hinter den Kulissen versucht, Aktionen zu schmieden, Solidarität zu zeigen, Pro-Palästina-Proteste zu kontern. Petitionen für Yuval Raphael erreichten gerade mal eine begrenzte jüdische Öffentlichkeit, die Debatte um Kritik an Israel und Palästina-Fahnen dominierte die Presse weltweit. Man fragt sich, weshalb jüdische und israelische Fans die Energie für endlose interne Debatten nicht konstruktiv nutzen wollten und beispielsweise 500 italienische, französische, englische, Schweizer oder schlicht Regenbogen-Fahnen organisiert und sich unter das Publikum bei der Eröffnungsveranstaltung gemischt haben, um aus dem Event das zu machen, was Yuval Raphael in ihrer souveränen Reaktion vor dem Basler Rathaus auf die Protestaktionen gemacht hat: mit Herz und Lächeln destruktive Kritik zu parieren und die Dynamik zu brechen. – Doch der Krieg der medialen Bilder ändert die Situation in den Kriegsgebieten nicht. Die von der Regierung Netanyahu angekündigte neue und intensivierte Offensive ist in den jüdischen Gemeinschaften längst nicht mehr mehrheitsfähig, ebenso wenig wie die Art der Kriegsführung und die Verhinderung humanitärer Hilfe der letzten Wochen und Monate. Das werden rechte Lobbyisten und Funktionäre, Spin-Doktoren oder Social-Media-Aktivisten ebenso wenig ändern können wie die amtierende israelische Regierung den 7. Oktober 2023 verhindern konnte oder Fortschritte bei der Befreiung der Geiseln macht. Und so steht der Basler Eurovision Song Contest geradezu symptomatisch für die Ohnmacht, mit der innerhalb der jüdischen Gemeinschaft zwischen Angst, Verunsicherung, Friktionen bei der Suche nach Solidaritätsbekundungen und vielen Ambivalenzen agiert wird. Ein Brief der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB) an den Regierungsrat, der ein Demonstrationsverbot in Basel forderte, konnte in letzter Minute verhindert und geändert werden. Ein Fundraising der IGB für Eurovisionsaktivitäten fand den Weg in die allgemeine Presse, um dann sogleich die Aktivitäten hinter verschlossene Türen zu positionen. Kritik an Entscheidungen von Behörden oder dem Umgang der Sicherheitskräfte werden in Real Time verhandelt und beide von unzähligen Gruppen mit Anfragen, Kritik und Hohn torpediert, noch bevor Sachverhalte geklärt sind und Verantwortliche in der Situation sind, Erklärungen abzugeben oder allfällige Fehler abseits von dieser Art von halb oder ganz öffentlichen Dynamiken zu korrigieren. Dass sich da Medienschaffende einspannen lassen und auf Seiten der Israel-Kritiker und Lobbyisten nicht immer die journalistisch adäquate Rolle spielen, kommt noch dazu. Der Basler Eurovision Song Contest ist letztlich ein Musikwettbewerb, der nicht als Lackmustest für die Situation von Juden in Europa oder Israel herhalten kann. Die jüdische Gemeinschaft und die israelische Gesellschaft können aber viel lernen, zum Teil entspannter auf Kritik hören und nicht jeweils nur mit einstudierten oder unüberlegten Reflexen reagieren. Denn der Gaza-Krieg wird beide noch Jahrzehnte beschäftigen, die Aufarbeitung dieses Krieges – wer auch immer sie betreibt – wird noch zwei Generationen von Jüdinnen und Juden beschäftigen. Ein wenig mehr Yuval Raphael hilft auch da im Umgang mit schreiendem Unrecht gegen israelische Geiseln und palästinensische Zivilisten.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann