frankreich 22. Aug 2025

Ein Palais für Bilder

Das Gemälde «La conquête de l’Air – étude à trois personnages» (1913) des französischen Malers Roger de La Fresnaye ist in der Kollektion zu sehen.

Im Musée d’Art Moderne in Troyes beeindrucken seit 1982 die Bilderwelten von Gauguin bis Matisse aus der Sammlung des Ehepaares Pierre und Denise Lévy.

Der französische Tennisspieler René Lacoste (1904–1996), der in den Zwanzigerjahren als mehrfacher Sieger der Turniere von Wimbledon, der French Open und US Open in die Sportgeschichte einging, entwarf 1927 für den eigenen Bedarf ein spezielles Oberteil: das Poloshirt. Aus Jersey-Piqué gewirkt, war es luftiger und weniger steif als die bis dahin auf dem Tennisplatz übliche noble Kombination aus weissem Oberhemd und weissem Blazer. Das Auftreten der Polospieler hatte den Champion inspiriert. Sein komfortables Shirt, von René Lacoste verziert mit einem stilisierten kleinen Krokodil als Aufnäher auf der Brust – eine Anspielung auf das Image des angriffsstarken Ballsportlers als «das Krokodil» – machte Furore. Wie Coco Chanels kleines schwarzes Kleid brach Lacostes legeres Sportswear-Modell mit damaligen Konventionen. Und war Madame Chanel die Erste, die ein Parfum mit einer Nummer (No. 5) benannte, so war der Pariser Lacoste der Erste, der ein Unisex-Kleidungsstück lancierte, das Herren wie Damen tragen konnten, nicht nur auf dem Platz, sondern auch im Clubhaus und sogar in der Stadt. Ein paar Jahre später ging Lacoste eine Kooperation mit dem in Troyes ansässigen Strickwaren-Hersteller Etablissement Gillier ein, um seine Polos in Massenfertigung produzieren zu lassen: Die Marke La Chemise Lacoste war geboren. Der Vertrag mit André Gillier, im Juni 1933 besiegelt, leitete eine geschäftlich erfolgreiche Phase ein. Im Jahr 1939 waren schon sagenhafte 300 000 Hemden verkauft worden.

Von Lacoste zu Lévy
Im Jahr 1961 wurde die Firma Gillier vom Textilkonzern Devanlay-Pecoing des Industriellen Pierre Lévy übernommen. In den Sechzigern, mit berühmten Polohemdträgern wie John F. Kennedy, schaffte das sportive Lacoste-Hemd den Sprung vom Tennisfeld auf Strassen und Laufstege. Es stand für einen lässig-eleganten Look, wurde ein stilprägender Klassiker und etablierte sich unter dem Firmendach Lévy weltweit. Der Textilmagnat Pierre Lévy (1907–2002), geboren in Guebwiller an der elsässischen Weinstrasse, war 1927 im Rahmen seines Militärdienstes nach Troyes in der Champagne gekommen, wo er Denise Lièvre (1911–1993) kennenlernte. Er stieg ins Textilunternehmen seines Schwiegervaters ein und baute einen führenden Konzern darauf auf. Troyes war aber nicht nur traditionell ein Ort der Textilindustrie, sondern auch der Kunst. Troyes ist Frankreichs Hochburg für Glaskunst, berühmt für die dort entstandenen Kirchenfenster. Denise Lévy, selbst Malerin, nahm Unterricht bei dem ortsansässigen Künstler Maurice Marinot (1882–1960), welcher ein bedeutender Glasmaler und Maler war, dessen Stil dem Fauvismus und Art Déco zuzuordnen ist. So nahm um 1937 die Kunstsammlung der Lévys ihren Anfang. Im Laufe von rund 40 Jahren trug das Unternehmerpaar eine der bedeutendsten französischen Privatkollektionen moderner Kunst zusammen. Die Absicht des Sammlerpaares war es, die wichtigsten Strömungen der Moderne von Gauguin bis Matisse abzubilden und sich auch auf Werke aus der Zeit um den Zweiten Weltkrieg zu konzentrieren, dies vor dem Hintergrund eigener Erfahrung von Bedrohung und Verfolgung während der Besetzung Frankreichs in den vierziger Jahren. Die Kollektion Pierre et Denise Lévy spiegelt Begegnungen mit und Freundschaften des Paares zu zahlreichen Künstlern aus verschiedenen Perioden wider. Angefangen mit der Freundschaft zu dem in Troyes geborenen und auch dort verstorbenen Maurice Marinot, von dem die Sammlung Objekte hält. Auf Aquarellen und Zeichnungen fing Marinot Szenen aus dem damaligen Alltagsleben ein, während, um nur ein Beispiel zu nennen, der ungarische Bildhauer und Zeichner József Csáky (1888–1971) sich als einer der Pioniere in Plastiken mit Kubismus auseinandersetzte. Die im oft nahen Kontakt zu den Künstlern aufgebaute Kollektion avancierte bald zu einer der wichtigsten französischen Sammlungen mit Kunst des 20. Jahrhunderts: Impressionismus, Fauvismus, Kubismus, Skulpturen und Gemälde von Künstlern wie Rodin, Degas, Braque und vielen anderen. 1976 machte das Sammlerpaar Pierre und Denise Lévy dem französischen Staat eine legendäre Schenkung von fast 2000 Werken, unter der Bedingung, dass die Werke an einem besonderen Ort in Troyes ausgestellt werden würden. Dafür auserkoren und aufbereitet wurde das dortige Palais Épiscopal aus dem 16. und 17. Jahrhundert, und aus dem einstigen Bischofspalast wurde das Musée d’Art Moderne de Troyes, 1982 eingeweiht vom damaligen Präsidenten François Mitterrand. Ein Skulpturengarten komplettiert die Museumsanlage. 1988 kam eine ergänzende Schenkung neuer Meisterwerke von Künstlern wie Raoul Dufy, Chaïm Soutine und Pierre Bonnard hinzu. Vor ein paar Jahren zeigte das Musée d’Art Moderne de Troyes Teile der Sammlung erstmals auch in einem Museum in Deutschland. Rund 70 Werke waren 2019 und 2020 im Picasso-Museum in Münster zu sehen.

Erfolgreiches Jahr nach Wiedereröffnung
Die Sammlung Lévy zeugt von grosser künstlerischer Offenheit des Paares. Sie konzentriert sich auf die europäische Moderne, hält aber auch Exponate afrikanischer und ozeanisch-polynesischer Kunst. Die kuratorische Absicht des Sammlerpaares war eine Darstellung der bedeutendsten Kunstströmungen der Ära bis Mitte des 20. Jahrhunderts. Pierre Lévy war überdies bestrebt, dem Publikum vor Augen zu führen, dass eine Kollektion mit dem Herzen entsteht («Ma simple ambition, c’est que le visiteur comprenne bien qu’ une collection se fait avec le coeur.»). Zuletzt waren die Räumlichkeiten für umfangreiche Renovierungsarbeiten geschlossen, jetzt feiert das Museum ein erfolgreiches erstes Jahr seit der Wiedereröffnung – über 50 000 Personen haben das Haus seither besucht. Das Bischofspalais in der Champagne mit seiner hochkarätigen Kollektion wird seinem Ruf als eines der sehenswertesten Museen des Landes mehr als gerecht. Die Präsentation hebt an mit dem Realismus eines Courbet, durchläuft die Jahrzehnte mit Postimpressionisten wie Seurat und Metzinger und den Fauvisten Dufy und Braque. Schwerpunkte setzen für die Sammlung zentrale Künstler wie Maurice Marinot und André Derain. Letzterer war zeitweilig der führende Kopf der französischen Avantgarde und ist für dynamische Bildszenerien und kräftige Kolorierung berühmt. Die Wirkung von Farbe, «Farbe wie Dynamit», wie es in einem Zitat im Museum heisst, prägt viele Werke der Sammlung. Der für expressionistische Farbexplosionen und Formenverzerrungen berühmte Soutine ist zu erleben, auch der Surrealismus ist prominent vertreten, Figuratives von Balthus, die Seconde École de Paris mit Werken aus der Nachkriegszeit, etwa von Maria Elena Vieira da Silva, die eine eigene Spielart abstrakter Kunst entwickelte. Ein Bereich im Museum widmet sich den Mäzenen selbst: Pierre und Denise Lévy, dem generösen Sammlerpaar, ist das Schatzkästchen in der Champagne zu verdanken. Und der Initialidee von René Lacoste. l

Die Sammlung Pierre und Denise Lévy im Musée d’Art Moderne ist ausser donnerstags täglich geöffnetvon 10 bis 18 Uhr.
www.musees-troyes.com

 

Katja Behling