Das Jüdische Logbuch 15. Mär 2019

Fasnachtspurimspiel

Basel, März 2019. Drei Tage und Nächte Poesie, drei Tage und Nächte Basler Liturgie, drei Tage und Nächte politische Pointe. Jährlich reisen Heimwehbasler aus aller Welt für die Basler Fasnacht ans Rheinknie. Auf die Stadt konnten sie verzichten, auf die Fasnacht nicht. Darunter viele jüdische Baslerinnen und Basler aus Israel, USA und von anderswo. Die Basler Fasnacht ist für viele Juden in Basel ein zentraler Identifikationspunkt.

Erstaunlich, da sich die jüdische Gemeinschaft in anderen Ländern oftmals von der Stadtkultur geradezu fernhält – oder zumindest ferngehalten wird. Oft historisch bedingt, oft auch innerjüdisch dämonisiert oder als Assimilation verschrien. Nach Tagen der Debatten um Äusserungen von Annegret Kramp-Karrenbauer beim deutschen Karneval öffnet die Basler Fasnacht wohltuend das Ventil grenzenlos und thematisiert offen und gerade aus falsch verstandener politischer Korrektheit. Da findet sich das Sujet «Nätt pfläggt – politisch korräggt» oder eine fulminante Laterne zur Schweizer Waffenlobby «brutal neiidral», dort die Pointe zur Debatte um die Basler Guggenmusik Negro «Pigmentirti Gugge mit Migrante Hindergrund». Dann die Schnitzelbank, die von Adam handelt, bei dem Gott sich entschuldigt: «Sorry, ich ha dir s’Evi gemacht, wäge dr Frauenquote.» Darüber hinaus neben Lokal- und Gesellschaftpolitischem: Ökologie, Wandel in der westlichen Welt, Blick auf demokratische und andere Despoten allenthalben. Das Fastnachtsspiel, das es in dieser Dichte, Prägnanz, Tradition und auf diesem hohen Niveau kaum sonst gibt, ist Teil einer Liberalität – oder hat sie sogar mitbegründet –, die letztlich auch in der Moderne Basis für gegenseitige Integrationsbewegungen in einem offenen und inzwischen fast grenzenlos gewordenen Raum darstellt. In der Regel folgt im Kalender Purim auf die Basler Fasnacht und vereint in Basel oft beide mittlerweile untrennbar vereinte Traditionen. Das über Jahrhunderte sehr verbreitete «Purimspiel» ist hierbei fast nahezu in Vergessenheit geraten. Es ist eines der ganz wenigen Volkstheater, das über 1000 Jahre in der europäischen Kultur überlebt hatte. Durch die Integration von Texten, Theater, Musik, Tanz, Liedern, Mimen und Kostümen gilt das Purimspiel als Ursprung des jiddischen Theaters. Der Begriff stammt aus Mitte des 15. Jahrhunderts und war unter den aschkenasischen Juden verbreitet. In Ostrumänien und einigen anderen Teilen Osteuropas hatten sich Purimspiele im 18. Jahrhundert zu weitreichenden Satiren mit Musik und Tanz entwickelt, für die die Geschichte von Esther kaum mehr als ein Vorwand war: In der Mitte des 19. Jahrhunderts basierten sie auch auf anderen Geschichten, wie zum Beispiel jener von Joseph, der von seinen Brüdern verkauft wurde. Da Satire für die Synagoge selbst als unangemessen galt, wurden diese Spiele üblicherweise ausserhalb ausgeführt. Zugleich gibt die Tradition Einblick in eine frühe Form von Satire, die immer auch Widerstand und den Drang zur inneren Freiheit offenlegt, eine Freiheit, die durch Obrigkeiten verwehrt, durch Religion nicht automatisch gegeben war. Eine Freiheit, die schon in den Diskursen Abrahams, dem Aufbegehren Moses’ oder etwa Dinas mythologisch fest verankert ist. Dort, wo die Tradition heute noch – vor allem in den USA – praktiziert wird, zeigt sich das Purimspiel in Synagogen als informelle Theaterproduktion mit kostümierten Teilnehmern, oft auch Kindern. Die Purimspiele enthalten oft Parodien von Volksliedern oder bekannten Musicals. Die Basler Fasnacht sowie Purim können als Freiheitsbewegungen verstanden werden, die nicht begrenzte Freiheitsräume von Obrigkeiten bespielten, sondern umgekehrt jenen Grenzen auferlegt haben und eine geistige Tradition forttragen, die unentbehrlich für die funktionierende Demokratie ist: das freie Wort in politischem, kulturellem oder auch religiösem Kontext.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann