Das Jüdische Logbuch 24. Aug 2018

Barrikaden von heute

Paris, August 2018. Die Barrikaden stehen wieder auf der Place de la Bastille. In rot und weiss. Die Juli-Säule aus Kupfer ragt restauriert in die brütende Hitze und erinnert an die Juli-Revolution von 1830, der Platz an die Erstürmung und die französische Revolution. Der geschichtsträchtige Platz strahlt in diesen traditionellen Pariser Ferientagen Ruhe aus. Kaum Verkehr, kaum ein Auto. Die rot-weissen Barrikaden sind Absperrungen an Baustellen. Nach Norden der Blick auf den Boulevard Richard Lenoir und somit auf die junge Geschichte der Terroranschläge auf «Charlie Hebdo» und den Bataclan in den Seitenstrassen. Von Westen weht ein warmer Wind aus dem jüdischen Marais-Viertel. Nach Osten der Gang in eines der schönsten Pariser Kaffeehäuser mit Brasserie am Trousseau-Platz unmittelbar am Fuss der vom Philanthropen Alain de Rothschild gespendeten Häuserzeilen für sozial bedürftige Menschen und jüdische oder andere Institutionen. Bis vor einigen Jahren wäre der Austausch in diesem Kaffeehaus mit einem Exil-Iraner, Bahai und Diplomaten, später mit dem brillanten Schriftsteller und Wiener Juden oder tags zuvor dem muslimischen Afghanen und Filmproduzenten interessant, nicht erwähnenswert, normal gewesen. Spannende, visionäre, faszinierende Menschen – die nun mehr als einst mit ihrer ethnischen oder kulturellen Herkunft konnotiert werden durch den Diskurs der letzten Jahre. Dies auch in Frankreich, der Republik des Citoyen. Der laizistischen Demokratie mit einer «res publica» für alle. Dort, wo an jeder Schule steht: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Um diese Errungenschaften wird in diesen Tagen neu gekämpft, und sie sind auch der rote Faden in allen Gesprächen. Die Sorge um die Errungenschaften der freien Welt, die von der Place de la Bastille ausgegangen sind und heute gleichsam zum erneuten Marsch der Zivilgesellschaft, der unideologischen Republikaner, der Bürgerinnen und Bürger auf die Barrikaden gegen Unfreiheit, Ungleichheit, Unmenschlichkeit rufen: egal ob Juden, Bahai, Muslime, Christen und alle anderen, die den über Jahrhunderte ausgehandelten Gesellschaftsvertrag eingegangen sind.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann