GEDENKEN 19. Dez 2025

«Da geht ein Mensch» – zum Ende des Gedenkjahres 2025

Der Schauspieler und Autor Alexander Granach gehört zu jener Generation jüdischer Schriftsteller, deren Lebenswege von Verfolgung, Flucht und Exil geprägt waren und 1945 ein jähes Ende nahmen.

2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal und ist auch Anlass, um der jüdischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die durch Verfolgung, im Exil oder in Konzentrationslagern starben, zu gedenken.

Wohl wurde im Januar dieses Jahres des 80. Todestages der Dichterin Else Lasker-Schüler und Wochen später jenem von Anne und Margot Frank gedacht. Dass aber im Jahr 1945 viele weitere jüdische Schriftsteller, die Deutschland und Österreich in der Folge der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlassen mussten und in den Jahren danach in den Ländern, in welchen sie ihr Exil gefunden hatten, verstarben, ist in diesem «Gedenkjahr» weitgehend unbeachtet geblieben.

Der Mensch geht – das Werk bleibt
1945 erschien unter dem Titel «Da geht ein Mensch» im Neuer Verlag in Stockholm der autobiografische Roman des Schauspielers Alexander Granach, welcher im selben Jahr im amerikanischen Exil verstorben war. Erst die posthume Veröffentlichung seines Buches stellte sein literarisches Können unter Beweis.

Bereits im März 1933 floh der in dem Dorf Werbiwizi, in der heutigen Ukraine, geborene Schauspieler Alexander Granach nach Berlin, wo er mit der aus der Schweiz stammenden Schauspielerin Lotte Lieven zusammenlebte. Während Lieven zunächst in Berlin blieb, begann für Granach ein schwieriges Leben, welches ihn durch halb (Ost-)Europa führte. Von diesen Stationen berichtet Granach in seinen Briefen an Lotte Lieven, bevor sich die beiden im November 1937 in Zürich – wo Lieven inzwischen an das Zürcher Schauspielhaus «zurückgekehrt» war – noch einmal begegneten. Aus Zürich schrieb Granach an den bekannten Regisseur und Theaterintendanten Erwin Piscator, den er 1935 bei Dreharbeiten in Moskau begegnet war und der in der Zwischenzeit nach Amerika emigriert war. Nach sechs Monaten musste Granach allerdings selbst die Schweiz in Richtung Amerika verlassen, von wo aus er Lotte Lieven umwarb, ihm nachzufolgen.

Zuflucht auf Zeit
Zahlreiche Spuren, nicht nur die von Alexander Granach, auch jene der Schriftsteller Alexander Roda Roda (geboren als Sandor Friedrich Rosenfeld), Franz Werfel, Richard Beer-Hofmann, Else Lasker-Schüler, Felix Salten und Bruno Frank, welche alle 1945 verstarben, führen auf dem Weg ins Exil in und durch die Schweiz. Dort fanden auch Felix Salten und Richard Beer-Hofmann ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof der Israelitischen Cultusgemeinde in Zürich. Dabei haben die meisten von ihnen aus nur zu bekannten Gründen – mit Ausnahme von Felix Salten – zwar keine dauerhafte Aufnahme in der Schweiz gefunden, aber dennoch haben sich fast alle der 1945 Verstorbenen auf ihrem Weg in die Emigration für längere oder kürzere Zeit in der Schweiz und vor allem in Zürich aufgehalten.

Dass Else Lasker-Schüler sich zwischen 1933 und 1939 – unterbrochen von ihren Reisen nach Palästina – in der Schweiz, vorwiegend in Zürich und in Ascona, aufgehalten hat und auch im Spätsommer 1939 gerne erneut hierher zurückgekehrt wäre, ist bekannt. Dass diese Rückkehr – inzwischen war der Krieg ausgebrochen – durch eine Einreisesperre der Fremdenpolizei unmöglich gemacht wurde, ist ebenfalls bekannt.

Zuvor konnte Else Lasker-Schüler bei Emil Oprecht in Zürich ihr Buch über das «Hebräerland» veröffentlichen, während Felix Salten seinerseits bereits im Jahr 1925 die Erlebnisse seiner Palästinafahrt in seinem Buch «Neue Menschen auf alter Erde. Eine Palästinafahrt» niederschrieb. Das Buch, etwa auch mit seinem Essay «Moses und David» unter anderem aus dem Sammelband «Gegen die Phrase vom jüdischen Schädling» (1933), wird im Gegensatz zu seinen Werken «Bambi» oder «Florian, das Pferd des Kaisers» kaum mehr rezipiert. Salten ist als Autor und seine Werke als Beiträge zu jüdischen Themen weitgehend in Vergessenheit geraten.

Zweitwahl Amerika
Während Felix Salten von seiner Tochter, welche in Zürich mit dem Anwalt Veit Wyler verheiratet war, aufgenommen wurde, erhielt der bereits betagte Richard Beer-Hofmann keine Aufenthaltsgenehmigung und war gezwungen, die Schweiz in Richtung USA zu verlassen. Er folgte seinen beiden Töchtern Miriam und Naema, die bereits dahin ausgewandert waren. Auf dem Weg ins Exil verstarb seine Frau. Sie wurde 1939 auf dem Friedhof Unterer Friesenberg beerdigt. Nach seinem Tod in den USA 1945 wird Richard Beer-Hofmann nach Zürich überführt und im Grab seiner Frau Paula beigesetzt. Sein letztes, erst nach seinem Tod in USA publiziertes Werk «Paula – ein Fragment» erschien – bis auf einen 1944 publizierten Auszug – erst im Jahre 1949.

Zwar mag es sein, dass Beer-Hofmanns Werke heute kaum mehr als zeitgemäss empfunden werden, dennoch zählte er mit Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Stefan Zweig und zeitweise Jakob Wassermann, Felix Salten, Karl Kraus, den heute nahezu vergessenen Hermann Bahr und Raoul Auernheimer zu jenen Autoren, die als die Gruppe «Jung Wien» den Weg der Literatur vom 19. ins 20. Jahrhundert ebneten. Heute ist von Beer-Hofmann allenfalls sein frühes Werk «Schlaflied für Miriam» bekannt, welches er anlässlich der Geburt seiner älteren Tochter 1897 verfasste und nach der Erstpublikation in der Zeitschrift «PAN» 1898 in späteren Jahren in mehreren Auflagen und Ausgaben veröffentlicht wurde. Hierdurch ist das Werk heutzutage bekannter geblieben als sein Autor.

In ihren Exilorten in den USA verstarben 1945 Bruno Frank, Alexander Roda Roda und Franz Werfel. Obwohl sie das Kriegsende noch miterlebten, blieben sie und vor allem Bruno Frank, alle als Autoren – von wenigen Ausnahmen abgesehen – so gut wie ungedruckt und damit auch «ungelesen». Franz Werfel blieb, nicht zuletzt dank der Initiativen seiner Witwe Alma Mahler-Werfel, durchaus als Schriftsteller präsent, kam aber in Ruhm und Ehre kaum seiner Bedeutung als bedeutender Repräsentant – wenn nicht gar als der Wegbereiter – des literarischen Expressionismus nahe.

Am gleichen Tag, an dem Else Lasker-Schüler in Jerusalem starb, nahm sich in Paris der heute auch weitgehend in Vergessenheit geratene Lyriker Alfred Wolfenstein das Leben. Wolfenstein hat sich neben seinen eigenen Werken – etwa «Jüdisches Wesen und neue Dichtung» (1922) – durch zahlreiche Anthologien und Ausgaben französischer Autoren wie Arthur Rimbaud und Paul Verlaine zu vernachlässigende Verdienste als Herausgeber erworben.

Die Familie Frank
Noch kurz vor Ende des Krieges wurden der heute fast vergessene Emil Alphons Reinhardt und Edith Frank mit ihren zwei Töchtern Margot und Anne Frank, deren «Tagebuch» sie erst posthum als Schriftstellerin bekannt machte, im Konzentrationslager umgebracht. Anne Franks Tagebuch, das von ihrem Vater Otto 1947 zum ersten Mal herausgegeben wurde – und auch Erinnerungen an ihre Ferienaufenthalte in Sils Maria und Adelboden in den Jahren 1935 und 1936 enthält – ist inzwischen weltweit wie wenig andere Bücher verbreitet. Dagegen sind die Werke von Reinhardt vollständig vom Büchermarkt verschwunden. Dabei bleibt seine Biografie der Schauspielerin Eleonora Duse – sein erfolgreichstes Werk – bis heute durchaus lesenswert, während seine in den Dreissigerjahren – bereits ab 1928 lebte er in Le Lavandou an der Côte d’Azur – verfassten Biografien über Napoléon III., Joséphine de Beauharnais und Heinrich IV. trotz des Erscheinens in renommierten Verlagen wie zum Beispiel S. Fischer kaum Resonanz bei den zeitgenössischen Kritikern fanden.

Dennoch sollten wir (nicht nur) im Gedenkjahr 2025 dieser teils vergessenen Autorinnen und Autoren gedenken und ihre literarischen Leistungen in guter Erinnerung halten und sie auch weiterhin lesen und von ihnen lernen.

Martin Dreyfus