ISRAEL 12. Sep 2025

Wendepunkt oder Sackgasse im Krieg?

Terrorhelfer oder Friedensstifter? Katars Premier- und Aussenminister Muchammad al-Thani, spricht am Dienstag auf einer Pressekonferenz nach den israelischen Angriffen in Doha.

Der israelische Luftschlag auf eine Hamas-Villa in Doha wirft mehr Fragen als Antworten auf – was das heisst für Geiselverhandlungen, diplomatische Allianzen und innenpolitischen Druck auf Binyamin Netanyahu.

Der Anfang vom Ende und das Ende vom Anfang sind in Nahost meist nur im Rückblick zu unterscheiden. Auch die Folgen des Luftangriffs mit 17 israelischen Kampfflugzeugen auf eine nicht gerade kleine Villa in Doha sind bislang nur schwer abzuschätzen. Wer von der dort versammelten Auslandsführung der Hamas blieb unversehrt? Wer wurde getroffen? Getötet? Verletzt? Was sind seine Folgen für die Verhandlungen über einen Waffenstillstand? Ist die damit verbundene Befreiung aller israelischen Geiseln erst einmal vom Verhandlungstisch? Oder wird der Druck auf die islamistischen Terroristen dadurch entscheidend verschärft? Tritt der Krieg im Gazastreifen dadurch in einen endlosen Loop? Oder kann der Bombenerfolg – wie durchschlagend oder nicht er auch gewesen sein mag – Netanyahu ein Narrativ liefern, das einen Ausstieg aus dem Krieg auch in den Augen seiner fanatischen Anhängerschaft annehmbar machen könnte? Endet die diplomatische Initiative zwischen Israel und den arabischen Golfstaaten oder nimmt das Abraham-Bündnis neue Fahrt auf? Alles scheint (un)möglich.

Wie nach jedem Luftangriff ist das eigentliche Ergebnis vor Ort erst nach Tagen abschätzbar. Klar ist aber bereits jetzt: Alle waren vorgewarnt. Es war ein Angriff aus der Luft, aber nicht aus heiterem Himmel. Wobei es nicht um die paar Minuten geht, in denen Israel das vor Ort stationierte Centcom der US-Luftstreitkräfte vorgewarnt haben soll. Die US-Armee hat ihre eigene Luftaufklärung. Doch in der Nachrichtenflut aus Nahost ging bereits vor wenigen Wochen die Meldung unter, Katar habe Garantien von Washington und Jerusalem eingefordert, weiter von Luftangriffen unbehelligt zu bleiben. Begann da bereits das Waschen der Hände in Unschuld? «Wir haben von nichts gewusst», als Vorsorgemassnahme? Nur wenige Tage später warnte die Türkei die Hamas-Führung vor Luftangriffen, auch in Doha. Netanyahu räumte daher am Mittwoch noch einmal Zweifel aus dem Weg: «Israel hat es initiiert, Israel hat es durchgeführt und Israel übernimmt die volle Verantwortung.» Was nicht heisst, dass niemand sonst informiert war.

Stillschweigende Duldung
So klangen auch die Reaktionen aus Katar und den Anrainerstaaten eher wie Lippendienst und nicht wie rauchende Wut. Katars Premier Muchammad al-Thani nannte den Angriff «heimtückisch» und «lebensgefährlich». Was sonst? Wobei aber auch er arglistig vorging und vom «Feindstaat Israel» sprach. Sehr peinlich für Israels Regierungschef, der Israels Beziehungen zu Katar seit Jahren als «komplex» bezeichnet, um den Feindbegriff zu umgehen. Einige seiner engsten Berater sollen gegen stattliche wie staatliche Bezahlung «Beratergelder» aus Katar bezogen haben. Um für ein besseres Image Katars in Israel zu sorgen. Während sie für Netanyahu arbeiteten und während des Krieges. Waren es Gelder vom Feind oder von einem «komplexen Partner»? Das vorrangige Ziel der Regierung Netanyahu ist der Selbsterhalt. Und der wurde geschwächt, als der Luftangriff Katar zum Feindstaat machte. Der Angriff zeigte auch noch einmal in aller Deutlichkeit: Im Gegensatz zur öffentlichen Meinung in Israel steht für diese Regierung das Schicksal der Geiseln nicht vor allem anderen.

Genau hinhören: Sogar die Reaktion der Hamas hatte teilweise etwas Beschwichtigendes. Hussam Badran, der erste Totgesagte, der sich lebend zurückmeldete, schimpfte noch in der Nacht zum Mittwoch über «die perfiden Verbrechen des Feindes», um dann hinzuzufügen: «Sie werden aber nicht unsere politischen Entscheidungen beeinflussen.» Klingt eher wie ein Orakel und nicht nach einem unbedingten Aus für weitere Verhandlungen. Die Hamas-Führung, die derzeit auch am Golf keinen sicheren Parkplatz mehr hat, muss sich davor hüten, zur Belastung ihrer Gastgeber zu werden. Katars Beziehungen zu den USA sind nicht nur komplex, sondern nach dem Trump-Besuch im Februar auch 1,2 Trillionen Dollar wert.

Katar im Abseits
Katar hat seine Vermittlerrolle in den Waffenstillstandsverhandlungen erst einmal im Protest ins Gefrierfach gelegt. Was zu erwarten war. Doch verzichtet es damit auf eine selbstgestellte Aufgabe, die von Washington gerne genutzt und international anerkannt war. Sollte es sich ausgerechnet jetzt auf seine Rolle als Geldgeber der Muslimischen Bruderschaft konzentrieren? Ein diplomatisches Vakuum wäre dadurch nicht zu erwarten. Ägypten steht bereit einzuspringen. Katar kann nicht allzu lange abseits stehen. Unbezahlte Freunde hat Katar nicht, auch nicht unter muslimischen Brüdern.

Ohnehin kamen die Verhandlungen in Katar über einen Geisel-Deal in den letzten Monaten nur schleppend voran. Sagte die Hamas-Auslandsführung in Doha Ja zu einem Vorschlag, folgte immer gleich auch ein Aber – mit Zusatzforderungen und «wieder noch einer» Verhandlungsrunde. Katars Versuche, mit Hilfe seiner Milliardengelder eine Art pragmatischen Islamismus zu entwickeln, scheiterten am 7. Oktober in einem Blutbad. Am finanziellen Motor weltweiten Terrors war der Abstand zwischen Gaspedal und Bremse zu weit geworden.

Kairo hingegen hat volle diplomatische Beziehungen mit Israel und auch noch die besseren Kontakte mit der Hamas im Gazastreifen. Ägypten kämpft selbst im Sinai energisch gegen eine ganze Reihe Terrororganisationen. Was die Beziehungen zu Israel vertrauensvoller gestaltet, so komplex auch diese sein mögen. Es gibt in der Auslandsführung der Hamas wie in der Gaza-Führung pragmatischere wie fanatische Stimmen. Doch hat sich gezeigt, dass der Aufenthalt in Dohas Ritz-Carlton nicht gerade die Eile in den Verhandlungen fördert. Weshalb nicht wenige diplomatische Beobachter gegenwärtig von der Hamas-Führung in Gaza mehr Entgegenkommen am Verhandlungstisch erwarten. Die Männer um As-a-Din al-Chadad sitzen im nasskalten Beton der Tunnelbunker und mit jedem Kriegstag schwindet ihre Kampfkraft, die sie doch in den angestrebten Waffenstillstand hinüberretten wollen.

Angst vor Verlust
In Israel ist der Luftangriff selbst unumstritten. Auch in den Geheimdiensten und der Armeeführung. Fraglich, sehr fraglich, aber war der Zeitpunkt. Fast der gesamte Sicherheitsapparat riet vom Angriff ab. Zu riskant. Zu viel Roulette. Reserve-General Yair Golan, jetzt neuer Chef der sozialdemokratischen Demokraten-Partei, fragte diese Woche unverhohlen: «Schon im Vorjahr hätte der Angriff stattfinden können. Warum ausgerechnet jetzt, wenn ein neuer Vorschlag zu einem Geiselaustausch auf dem Tisch liegt?»

Sogar unter den Geiselangehörigen gibt es keine einheitliche Meinung. Rabbi Schimon Orr, Onkel der Geisel Avinatan Orr, erklärte im Radiosender Kan: «Diese Aktion rückt die Befreiung aller Geiseln näher als alle Verhandlungen und Offensiven.» Enav Zangauker, die Mutter von Matan, verurteilte jedoch den Angriff: «Es war wie eine gezielte Tötung meines Sohnes und 47 weiterer Geiseln.»

Die Lage entwickelt sich noch und niemand weiss genau, wohin. Selbst der einzige Politiker mit entscheidendem Einfluss auf die Richtung erscheint unentschieden. Zum einen zeigt sich Donald Trump «nicht begeistert». Zum anderen sieht er im militärischen Kampf gegen die Hamas das wirksamste Druckmittel. Wobei er aber über alles informiert bleiben will. Alleingänge anderer mag er nicht: «Ich lass mich von nichts mehr überraschen. Vor allem nicht aus Richtung Nahost.»

Norbert Jessen