Nachruf auf Arthur Cohn 19. Dez 2025

Leben fürs Leben

Arthur Cohn (l.) interviewt den damaligen israelischen Premierminister David Ben-Gurion Ende der 1950er-Jahre.

Mit dem Tod des Filmproduzenten Arthur Cohn geht eine Ära zu Ende, das Schweizer Judentum verliert eine seiner prägendsten Persönlichkeiten – ein Nachruf.

Minutenlang winkte Arthur Cohn beim Abschied irgendwo auf der Welt seinen Besuchern nach. Die Umarmung, der feste Kuss, dann der scheue Blick. Winkend stand er da und blieb noch länger stehen. Als ob er die Momente nicht gehen lassen konnte. Am Steg in Venedig, im Treppenhaus zum Schabbat nach den vielen Abenden, nach langen Spaziergängen am Ausgang des Cafés.

Arthur Cohn lebte gegen den Tod, den er verachtete und verdrängte – doch zugleich würdigte. Kaum eine Beerdigung, an der Arthur Cohn, der Cohen, nicht zugegen war. Kaum ein Trauerhaus, in dem er nicht zu Besuch kam. Aus jeder Ecke der Welt schrieb er Briefe, sendete Faxe oder rief mitten in der Nacht an, um Trost zu spenden. Den Angehörigen – und oft sich selbst. Denn Arthur Cohns Trauma, der frühe Tod seines Vaters, blieb sein Antrieb für sein richtiges Leben und eine unschliessbare Lücke: Seine Familie, sein Erfolg, sein Einsatz für Menschen und die jüdische Gemeinschaft blieben solche, die sein Vater im irdischen Leben nicht mehr mitbekommen sollte. Arthur Cohns Schrei gegen diese Ohnmacht war ein stiller, ein leiser – einer durch Taten. Arthur Cohn war nicht seine Filme, sondern diese wurden später, was Arthur Cohn lebte. Was immer der 26-jährige Arthur Cohn seinem Vater Marcus im November 1953 am Totenbett versprochen haben sollte – er wollte es jeden Tag auf seine Weise einlösen.

Die Austrasse 16
Arthur Cohn war ein zutiefst scheuer, aber nicht unsicherer Mensch. Seine Welt waren nicht die roten Teppiche, das Scheinwerferlicht oder Preisverleihungen, die er früh souverän zu bespielen mochte – immer auf seine unkonventionelle Art. Tief geprägt von seinem Elternhaus an der Austrasse 16 in Basel, einem frommen und zugleich so offenen, stark von der Kultur geprägten Heim, das seine Berliner Mutter vorlebte, ist Arthur Cohn durch den beginnenden Zweiten Weltkrieg und die tiefe Angst vor einer deutschen Invasion geformt worden. In den Monaten des Jahres 1943 machte sich der Jugendliche oft auf in die Wälder an der schweizerisch-französischen Grenze, um jüdische Flüchtlinge zu finden, und brachte sie nach Hause, wo Anwalt Marcus Cohn und die Familie sich ihrer annahmen. Lange vor den ersten Erfolgen begann Arthur mit seinen ersten Einnahmen als Journalist, die Familie und die Flüchtlinge zu unterstützen.

1927 in Basel geboren, haben ihn sein Elternhaus, die Stadt und die Geschichte der Familie nie losgelassen. Von Wurzeln und Flügeln wird er in jedem seiner Tausenden Interviews später sprechen. Was sich anhörte wie eine notirische Wiederholung, war eine Art Gebet. Immer wieder, jeden Tag. Es war seine Art, der «würdige Sohn» zu sein, in dem seine Eltern fortan gespiegelt würden. Arthur Cohns Jugend-, Schul- und Lernjahre sollten ihn nicht mehr loslassen, hin- und hergerissen zwischen Wurzeln und Flügeln. Geprägt von seinem Basler Elternhaus an der Austrasse und den Erfahrungen der Kriegsjahre jenseits der französischen Grenze wurde er früh sensibilisiert. Der Vater Marcus unterstützte Flüchtlinge, die Mutter Rose engagierte sich mit poetischen und durchaus politischen Texten für das Cabaret Cornichon. Ein Haus, in dem liberaler Zionismus, bewusstes Judentum und weltlicher Humanismus stets hochgehalten wurden – und mit Rabbiner Arthur Cohn, der letztlich prägend war für Theodor Herzls Ruf nach dem Zionistenkongress. Die spätere Hochzeit mit Noemi Schapira, Tochter des Staatsgründers Chaim-Mosche Schapira, sollte eine noch tiefere Bindung an Israel begründen – eine, die die Kinder Marcus, Nurith und Emanuel mit einem auf Basel zurückgehenden jüdischen Gelehrtentum in die Zukunft tragen. Im Weltbürger Arthur Cohn schwang immer viel Lokalkolorit mit. Die Basler Fasnacht oder der FCB, dessen Fans beim Cupspiel von Sonntagabend Arthur mit einer eigenen Choreografie «Vom rote Teppich in Hollywood bis im Extrazug am Cupfinal – Adieu Herr Cohn» würdigten, blieben ihm wichtig. Im Stadion war er oft zu sehen und versuchte im fernen Ausland stets informiert zu bleiben, von Sport bis hin zu lokalsten Aspekten des Lebens, das die Familie in Basel und dann in Jerusalem ausmachte. Er freute sich oft mehr, dem Servicepersonal im Stadion oder in Hotels wieder zu begegnen, als den vielen Stars und Sternchen – die er sehr wohl für seine Sache zu nutzen wusste.

Journalist und Aktivist
Vor drei Tagen wären es genau 60 Jahre gewesen. Die Heirat mit Noemi Cohn zwei Jahre nach dem Tod seines Vaters verband Arthur Cohn schliesslich ganz neu mit Israel. Die Tochter des Staatsgründers Chaim-Mosche Schapira öffnete ihm eine israelische Welt, die ihn als Journalisten zu vielen der grossen Persönlichkeiten wie David Ben-Gurion, Golda Meir und bis in die Gegenwart mit den führenden Politikerinnen und Politikern zusammenbrachte. Da blieb er Journalist und auf seine Art Aktivist, der Israel verteidigte und mit seinem Netzwerk versuchte, Türen zu öffnen. Arthur Cohn hatte in allem, was er tat, eine Mission. In seinem jährlichen Magnum Opus und anderen Artikeln im Wochenmagazin tachles und den Vorgängerzeitungen machte Arthur Cohn klar, dass Israel letztlich zuerst innerhalb der eigenen Gemeinschaften unumwunden verteidigt werden müsse. Seine politisch liberale Haltung musste er angesichts der realen Bedrohung mitunter aufweichen. Dieser unermüdliche Einsatz zeigte sich bis in die Mikropolitik des Schweizer Judentums. Über Jahrzehnte hinweg prägte er das jüdische Leben in der Schweiz wie kaum ein anderer – indem er sich einmischte.

Die Delegiertenversammlungen des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes gewannen durch seine Interventionen an Brisanz und wurden über Jahrzehnte durch Cohns Eingreifen zu einem relevanten Diskussions- und Debattierort. Cohn brachte in diese provinzielle und kleinbürgerliche Welt etwas von der grossen Welt und verband das Schweizer Judentum mit einem Zionismus, den schon sein Grossvater Arthur Cohn nach Basel brachte und auf den ersten Zionistenkongress zuführte. Er mischte sich ein. In der grossen Politik oder «seinen» Institutionen, von der Schomreh Thora, dem Israelitischen Kindergarten Marcus Cohn oder in der Israelitischen Gemeinde Basel.

Briefe und Menschen
Arthur Cohn konnte nie loslassen. Nicht von Menschen, nicht von Stoffen, nicht vom Leben. Immer öfter, wenn er abgekoppelt von Familie und den ganz wenigen wirklichen Freunden in Los Angeles sass, schrieb er unermüdlich. Seine Faxe, Briefe, seine endlosen Fedexpakete, mit Zeitungsartikeln, Korrespondenzen gingen täglich um die Welt und häuften sich zu Bergen bei Familien und Freunden. Er wollte alle teilhaben lassen. Er wollte in Erinnerung bleiben, immer präsent sein. Eine Erinnerung, die nicht immer richtig verstanden wurde und nicht immer auf Gegenliebe stiess. Doch für ihn war das sein getriebener Existenzialismus.

Arthur Cohn war ein Meister der Vermarktung – denn er wusste: Seine feinen Geschichten, subtilen Filme und ruhigen Erzählungen finden ohne den Glanz von goldenen Oscars, Löwen oder Bären nicht den Weg zu den Menschen. Denn um diese ging es ihm, die wollte er erreichen. Doch hinter dieser nach aussen getragenen Glamour- und Scheinwelt verbarg sich ein oft einsamer Einsiedler, der seinen Weg konsequent und unbeirrbar voranging und oft missverstanden blieb, mit dem Kopf gegen feste Mauern rennen konnte. Immer wieder. Im Kern blieb er ein Journalist – so, wie er schrieb, recherchierte und redete oder schliesslich begann, Stoffe zu entwickeln. Ihm war nach ersten eigenen Versuchen früh klar, dass er mit Drehbuchautoren, Regisseuren zusammenarbeiten musste, die seine Stoffe, seine Themen, seine Erzählungen ins Bild setzten. Und sie taten das oft brillant, wie Filme wie «Central Station», «Una breve vacanza», «Dangerous Moves» oder auch «Woman Times Seven» zeigten – bis zuletzt, als er das Vaterthema in seinem letzten Film «Das etruskische Lächeln» aufgriff und verarbeitete.

Das zionistische Basel
Lange war Arthur Cohn in der Schweiz nur wenigen ein Begriff. Doch sein filmisches Werk hatte da bereits Weltbedeutung. Sein Leben spielte sich in Italien, Los Angeles oder auf den Plattformen der internationalen Filmwelt ab – und dort oft hinter den Kulissen. Seine cineastische Handschrift war eine der Menschlichkeit.

Arthur Cohn gehörte zu jener seltenen Generation von Produzenten, die den Begriff des unabhängigen Produzierens inhaltlich ernst nahmen. Er verstand sich nicht als Finanzier, sondern als intellektueller Partner der Regisseure – als jemand, der Stoffe entwickelte, Risiken einging und Projekte über Jahre hinweg gegen Widerstände verteidigte. Seine Filme waren oft unbequem, politisch, moralisch herausfordernd – und gerade deshalb von bleibender Wirkung. Cohn glaubte an das Kino als Ort der Erkenntnis: als Medium, das Geschichte nicht illustriert, sondern befragt und dem Publikum Zumutungen ebenso zutraut wie Verantwortung.

In seiner internationalen Karriere arbeitete Arthur Cohn mit herausragenden Filmschaffenden zusammen und prägte ein Werk, das in seiner thematischen Kohärenz einzigartig ist. Ob historische Traumata, politische Gewalt, Schuld und Erinnerung oder die Zerbrechlichkeit menschlicher Entscheidungen – Cohns Produktionen verbanden formale Präzision mit ethischer Tiefe. Dass seine Filme vielfach ausgezeichnet wurden, darunter mit mehreren Academy Awards, war für ihn nie Selbstzweck, sondern Bestätigung einer Haltung: dass Kino Relevanz haben müsse. Sein Produzententum war leise, beharrlich und von einer seltenen Loyalität gegenüber Stoffen und Menschen getragen – eine Haltung, die ihn zu einer moralischen Instanz der internationalen Filmkultur machte. Mitten in dieser Zeit, 1993, holte das Trauma Arthur Cohn wieder ein, als sein älterer Bruder Dodi Cohn früh verstarb. Im Kreise seiner vier Geschwister – Etti, Gabriel und Bruno – war er ihm ein täglicher Begleiter, ein Kompass im Spagat zwischen den Welten, die Arthur in sich und in seinem Alltag vereinte.

Humanistisches Kino
Zu Arthur Cohns aussergewöhnlichem Vermächtnis gehört ein in der Filmgeschichte nahezu einzigartiger Oscar-Palmarès. Als Produzent war er an sechs Filmen beteiligt, die mit dem Academy Award ausgezeichnet wurden – in unterschiedlichen Jahrzehnten, Ländern und Kategorien. Bereits früh produzierte er The Garden of the Finzi-Continis (1970, Regie: Vittorio De Sica), der 1972 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewann. Es folgten «Dangerous Moves» (1984, Regie: Richard Dembo), der 1985 ebenfalls den Oscar in dieser Kategorie erhielt. Mit «Central Station» (1998, Regie: Walter Salles) setzte Cohn seine Linie des humanistischen Kinos fort; der Film gewann 1999 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film und wurde zusätzlich für die beste Hauptdarstellerin nominiert. Den fünften Oscar erhielt Cohn für «American Dream» (1990) und den sechsten Oscar schliesslich für den Dokumentarfilm «One Day in September» (1999, Regie: Kevin Macdonald), der 2000 als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde. Sein Film über die Shoah, «The Final Solution», bewirkte nach der Arbeit von Claude Lanzmann erneut ein Bewusstsein für die Schrecken und die Aufarbeitung der Vergangenheit.

Am Freitag vor einer Woche traf die Todesnachricht von Arthur Cohn die Welt des Films, der Kultur und zahlreicher jüdischer und nichtjüdischer Gemeinschaften wie ein Schock. Cohn, der immer da war – Anlaufstelle in der grossen Welt des Films oder der kleinen Welt jüdischer Gemeinschaften, der unentwegt Brücken baute, Menschen half, innerhalb von Familie und Verwandtschaft aus einem kleinen Büro an der Basler Gellertstrasse und zuletzt von Israel aus die Welt zusammenhielt –, ist am Freitag vor einer Woche in Jerusalem verstorben. An der Levaja sprachen sein enger Freund Natan Scharanski, sein Bruder Gabriel Cohn und die drei Kinder Nurith, Marcus und Emanuel Cohn. Nurith Cohn erzählte die Geschichte von Erich Kästner, «Arthur mit dem langen Arm», die sie und alle nicht mehr loslassen würde und an der die Familie und Gemeinschaft künftig festhalten könnten. Ein Festhalten, das Arthur Cohn sein Leben lang versuchte: an Momenten, Menschen, am Leben und seinen Engsten – oft auch durch wunderbare Filme.

Yves Kugelmann