Die Ausstellung «Widerstände. Jüdische Designerinnen der Moderne» im Jüdischen Museum Berlin erinnert an das einzigartige Kulturschaffen jüdischer Frauen und die gesellschaftlichen Herausforderungen, die sie ihnen stellten
Die Frau im langen Arbeitskittel schaut nicht in die Kamera. Sie konzentriert sich auf ihre Arbeit, während beide Hände eine Maschine betätigen. Das Foto, aufgenommen 1932 in ihrer Werkstatt in der Berliner Clausewitzstrasse, zeigt die Gold- und Silberschmiedin Emmy Roth. 1885 in Hattingen geboren, zog sie nach Ausbildung und bestandener Meisterprüfung nach Berlin, wo es ihr dank ihres eigenständigen Stils und ihrer zeitlosen und formschönen Arbeiten gelang, sich als freie Künstlerin zu etablieren. Eine Aufnahme des Fotografen Willy Römer zeigt sie in eleganter Garderobe in ihrem unweit des Kurfürstendamms gelegenen Ausstellungsraum vor den von ihr hergestellten Silberwaren. Roth nahm an nationalen wie internationalen Ausstellungen teil. Nach Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 emigrierte sie nach Palästina. An Krebs erkrankt, nahm sie sich 1942 in Tel Aviv das Leben. Die Künstlerin und ihr Werk gerieten in Vergessenheit.
Sichtbarmachung jüdischer Designerinnen
Emmy Roth ziert das Ausstellungsplakat sowie die Titelseite des Katalogs der Ausstellung «Widerstände. Jüdische Designerinnen der Moderne», die noch bis November im Jüdischen Museum in Berlin gezeigt wird. Emmy Roth ist eine von mehr als 60 Frauen, die in dieser Präsentation gewürdigt wird. Die facettenreiche Ausstellung erweist sich als überaus beeindruckend wie berührend. Erstmals wird in detaillierter wie anschaulicher Weise «einem wichtigen und lange unbeachteten Aspekt der deutschen Kunst- und Kulturgeschichte» umfassende Aufmerksamkeit geschenkt, so Hetty Berg, Direktorin des Museums. Etwa die Hälfte der rund 400 Exponate stammt aus der Sammlung Angewandte Kunst des Museums. Die Sichtbarmachung des kreativen Schaffens jüdischer Designerinnen und ihrer Lebenswege verdankt sich aber dem detektivischen Elan und dem kontinuierlichen Engagement der Kuratorin Michal Friedlander, die 20 Jahre lang in Deutschland, England, den USA und in Israel recherchierte. Auch wenn aus Kapazitätsgründen auf Architektinnen und Fotografinnen verzichtet wurde, umfasst die Schau Bereiche wie Blumenschmuck, Gold- und Silberschmiedekunst, Holzschnitzerei, Keramik, Modedesign, Schmuck, Textilkunst sowie Grafik und Illustration. Friedlander streicht heraus, dass die Geschichte von Frauen als Kunstschaffende marginalisiert und der Anteil deutscher jüdischer Frauen nicht nur «vernachlässigt, sondern bis heute weitestgehend ignoriert» wurde.
Die in zehn Kapitel übersichtlich gegliederte Ausstellung, welcher der Katalog in gleicher Weise folgt, thematisiert einleitend die Widerstände, gegen die sich deutsche jüdische Frauen behaupten mussten: das traditionelle Frauenbild, limitierte Ausbildungs- und Berufswege, Einschränkungen durch das Herkunftsmilieu, die durch die Religion bestimmte Rollenerwartung.
Aus dem kulturellen Gedächtnis gestrichen
Für den Bereich der Typografie wird die in Hamburg geborene und in Jerusalem verstorbene Franziska Baruch (1901–1989) hervorgehoben. Im Auftrag des Reichskunstwarts der Weimarer Republik hatte sie Symbole, Orden und Ehrenrollen für das Deutsche Reich gestaltet. 1933 war sie zur Emigration nach Palästina gezwungen. Ihre noch in Deutschland entwickelte Schriftart «Stam» fand im späteren Israel vielfache Verwendung. Zudem schuf sie den noch heute genutzten Titel-Schriftzug der Tageszeitung «Haaretz». Baruch zählte zu den herausragenden Gestaltern hebräischer Schriften.
Nicht jeder der in der Ausstellung erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellten Designerinnen gelang die Flucht aus Deutschland und die erfolgreiche Fortsetzung ihrer Arbeit. Paula Straus (1894–1943), eine der ersten Industriedesignerinnen, wurde in Auschwitz ermordet. Der Lebensweg der Grafikerin Elli Hirsch (1873–1943), die zuerst für das «Kunstgewerbeblatt» arbeitete und auch an der Entwicklung des Logos der Kölner Schokoladenfirma Stollwerck beteiligt war, endete in Theresienstadt. Die Porträtmalerin und Illustratorin Elly Frank (1877–1941), die im Ersten Weltkrieg Postkarten für die Kriegspropaganda entworfen hatte, wurde in Riga erschossen.
Doch nicht nur diese einst erfolgreichen, nach 1933 verfolgten, deportierten und ermordeten Frauen wurden vergessen, der gleiche Befund trifft auf das Gros der in der Ausstellung gewürdigten Künstlerinnen zu. Sie waren aus dem kulturellen Gedächtnis gestrichen.
Es ist das lobenswerte Verdienst der Ausstellung und ihrer Kuratorin, an diese selbstbewussten und erfolgreichen Frauen und ihre unwiderlegbare Kreativität zu erinnern. Wer den Besuch der Ausstellung versäumt, sollte unbedingt den reich illustrierten Katalog erwerben. Allein die grossformatigen Porträts der Designerinnen geben ihnen wieder ein Gesicht, die unzähligen, auch farbigen Beispiele ihrer vielseitigen Tätigkeitsfelder bezeugen ihre innovative Schaffenskraft.
Die Ausstellung «Widerstände. Jüdische Designerinnen der Moderne» im Jüdischen Museum Berlin ist noch bis zum 23. November zu sehen.