Tel Aviv 10. Jun 2025

Unterstützen wirklich so viele Israeli die Vertreibung von Gaza-Bewohner?

Menschen trauern um ihre Angehörigen in Gaza am Dienstag.

Eine Analyse widerspricht.

Eine jüngst veröffentlichte Umfrage sorgte für internationale Schlagzeilen: Demnach sollen 82 Prozent der israelischen Jüdinnen und Juden die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem Gazastreifen unterstützen. Doch ein genauerer Blick auf die Methodik der Erhebung zeigt: Diese Zahl hält einer wissenschaftlichen Überprüfung kaum stand. Eine Gruppe israelischer Sozialwissenschaftler kritisiert die Erhebung scharf und warnt vor einer verfälschenden Darstellung der israelischen Öffentlichkeit.
Die Umfrage, durchgeführt von der Organisation «Direct Polls», sei weder methodisch noch demografisch repräsentativ. Es handelte sich um eine Onlinebefragung ohne Zufallsstichprobe – eine Methode, die bestimmte gesellschaftliche Gruppen bevorzugt. Insbesondere Unterstützer rechter Parteien wie Likud seien in solchen Panels überrepräsentiert. Darüber hinaus zeigen die veröffentlichten Daten Hinweise auf inkonsistente oder erfundene Antworten. So soll etwa ein Befragter angegeben haben, orthodox, arabisch und säkular zugleich zu sein – ein klares Indiz für mangelhafte Datenqualität.
Ein weiteres zentrales Problem betrifft die Fragestellung selbst: Den Befragten wurde keine «weiss nicht»-Option angeboten, was erfahrungsgemäss die Zustimmung zu polarisierenden Aussagen künstlich erhöht. Studien zeigen, dass gerade bei heiklen politischen Fragen eine erzwungene Antworttendenz Verzerrungen zur Folge hat.
Die Wissenschaftler verweisen auf alternative Erhebungen mit deutlich abweichenden Ergebnissen. Eine Untersuchung der aChord-Stiftung von Februar 2024 etwa stellte fest, dass viele Israelis keine feste Meinung zur Frage der Umsiedlung von Gazanern äusserten. Auch Umfragen der Universität Tel Aviv zeichnen ein differenzierteres Bild mit deutlich geringeren Zustimmungswerten für radikale Positionen.
Die Autorinnen und Autoren des Kommentars warnen vor der politischen Instrumentalisierung solcher Umfragen. Die Zahl von 82 Prozent sei keine verlässliche Aussage über die israelische Gesellschaft, sondern ein Ergebnis methodischer Schwächen und tendenziöser Fragestellung. Es sei dringend notwendig, differenzierte und valide Daten zu erheben, um die gesellschaftliche Stimmungslage in Israel realistisch einschätzen zu können – insbesondere in Zeiten massiver innen- und aussenpolitischer Spannungen.
 

Redaktion