HAMBURG 31. Okt 2025

Albert Ballin, eine Synagoge und vielleicht ein Museum

Carola Veit (Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, links) und Philipp Stricharz (Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hamburg) zeigen den Siegerentwurf für den Bau der neuen Synagoge.

In Hamburg ist der Siegerentwurf für die Rekonstruktion der Bornplatzsynagoge vorgestellt worden, wodurch auch die Diskussion um die Gründung eines Jüdischen Museums Hamburg Fahrt aufnimmt.

Wie wird sie aussehen, die Rekonstruktion der einstigen Hauptsynagoge in Hamburg, und gibt es in der Hansestadt bald auch ein Jüdisches Museum? Diese Fragen werden nicht nur in der Hansestadt derzeit diskutiert. Der Wiederaufbau der in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 zerstörten und später abgerissenen Bornplatzsynagoge im Universitätsviertel ist parteiübergreifend längst beschlossene Sache, der Siegerentwurf für den Bau wurde der Öffentlichkeit im September vorgestellt. Dieser Entwurf und die anderen in die engere Auswahl gekommenen Konzeptionen sind seit Mitte Oktober in einer Ausstellung im Hamburger Rathaus zu sehen. Die einst bedeutendste Synagoge Norddeutschlands soll wiedererstehen. Finanziert mit Geld von Stadt und Bund, soll der Bau, in dem sich beide Strömungen des Judentums wiederfinden sollen, das hochästhetische historische Gebäudebild aufgreifen und durch eine gläserne Kuppel als modernes Element und Ausdruck einladender Offenheit ergänzen. Der Entwurf verkörpert den Wunsch und das Ziel, dass sich dort auch eine Begegnungsstätte zwischen den jüdischen und den übrigen Bürgern der Stadt entwickeln werde, die Austausch und Miteinander ermöglicht. Ende September, gut eine Woche nach Präsentation des Siegerentwurfs, feierte in den nahegelegenen Hamburger Kammerspielen das Theaterstück «Nächstes Jahr Bornplatzsynagoge» Premiere, welches bereits als das vielleicht aktuellste der Welt hoch gelobt wurde (Vorstellungen bis 25. März 2026). Der Autor, Theaterintendant Axel Schneider, hat es als Reaktion auf die Terrorattacken vom 7. Oktober 2023 geschrieben und in Rekordzeit auf die Bühne gebracht. Er habe sich, so Schneider, beim Schreiben unter anderem auf die Familiengeschichte von Daniel Sheffer, dem Vorsitzenden der Synagogen-Initiative, bezogen.

«Produktiv verwirren»
Aktuell findet nicht nur die Idee, in Hamburg die einst dem Erdboden gleichgemachte Hauptsynagoge wiederaufzubauen, sondern vielleicht auch die, ein Jüdisches Museum zu gründen, immer mehr Aufmerksamkeit. Sonja Lahnstein-Kandel, Mitglied im Fachbeirat «Jüdisches Leben im Museum für Hamburgische Geschichte» sowie Mitglied im Kuratorium des Israelitischen Krankenhauses, kämpft seit Jahren mit Verve für ein solches Haus in der Hansestadt. Der Grundgedanke liegt nahe: Die Geschichte der Juden in Hamburg greift über Jahrhunderte zurück und vor über 200 Jahren gingen von Hamburg sogar wichtige Impulse für die Reformbewegung des Judentums aus. Letztere ist unter anderem verbunden mit einem später weltberühmt gewordenen Namen: Isaak Bernays (1792–1891), Hamburgs damaliger Oberrabbiner, war der Grossvater der in Hamburg geborenen Martha Bernays (1861–1951), der späteren Ehefrau von Sigmund Freud.

Das Museum für Hamburgische Geschichte führte bis vor Kurzem eine kleine Abteilung für jüdische – religiöse, kulturelle, weltliche – Geschichte in Hamburg, doch diese Sektion wurde mit Beginn langwieriger Modernisierungsarbeiten im Museum vor rund zwei Jahren für den Publikumsverkehr geschlossen. In absehbarer Zeit soll es zwar eine Interimsausstellung andernorts geben, gleichwohl stösst die Idee der Gründung eines eigenständigen Hauses für jüdische Kultur und Geschichte zunehmend auf Interesse. Seit Herbst 2024 führt die Behörde für Kultur und Medien in Hamburg diesbezüglich einen öffentlichen Dialog. Der Senat hat eine Gesprächsreihe aufgelegt. Anfang des Jahres fand im Rathaus die Auftaktveranstaltung statt. In den Diskurs eingebunden sind Vertreter aus Wissenschaft und Kultur, Museen, Verbänden und die Stadtgesellschaft. Als Vortragende wurden etwa Barbara Staudinger, Direktorin des Jüdischen Museums Wien, und die Leiterin des Jüdischen Museums München, Jutta Fleckenstein, gewonnen. Ende Oktober wurde es konkreter: Wo denn könnte ein Jüdisches Museum Hamburg entstehen? Wie angebunden sein? In einer kürzlich im Altonaer Museum veranstalteten Podiumsdiskussion unter anderem mit Kultursenator Carsten Brosda (SPD) und Sonja Lahnstein-Kandel sowie dem per Video zugeschalteten Hanno Loewy, Leiter des Museums in Hohenems (Österreich), wurde die klaffende Lücke in der Museumslandschaft ausgeleuchtet. Zentral und zugänglich müsste ein solches Museum sein. Einladend, nicht belehrend, nicht erschlagend. Mit einem Café zum Verweilen und für das Gespräch. Vor allem müsse es die Besucher «produktiv verwirren», sagte Loewy. Sich nicht scheuen, unbequeme Fragen zu stellen, zweideutig zu sein – und manche Antwort auch zu verweigern. Vorschläge zur Standortfrage zeigten interessante Perspektiven auf. Die Villa Ballin? Das Israelitische Krankenhaus? Die Tempelruine in der Poolstrasse nahe der Laeizhalle? Die Diskussion hat erst begonnen.

Ballin, Hapag und jüdische Migration
Ein Jüdisches Museum der Hafenstadt Hamburg, wo auch immer in der Stadt es beheimatet sein würde, könnte nicht umhin, die Bedeutung eines ihrer wichtigsten Unternehmen, der Hapag, in den Fokus zu stellen. Die Geschichte des Logistik-Konzerns Hapag, einer der Giganten des globalen Geschäfts mit Seeschifffahrt und Containertransport auf den Weltmeeren sowie Erfinder des Geschäftsmodells der Kreuzfahrt, ist eng verbunden mit dem Wirken des jüdischen Reeders Albert Ballin (1857–1918). Nun bat das in Hamburg ansässige Unternehmen, gemeinsam mit dem Deutschen Förderkreis der Universität Haifa, für Anfang November zu einem Film- und Vortragsabend in die an der Alster gelegenen Räume der Reederei. Moderiert wird der Abend von Sonja Lahnstein-Kandel, die auch die Vorsitzende des Hamburger Förderkreises ist. Im Mittelpunkt des Festabends soll das Thema «Hapag und die jüdische Emigration im frühen 20. Jahrhundert» stehen. Denn Albert Ballin, in Hamburg in Hafennähe aufgewachsen, hatte während seiner Zeit am Ruder der Hapag direkten Einfluss auf die damalige Auswandererbewegung. Ballin war 1886 in die Hapag eingetreten, 1889 Vorstandsmitglied und 1899 Generaldirektor geworden. Unter seiner Ägide stieg die «Hamburg-Amerikanische Paketfahrt-Aktiengesellschaft», kurz «Hapag», zur grössten Reederei der Erde auf. Entsprechend präsent ist Albert Ballin heute in der Stadt: Der Firmensitz der Hapag befindet sich seit mehr als einem Jahrhundert am heutigen Ballindamm mitten in der Stadt. Das 2007 gegründete Auswanderermuseum, die Ballin-Stadt, gelegen auf dem Areal der früheren Auswandererhallen, trägt ebenfalls den Namen des Reeders. Die historischen Hallen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts im Hafenviertel Veddel nahe der Stadtgrenze gebaut, um Auswanderer vor ihrer Reise über den Atlantik unterzubringen, zu versorgen und zu untersuchen. Zwischen 1870 und 1924 verliessen fast drei Millionen Juden Osteuropa und gingen nach Übersee. Die meisten schifften sich in Hamburg und der benachbarten Hansestadt Bremen ein. Die deutschen Schifffahrtsunternehmen erfassten rasch das ökonomische Potenzial der Emigrationswellen und rüsteten ab 1870 ihre Dampfschiffe immer häufiger zu Passagierdampfern für diese Zielgruppe um. Hunderte von Passagieren segelten jeweils auf ihnen in die Neue Welt. Als die anschwellenden Flüchtlingsströme aus Russland und Galizien deutsche Hafenstädte um 1900 zunehmend unter Druck setzten und Hotelkapazitäten anders als bislang nicht mehr ausreichten, wurden Ausreisewillige, die von Hamburg aus nach Amerika wollten, bald vor der Stadt in Auswandererhallen untergebracht. Das Prozedere ermöglichte, so viele Emigranten wie möglich so schnell wie möglich nach Übersee zu bringen, Tausende täglich, jüdische und nicht jüdische. Die jüdische Gemeinde der Stadt unterstützte die Ausreisewilligen, auch dank finanzieller Hilfe von Baron Maurice de Hirsch. Bald knüpfte das deutsche Innenministerium die Einreiseerlaubnis an den Besitz eines Tickets für ein Schiff einer deutschen Reederei, welche bei Unternehmen wie Hapag gekauft wurden. Nachdem Hamburg in den frühen 1890er Jahren von der verheerenden Cholera-Epidemie heimgesucht worden war, sollten Ankömmlinge auf Basis der Empfehlungen von Robert Koch zudem medizinische Untersuchungen durchlaufen. Die Massnahme der Regierung war auch Ergebnis einer Empfehlung der Hapag (und des Norddeutschen Lloyd). Grund dafür war nicht zuletzt, dass kranken Immigranten bei Ankunft in New York die Einreise verwehrt wurde. Abgewiesene Passagiere mussten wieder zurückgebracht werden – auf Kosten der Reederei.

Nicht nur die Auswandererhallen künden baulich von Albert Ballin. Auch des Reeders 1908/09 erbautes einstiges Wohnhaus, ein Stadtpalais in der Feldbrunnenstrasse unweit des Universitätsviertels, steht noch. In der Villa Ballin gab der Wirtschaftskapitän glanzvolle Diners, auch der ihm freundschaftlich verbundene Kaiser Wilhelm II. beehrte ihn dort mehrfach mit seinem Besuch. Ballins Haltung und Handeln waren geprägt durch Ideale der Kaiserzeit und seine Überzeugungen ähnelten denen des bewunderten Monarchen. Als Vertrautem von Kaiser Wilhelm erschlossen sich Ballin, dem Souverän der Seefahrt, auch gewisse politische Einflussmöglichkeiten. Ballin setzte sich für eine enge politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Grossbritannien ein, doch die zunehmend englandfeindliche Politik der Reichsregierung – insbesondere in Bezug auf den Flottenausbau – konnte er nicht verhindern. Am Morgen des 9. November 1918 wollte es eine Volte des Schicksals, dass das Leben des Top-Managers Ballin am selben Tag endete (wahrscheinlich durch Suizid) wie die Ära der Institution, die sein blaublütiger Freund verkörperte. Wenige Stunden später wurde in Berlin das Ende der Kaiserzeit verkündet und die Republik ausgerufen. Albert Ballin wurde in Hamburg bestattet, die Grabrede hielt der Bankier Max Warburg.

Orte der Begegnung und des Zusammenhalts
Mag auch der Siegerentwurf für die Rekonstruktion der Synagoge nun feststehen und die Idee eines Museums zunehmend auf Sympathie stossen, so sind doch noch viele Fragen offen. Was, zum Beispiel, soll mit der im Herbst 1960 mit einem Staatsakt eingeweihten Synagoge an der Hohen Weide im Hamburger Bezirk Eimsbüttel werden? Sie zählt zu den ersten Synagogen-Neubauten in der jungen Bundesrepublik und steht als solche unter Denkmalschutz. Die kleine Synagoge in der Oberstrasse, der einzige Betsaal, der die Reichspogromnacht unbeschädigt überstanden hatte, war 1953 von der Jewish Trust Corporation dem Norddeutschen Rundfunk übereignet worden, beheimatet heute das Rolf-Liebermann-Studio und wird für Konzerte des Norddeutschen Rundfunks und andere Kulturveranstaltungen genutzt. Nach einer als Grundsanierung begriffenen Baumassnahme zu Beginn der Zehnerjahre erwies es sich als für die Gemeinde zunehmend schwierig, weitere Finanzmittel für Sanierungen des Gebäudes von 1960 zu mobilisieren. Die Frage, was mit der bausprachlich modernen, aber substanziell renovierungsbedürftigen Nachkriegssynagoge geschehen soll, kommt derzeit noch wenig zur Sprache. Könnte dieses Gebäude zum Jüdischen Museum weiterentwickelt werden? Oder sollte, ein denkbarer Museumsstandort ein Ort ohne religiösen, vielleicht sogar ohne historischen Bezug sein? Käme die Ballin-Stadt infrage? Oder bräuchte es einen völlig anders konzipierten Neubau? Weitgehende Einigkeit besteht in einem Punkt: Hamburg als Stadt müsse als Träger fungieren, idealerweise flankiert von Sponsoren, und ein Jüdisches Museum Hamburg sollte jüdisches Leben in religiöser und insbesondere in kultureller und weltlicher Hinsicht zeigen und erlebbar machen.

Katja Behling