Eine Woche nach Israels spektakulärem Angriff auf den Iran bleibt offen, was für Kriegsziele erreicht werden sollen, mit welchen Partnern und wie eine Nachkriegsordnung aussehen kann – eine Analyse.
So wie es im Moment ausschaut, wird es so schnell zu keinen Verhandlungen zwischen dem Iran und den USA kommen. US-Präsident Donald Trump hat zwar noch kein grünes Licht für die eigene Armee gegeben, um in diesen Krieg mit einzusteigen, aber Israels Premier Benjamin Netanyahu ermutigt, die Angriffe fortzuführen. Was die USA genau wollen, was Trump genau will, weiss niemand, wie er sagt. Er selbst wohl auch nicht. Im Augenblick wechselt er nicht nur täglich seine Meinung, sondern manchmal sogar mehrmals pro Tag.
Allerdings muss der amerikanische Präsident einige Dinge abwägen, die für Israel nicht relevant sind, für ihn aber schon. Denn sollten die Amerikaner in den Krieg einsteigen, besteht nicht nur die Gefahr, dass der Iran US-Basen in der Golfregion angreifen und damit auch für massive Unruhe in den arabischen Anrainerstatten auslösen würde, sondern – so zumindest die Drohung von Ayatollah Khamenei – das Regime würde versuchen, die Strasse von Hormuz zu sperren, also einen der wichtigsten Seehandelswege der Welt. Die Folgen für die Ölpreise und die Weltwirtschaft wären fatal. Und wenn die US-Amerikaner an ihren Tankstellen plötzlich das Doppelte für Benzin zahlen müssten, dann wäre das für Donald Trump schlecht, um nicht zu sagen katastrophal.
Neues Kapitel
Dennoch heisst das noch lange nicht, dass er nicht doch noch in den Krieg einsteigen wird. Und wenn, dann wird ein völlig neues Kapitel eröffnet, von dem man nicht absehen kann, wie es sich entwickeln wird.
Für die Israelis stellen sich ganz andere Fragen. Da ist zunächst einmal das grosse Fragezeichen, was genau die Luftschläge bewirken und erzielen wollen. Geht es immer noch «nur» um das Atomprogramm? Und wenn ja, sind die Bombardements wirklich zielführend? Weiss der Mossad, wo sich die 400 kg auf 60 % angereichertes Uran befinden? Kann das Uran vernichtet werden, und Yellowcake, das ebenfalls angereichert werden kann und vorhanden sein soll, auch?
Oder geht es beim dem Bombardement inzwischen um mehr, wie es immer offensichtlicher wird. Israel zerstört militärische Anlagen, Fabriken, Abschussrampen und vieles mehr. Zum einen, um die Raketenangriffe auf die Heimat zu reduzieren, zum anderen, um die potentielle, konventionelle Gefahr, die vom Iran ausging, auszuschalten, so dass Israel erst einmal für Jahre Ruhe hat.
Kann es aber auch sein, dass es um Regimewechsel geht? Also um den Versuch, das Mullah-Regime wegzubomben, damit eine andere, hoffentlich bessere Regierung übernehmen kann? Das wird nicht so ohne weiteres möglich sein. Das muss das iranische Volk selbst machen. Dabei gibt es eine feine Linie, die die IAF berücksichtigen muss, soweit sie das kann. So willkommen in der Opposition der israelische Angriff ist, je mehr zivile Ziele als Kollateralschaden getroffen werden, umso mehr werden sich viele Iraner, die das eigene Regime hassen, ebenfalls angegriffen fühlen und wütend werden, dass Israel ihr Land und vor allem Teheran in Schutt und Asche legt. Da muss die israelische Regierung, also Netanyahu, sehr genau hinschauen und aufpassen, dass man sich nicht einen zukünftigen Feind herbeibombt. Das wäre, um es freundlich zu sagen, kontraproduktiv.
Was viele Israelis aber im Augenblick am meisten beschäftigt, sind die Raketenangriffe. Sie haben spürbar nachgelassen. Bei jedem neuen Angriff, werden nur noch bis zu 15 Raketen abgefeuert. Was genau bedeutet das? Geht den Iranern die «Munition» aus? Wohl kaum, Schätzungen der IDF besagen, dass mindestens 1800 ballistische Raketen und Marschflugkörper vorhanden sein müssen. Hat die Luftwaffe, wie sie behauptet, tatsächlich bereits 40 % der Abschussrampen zerstört? Das wäre ein unglaublicher Erfolg in so kurzer Zeit und würde durchaus erklären, warum kaum noch etwas in Israel ankommt.
Müde Israeli
Doch es gibt noch andere Möglichkeiten. Dass der Iran, ähnlich schon wie im acht Jahre dauernden Krieg mit dem Irak in den 1980er Jahren, Israel in einen Abnutzungskrieg hineinziehen will. Es reicht, wenn es täglich zweimal Raketenalarm gibt, möglichst nachts. Da müssten nie viel mehr als zwei Raketen abgefeuert werden, vielleicht drei oder fünf. Es würde die Israelis rasch mürbe machen. Schlafentzug, Angst und gesellschaftliche Lähmung würden die Stimmung immer explosiver machen. Aber es gäbe noch mehr Konsequenzen, beispielsweise im Flugverkehr. Welche Airline würde unter diesen Bedingungen bereit sein, Israel anzufliegen? Das hätte auf Dauer wirtschaftliche Konsequenzen. Obendrein würde bei einem solchen Szenario ein Braindrain mit rasender Geschwindigkeit einsetzen. Schon jetzt gibt es einige Hightech Unternehmen, die sich überlegen, ihre Zentrale an einen anderen Ort zu verlegen.
Auch wenn man – distanziert und objektiv – beeindruckt sein muss, was die israelische Armee und der Mossad zustande bringen, auch wenn die Erfolge dieser ersten Tage weitaus grösser sind, als es sich selbst der Generalstab vorstellen konnte, so ist dieser Krieg noch lange nicht vorbei, Israel hat ihn noch nicht gewonnen und es kann noch zu Rückschlägen und Katastrophen für die israelische Seite kommen.
Netanyahus Lebensmission
Doch sollte alles so weitergehen, sollte es schliesslich politische Schritte geben, die für Israel und die iranische Bevölkerung positiv sind, dann hätte Israel nicht nur den «zweiten Holocaust» verhindert, von dem Netanyahu immer wieder sprach, sondern er wäre dann auch die entscheidende und einzige Hegemonialmacht im Nahen Osten. Was die gesamte politische Landkarte tiefgreifend verändern würde.
Premier Netanyahu hätte seine Lebensmission erfüllt, von der er immer sprach – das jüdische Volk vor einer erneuten Vernichtung zu retten. Doch das wird ihm unmittelbar nichts nützen, der Wahnsinn in Gaza geht weiter, die Hamas ist nicht «vollständig» besiegt, niemand weiss, wie es dort weitergehen soll, täglich werden Palästinenser getötet. Und die Geiseln – sind immer noch nicht frei. Auch das wird auf das Konto des «Retters von Am Israel» gehen.