deutschland 25. Jul 2025

Nicht alle wollen den Schlussstrich

Die Rolle der Spedition Kühne + Nagel im Zweiten Weltkrieg bleibt umstritten und soll aufgearbeitet werden.

Die Diskussion um das Hamburger Opernhaus entfachte die Debatte um die historische Aufarbeitung der Firmengeschichte von Kühne + Nagel neu.

Die Hamburgische Staatsoper hat Pläne für ein neues Opernhaus bekannt gegeben, das durch den aus Hamburg stammenden Milliardär Klaus-Michael Kühne finanziert wird. Kritiker werfen ihm vor, dass seine Familie ihr Vermögen durch die Zusammenarbeit mit dem Nazi-Regime aufgebaut hat. Nun werden die Vorwürfe erneut laut.

Das prunkvolle neue Zuhause der Staatsoper soll in der Nähe der Hafenanlage der Stadt entstehen und voraussichtlich rund 340 Millionen Euro kosten. Kühne hat im Januar 300 Millionen Euro für den Bau des Gebäudes zugesagt. Seit einigen Monaten sorgt dass Projekt für Diskussionen unter Hamburgern, die lieber das bestehende Opernhaus im Zentrum der Stadt behalten wollen.

Kollaboration mit dem Regime
Der historische Kontext von Kühnes Vermögen wirft jedoch einen Schatten auf das Projekt, da das Unternehmen seiner Familie, Kühne + Nagel, eines der weltweit grössten Logistikunternehmen mit Sitz in der Schweiz, während des Zweiten Weltkriegs mit dem Nazi-Regime zusammengearbeitet hat, um von Juden geraubte Güter zu transportieren.

Der zentrale Vorwurf an Kühne + Nagel in Bezug auf ihre Historie im Holocaust lautet: Das Unternehmen profitierte im Nationalsozialismus massiv von der Enteignung und Beraubung deportierter Jüdinnen und Juden, indem es im Rahmen der sogenannten «M-Aktion» geraubtes Eigentum, vor allem Möbel, aus zehntausenden Wohnungen aus den besetzten Gebieten ins Deutsche Reich transportierten und damit zu einem aktiven Komplizen und Profiteur des Holocaust wurde.

Während viele grosse deutsche Unternehmen wie Deutsche Bank, Volkswagen und Bertelsmann ihre Zusammenarbeit mit dem Nazi-Regime eingeräumt und Historikern Zugang zu ihren Archiven gewährt haben, weigert sich Kühne, eine Untersuchung seines Familienunternehmens zuzulassen, und bezeichnet solche Untersuchungen als irrelevant. «Irgendwann muss man auch mal einen Schlussstrich ziehen», sagte Kühne gegenüber dem «Tages-Anzeiger» über seine Weigerung, sein Unternehmen 2022 von Historikern untersuchen zu lassen. «Das ist meine grundsätzliche Haltung. Es ist wichtig, aus dem zu lernen, was damals passiert ist.» Doch nicht alle wollen diesen Schlussstrich für etwas ziehen, dass in ihren Augen nicht abschliessend aufgearbeitet worden ist. Viele deutsche Unternehmen begannen in den 1990er Jahren, sich offiziell für ihre Rolle im Holocaust zu entschuldigen. Erst 2015, 70 Jahre nach dem Holocaust, veröffentlichte Kühne + Nagel vor der Ausstrahlung einer kurzen Dokumentation über seine Geschichte eine Erklärung, in der es seine Nazi-Vergangenheit anerkannte.

Uneinsichtige Haltung
«Wie andere Unternehmen, die bereits vor 1945 existierten, war auch Kühne + Nagel in die Kriegswirtschaft involviert und musste in dunklen und schwierigen Zeiten seine Existenz sichern», schrieb das Unternehmen laut Vanity Fair in der nur auf Deutsch veröffentlichten Erklärung.

«Kühne + Nagel ist sich der schändlichen Ereignisse während des Dritten Reiches bewusst und bedauert zutiefst, dass es einige seiner Aktivitäten im Auftrag des Nazi-Regimes durchgeführt hat. Die damaligen Bedingungen unter der Diktatur und die Tatsache, dass Kühne + Nagel die Wirren des Krieges mit aller Kraft überstanden und den Fortbestand des Unternehmens gesichert hat, müssen berücksichtigt werden», heisst es in der Erklärung weiter.

Annette Jael Lehmann, Professorin für Kulturwissenschaften an der Freien Universität Berlin, sagte nun gegenüber der «New York Times», dass die Verwendung von Kühnes Geldern für den Bau des neuen Opernhauses nicht mit der deutschen Kultur der Holocaust-Erinnerung vereinbar sei. «Man könnte sagen, dass die Kunst dazu dient, Kühnes Unternehmen reinzuwaschen», sagte sie gegenüber der «New York Times».

Gestern Donnerstag publizierte das Unternehmen mit Sitz in der Schweiz die Quartalsazahlen. Dabei sei deutlich mehr umgesetzt, aber deutlich weniger verdient worden. Die Dollar-Schwäche drückte das Ergebnis des Innerschweizer Unternehmens. Der Umsatz stieg um 2 Prozent auf 6,1 Milliarden Franken, wie Kühne + Nagel am Donnerstag bekannt gab. Dabei schlugen Währungseffekte massiv zu Buche. Ohne diese wäre der Umsatz um 8 Prozent gewachsen.

Grace Gilson