Tischa Beaw 31. Jul 2025

Erinnerung und Gegenwart

Ein Gemälde aus dem 5. Jahrhundert zeigt „Eine jüdische Frau, die ihr Kind verschlingt“.
„Eine jüdische Frau verschlingt ihr Kind“, ein Ausschnitt aus einem illuminierten Manuskript aus dem 15. Jahrhundert, zeigt eine Szene, die in „Der Jüdische Krieg“ von Josephus beschrieben wird. …

Tischa Beaw erinnert an eine belagerte jüdische Nation. Der Krieg in Gaza kehrt das Bild um.

In seiner historischen Darstellung der römischen Belagerung Jerusalems beschreibt Josephus, wie die Juden langsam dem Hungertod erlagen.

Zu Beginn der Belagerung verbrannten die als Zeloten bekannten jüdischen Rebellen die Getreidevorräte, die zur Ernährung der Bevölkerung bestimmt waren, in der Hoffnung, diese so zum Kampf gegen die Römer zu zwingen. Die wenigen Lebensmittel, die in der Stadt noch übrig waren, wurden oft von den Zeloten gestohlen, um sich selbst zu ernähren. Die Zeloten sind natürlich die eindeutigen Bösewichte in Josephus' Bericht, der mit Sympathie für die Römer schreibt. Obwohl es letztendlich die Römer sind, die den Tempel zerstören, ist es in seinem Bericht die barbarische Grausamkeit der Zeloten, die das Schicksal der Juden besiegelt.

Eine arme Frau namens Maria ist nicht in der Lage, ihr kleines Kind zu ernähren, und als sie schliesslich an ihre Grenzen stösst, tut sie das Unvorstellbare. Anstatt ihr Kind verhungern zu lassen oder es zu einem römischen Sklaven werden zu lassen, tötet sie es, brät es und isst die Hälfte davon. Als die Zeloten zurückkehren, um ihr Essen zu stehlen, zeigt sie ihnen, was von dem Kind übrig ist, und sagt: „Kommt, esst von diesem Essen, denn ich habe selbst davon gegessen.“ Schockiert von dem, was sie gesehen hatten, taumelten sie aus ihrem Haus. Als sich die Nachricht in der Stadt verbreitete, zitterten alle Juden.

Die von Josephus beschriebenen Zeloten waren nicht nur eine tragische Fussnote der jüdischen Geschichte. Sie waren Fanatiker, die Lebensmittelvorräte in Brand steckten, ihre jüdischen Mitbürger ermordeten und das Schicksal der Stadt besiegelten, indem sie einen hoffnungslosen Krieg provozierten. Die Bevölkerung Jerusalems war an zwei Fronten belagert: von aussen durch Rom und von innen durch diejenigen, die behaupteten, im Namen der Befreiung der Juden zu handeln.

In dieser Hinsicht weisen die Zeloten eine unheimliche Ähnlichkeit mit der Hamas auf. Wie die Zeloten hat die Hamas dem Volk, das sie zu vertreten vorgibt, ihre gewalttätige Ideologie aufgezwungen und ohne Rücksicht auf Menschenleben Tod und Zerstörung gesät. Sie hat die Katastrophe heraufbeschworen, und sie ist eingetreten. Josephus' Worte über die Zeloten beschreiben die Hamas treffend: „Sie folgten jedem schlechten Beispiel, und es gab kein Verbrechen, das sie nicht eifrig nachahmten.“

Josephus' Bericht lässt uns jedoch nicht in moralischer Klarheit ruhen. Der Vergleich zwischen den Zeloten und der Hamas lädt auch zu einem weiteren Vergleich ein, nämlich dem zwischen den Römern und dem heutigen Israel. Die Römer hätten zwar versuchen können, die Stadt mit Gewalt einzunehmen, aber sie hielten eine Belagerung für effektiver. Indem sie die Einwohner aushungerten, hofften sie, ihren Willen zu brechen und sie zur Kapitulation zu zwingen, ohne das Leben vieler römischer Soldaten zu riskieren.

Schliesslich hörten auch sie von Maria und ihren Taten. In vielerlei Hinsicht spiegelt ihre Reaktion auf diese Nachricht wider, wie wir heute auf die Bilder hungernder Kinder in Gaza reagieren. Viele römische Soldaten taten die Geschichte als wildes Kriegsgerücht ab. Eine kleinere Gruppe empfand Mitleid mit den Juden und ihrem Leiden.

Als Titus, der für den Feldzug verantwortliche römische Feldherr, davon hörte, reagierte er anders als seine Truppen. Er schien zu ahnen, dass die Gräuel, die sich in Jerusalem abspielten, zumindest teilweise auf sein Konto gingen, und schwor, dass er keine Schuld treffe. Er habe den Juden klar gemacht, dass sie in Frieden leben könnten, wenn sie sich ergäben. Stattdessen hätten sie sich für Gewalt und Krieg entschieden. Sie seien es, erklärte er, die die Hungersnot über sich gebracht hätten. „Sie“, sagte er, „haben mit ihren eigenen Händen begonnen, den Tempel niederzubrennen.“

Diejenigen, die Israels Belagerung des Gazastreifens unterstützen, haben keine andere Wahl, als sich mit den Worten des Titus zu identifizieren. Anstatt sich für die schrecklichen Bilder und Geschichten, die von dort kommen, verantwortlich zu fühlen, müssen sie sich mit dem Glauben trösten, dass alles die Schuld der Hamas ist: Israel habe der Hamas unzählige Gelegenheiten gegeben, den Krieg zu beenden, doch sie halte daran fest, halte die Geiseln fest und lehne die Verhandlungsbedingungen ab.

Da Tischa Beaw näher rückt, der Tag, an dem der Zerstörung des Tempels durch die Römer gedacht wird, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass dies keine Zeit für Erklärungen oder Rechtfertigungen ist. Es ist ein Tag, an dem wir die Ungeheuerlichkeit des Leids und der Zerstörung durch unsere Abwehrmechanismen hindurchbrechen lassen müssen. Wenn wir uns nicht erlauben, ihre Last zu spüren, werden wir wenig aus dem Churban, der Zerstörung des Tempels, gelernt haben.

Die Gefahr von Tischa Beaw besteht darin, dass es uns in der Vergangenheit gefangen hält. Wir sitzen auf dem Boden. Wir lesen die Klagelieder und stellen uns vor, wir seien machtlos, für immer Opfer dunkler Mächte, die ausserhalb unserer Kontrolle liegen. Aber dieses Jahr sind nicht wir es, die belagert werden. Wir können uns damit trösten, dass wir nicht Rom sind, aber wir sind auch nicht ganz unschuldig. Tischa Beaw ist nicht das Ende der jüdischen Geschichte. Aber es ist der Moment, in dem die jüdische Geschichte mit ihrem eigenen Zusammenbruch konfrontiert wird, in dem wir entdecken, dass es keine einfachen Antworten auf die Schrecken gibt, denen wir in unserer Geschichte begegnet sind und denen wir auch heute noch begegnen. Wenn wir uns erlauben, die Ruinen wirklich zu betrachten, werden wir vielleicht zittern wie einst in Jerusalem, aber nicht aus Angst, sondern um zum Handeln angespornt zu werden. Auf diese Weise finden wir vielleicht noch einen Weg nach vorne, nicht nur für uns selbst, sondern auch für diejenigen, deren Schreie wir noch nicht erhört haben.

 

Rabbi Zachary Truboff