jerusalem 12. Sep 2025

Neuanfang

Auch in diesem Jahr haben die Selichot an der Klagemauer bereits begonnen: In den Nächten vor Rosch Haschana versammeln sich Tausende Beterinnen und Beter in Jerusalem, um die traditionellen Bussgebete zu sprechen. Noch weit nach Mitternacht hallen die Melodien durch die Altstadt, wenn das Volk im Chor die dreizehn Attribute Gottes anruft und gemeinsam um Vergebung bittet. Besonders eindrucksvoll ist der Moment, wenn der Vorbeter ausruft: «Adonai hu ha-Elohim!» und die Menge mit einer Stimme antwortet, so wie es einst am Berg Karmel geschah. Die Atmosphäre ist von Ernst und Hoffnung zugleich geprägt: Hoffnung auf einen Neuanfang, aber auch auf ein friedlicheres Jahr. In diesem Jahr waren auch Angehörige von Geiseln sowie ehemalige Geiseln unter den Anwesenden, ihre Teilnahme verlieh den Gebeten eine zusätzliche Schwere und Dringlichkeit. So verbinden sich bei den Selichot persönliche und kollektive Bitten um Erbarmen, Trost und Frieden. Die Selichot an der Klagemauer sind längst ein fester Bestandteil der Feiertagszeit und ein Ritual, das Vergangenheit und Gegenwart verbindet und inmitten von Unsicherheit und Schmerz zugleich Kraft, Zusammenhalt und Hoffnung spendet.

Emily Langloh