literatur 19. Dez 2025

Ein fröhliches «Nitl»-Weihnachtsfest

Die Anzeige für Eli Gilmans Zahnarztpraxis in Newark aus der jiddischen Zeitung «Forverts», 25. Dezember 1924: «Selbst der Weihnachtsmann sieht mit schönen Zähnen gut aus».

In seinem neuen Buch geht der Autor Jordan Chad der vergessenen Beziehung europäischer Juden zur christlich geprägten Weihnachtszeit auf die Spur und zeigt, dass sie diese oft auf ihre eigene, spielerische Weise «feierten».

Nennen Sie mich ruhig einen Softie, aber ich liebe einen traditionellen Heiligabend. Wenn ich nicht gerade chinesisches Essen esse und einen Film schaue, sehe ich mir vielleicht die Show «A Very Jewish Christmas!» des Gotham Comedy Club oder «Christmas for the Jews» des Komikers Joel Chasnoff an. Oder ich bleibe einfach zu Hause, mache ein Feuer und höre «Oy to the World: A Klezmer Christmas» von The Klezmonauts.

Wenn Ihnen das alles nicht traditionell genug klingt, sollten Sie sich vielleicht ein Exemplar von Jordan Chads neuem Buch «Christmas in the Yiddish Tradition» zulegen. Chad, ein multidisziplinärer Forscher am Zentrum für Jüdische Studien der Universität Toronto, erzählt die «unbekannte Geschichte» davon, wie jiddischsprachige Juden Weihnachten «feierten» – nicht als Geburtstag des Jesuskindes, Gott bewahre. An dem Tag, den sie «Nitl-nacht» oder einfach nur «Nitl» nannten, liessen die Juden mit Spielen, Trinken und einer Auszeit vom Studium der Thora die Sau raus, ganz ähnlich wie ihre christlichen Nachbarn. Chad weiss, dass dies provokativ klingt. «Wenn ich den Ausdruck ‹Juden feierten Weihnachten› verwende, ist es wirklich wichtig zu verstehen, dass Weihnachten von den Juden nicht als christlicher Feiertag interpretiert wurde», sagt er.

Verzerrte Erinnerungen
Die Vorstellung, dass Juden Heiligabend genossen, steht auch im Widerspruch zu den Geschichten, die Juden erzählten, nachdem sie ihre jiddischen Wurzeln hinter sich gelassen hatten und in die Neue Welt kamen. Dort wurden Erinnerungen verzerrt und neu geprägt und Nitl wurde als eine Nacht der Angst und des Aberglaubens in Erinnerung behalten. Der Überlieferung zufolge blieben die Juden zu Hause, verschlossen ihre Türen, vermieden das Studium der Thora und kauerten sich vor der Gefahr antisemitischer Gewalt zusammen.

In seinem neuen Buch «Christmas in Yiddish Tradition» («Weihnachten nach der jiddischen Tradition») schreibt Jordan Chad darüber, wie viel die europäischen Juden und ihre christlichen Nachbarn trotz ihrer religiösen und kulturellen Unterschiede gemeinsam hatten. Auf dem Umschlag seines Buches sind Illustrationen zu einem Gedicht mit dem Titel «Santa Claus» zu sehen, das am 25. Dezember 1897 in der jiddischen Zeitung «Forverts» erschien.

Aber der 31-jährige Chad, Übersetzer mit einem Hintergrund in theoretischer Physik (was ihn zu einem jiddischen Physiker macht, was doch sehr lustig klingt), vermutete, dass es mehr zu der Geschichte der Juden und Weihnachten zu erzählen gab. Diese Vermutung führte ihn tief in jiddische Memoiren und Folklore hinein. Was er fand, überraschte ihn. Immer wieder schrieben Memoirenschreiber über das Osteuropa des 19. und frühen 20. Jahrhunderts von ihrem Lieblingsfeiertag: «nitl», allgemein verstanden als eine Verkürzung des jiddischen Begriffs für «nicht lernen». Laut Chad ist das Verständnis von Weihnachten als einer Zeit, die Unheil mit sich bringt, weniger Erinnerung als vielmehr Neuerfindung. Zeitgenössische jiddische Berichte deuten darauf hin, dass der Feiertag eher harmlos und sogar verspielt war.

Das vorchristliche Weihnachten
Der Schlüssel, so argumentiert er, liegt darin, dass der 24. Dezember für Juden und Christen gleichermassen nicht ein spezifisch christlicher Feiertag war, sondern vielmehr ein Mittwinterfest, das von Angst vor dem Übernatürlichen, Trinken, Schlemmen und Volksritualen geprägt war. Ostern war der zentrale christliche Feiertag – und die eigentliche Jahreszeit, in der Christen Juden angriffen. Im Gegensatz dazu fiel Weihnachten in die dunkelste Jahreszeit und brachte chaotisches Verhalten hervor, das von heidnischen Überlieferungen geprägt war, darunter auch der Weihnachtsbaum. Die Feiernden unterbrachen ihre gewöhnlichen Routinen, spielten Karten, erzählten Geistergeschichten und blieben wach, um böse Geister abzuwehren. «Christen taten dies, und Juden taten es auch», sagte Chad. «Das war in der europäischen Volkskultur üblich.»

Erst später, teilweise als Reaktion auf die ausgelassenen Feierlichkeiten und ihre eigene Begegnung mit der Neuen Welt, brachten die Kirchenführer Christus zurück in die Weihnachtszeit und betonten die Geburt Jesu. «In Europa würde niemand das Christentum vergessen», erklärte Chad. «Aber in der Neuen Welt musste die Geburt Jesu wirklich zu einem zentralen Teil des Weihnachtens gemacht werden, den die Christen propagierten.» Als Weihnachten explizit christlicher wurde, distanzierten sich die Juden davon und passten in diesem Prozess ihre eigenen Erinnerungen an. Die unheilvolle Folklore über Weihnachten, die ebenfalls Teil der jüdischen Tradition war – zum Beispiel, dass Jesus an Heiligabend jüdische Häuser besuchen könnte, um ihre Getränke mit Blut zu vergiften –, wurde von den Juden nun hervorgehoben. Dadurch verwandelte sich eine Nacht voller Spass in eine Warnung vor der Assimilation. Geschichten über die Gefahren von Weihnachten – auch wenn sie übertrieben waren – trugen dazu bei, das Gefühl einer jüdischen Identität in einer mehrheitlich christlichen Kultur zu verstärken.

«Jüdische Einwanderer erzählten ihren Kindern nicht: ‹Als wir Kinder waren, hatten wir an Heiligabend viel Spass›», sagte Chad. Stattdessen stützten sie sich auf Neuinterpretationen, die nitl als Nacht darstellten, die zu gefährlich war, um die Thora zu studieren. Nitl wurde zu einem Feiertag, der nur durch Abwehr und Selbstschutz gekennzeichnet war.

Eine gemeinsame europäische Volkskultur
Chad argumentiert konsequent, dass jiddischsprachige Juden nicht von der christlichen Kultur abgeschnitten waren, auch wenn sie andere religiöse Strukturen, Kalender und einen anderen sozialen und materiellen Status hatten. «Ich würde sagen, diese Jahreszeit war von einer gemeinsamen europäischen Volkskultur geprägt». «Es gab enorme Unterschiede zwischen Juden und Christen – aber wenn es um die Angst vor Dämonen im Winter, die Liebe zum Trinken oder die turbulente Atmosphäre an Heiligabend ging, sind die Überschneidungen in der Folklore unbestreitbar.»

Chad zieht auch eine direkte Verbindung zwischen dem «jiddischen» Weihnachtsfest und den verschiedenen Arten, wie Juden die Weihnachtszeit weiterhin begehen. In vielen chassidischen Gemeinden ist Nitl immer noch eine Nacht, in der das Studium der Thora ausgesetzt wird. Wenn diese orthodoxen Juden nicht gerade Karten oder Schach spielen, erledigen sie vielleicht ihre Hausarbeiten. Unterdessen haben sich die jüdischen Veranstaltungen an Heiligabend zu einer Wachstumsbranche entwickelt, von «Matzo Balls» («Matze-Bällen») nur für Singles über jüdische Kabaretts bis hin zu Weihnachtsklassikern, die auf Jiddisch gesungen werden.

Sich stetig wandelnde Traditionen
Und dann gibt es noch in den USA die Tradition, chinesisches Essen zu bestellen und einen Film zu schauen. Chad vermutet, dass Juden erst im späten 20. Jahrhundert begannen, Weihnachten als eine Art inoffiziellen Feiertag für sich zu beanspruchen. In den 1980er Jahren wurde das Essen in chinesischen Restaurants – traditionell eine der wenigen geöffneten Einrichtungen – zu einer Möglichkeit, diesen Tag zu etwas Besonderem zu machen, ohne dabei christliche Rituale zu übernehmen. Was einst der Vermeidung diente, entwickelte sich zu einer spielerischen Gegentradition, einer Möglichkeit, in der Mehrheitskultur präsent zu sein, ohne von ihr vereinnahmt zu werden.

Wenn das Buch von Chad eine tiefere Botschaft hat, dann ist es die, dass Juden schon immer verschiedene Weisen fanden, mit der Weihnachtszeit umzugehen. Manchmal wurde dieser Tag genutzt, um Grenzen zu ziehen, manchmal, um sie zu verwischen. All dies ist Teil der fortwährenden Bemühungen der Juden, in einer Welt, die von den Feiertagen anderer geprägt ist, ein eigenständiges Leben zu führen. Was in «Christmas in the Yiddish Tradition» zum Vorschein kommt, ist weder ein sentimentales Plädoyer für die Wiederbelebung eines verlorenen Feiertags noch eine Polemik gegen die Ziehung fester Grenzen zwischen «uns» und «denen». Es ist eine Erinnerung daran, dass das jüdische Leben in Osteuropa viel reichhaltiger, seltsamer und durchlässiger war, als es die gemeinsame Erinnerung oft zulässt.

«Ich hoffe, Menschen verstehen, dass die Juden nicht dachten, sie würden einen christlichen Feiertag feiern», sagte Chad. «Sie feierten einen Mittwinterfeiertag, den sie als ihren eigenen betrachteten.» Er hielt inne und fügte dann lachend hinzu: «Und sie hatten dabei ziemlich viel Spass.» 

Andrew Silow-Carroll