Rom 08. Mai 2025

Wird der erste US-Papst Brückenbauer zwischen Judentum und Katholizismus?

 Papst Leo XIV nach seiner Ernennung am Donnerstagabend auf dem Petersplatz im Vatikan. 

Von der katholischen Theologie in Chicago bis zum Heiligen Stuhl – mit Papst Leo XIV. zieht erstmals ein Amerikaner in den Vatikan ein. Für viele jüdische Stimmen weltweit ist das mehr als ein historisches Novum: Es ist eine Hoffnung.

Vatikanstadt/Jerusalem/Washington – Als am 8. Mai 2025 weißer Rauch über dem Petersdom aufstieg und der neue Papst unter dem Namen Leo XIV. der Weltöffentlichkeit vorgestellt wurde, richtete sich auch der Blick vieler jüdischer Gemeinden weltweit auf Rom. Denn hinter diesem Pontifikat steht mehr als eine geographische Premiere – es steht auch eine Biographie, die eng mit dem jüdisch-katholischen Dialog des 20. Jahrhunderts verwoben ist.

Der 69-jährige Augustiner Robert Francis Prevost aus Chicago, der fortan als Leo XIV. die Geschicke der katholischen Weltkirche leitet, wurde theologisch geprägt von einem der bedeutendsten Pioniere des jüdisch-christlichen Gesprächs: dem katholischen Priester und Theologen John T. Pawlikowski. Dieser war nicht nur Mitbegründer des Catholic-Jewish Studies Program an der Catholic Theological Union (CTU), sondern auch langjähriges Mitglied im Beirat des U.S. Holocaust Memorial Museum. In den 1970er und 1980er Jahren unterrichtete er dort Prevost – und prägte ihn mit einer Lehre, die von der tiefen Anerkennung der jüdischen Wurzeln des Christentums und dem Willen zur Versöhnung nach der Shoah durchdrungen war. Pawlikowski beschreibt seinen ehemaligen Schüler heute als „offen, zuhörend und im Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils verwurzelt“. Für ihn sei Leo XIV. ein Papst, der das in Nostra Aetate formulierte Bekenntnis zur Überwindung des Antisemitismus nicht nur formal anerkennt, sondern als persönliche Verpflichtung begreift.

„Build bridges through dialogue“ – Brücken bauen durch Dialog: So lautete eine der zentralen Botschaften in der ersten öffentlichen Rede Leo XIV. als Papst. Für viele jüdische Stimmen in den USA und Europa ist dies mehr als ein wohlfeiler Appell. Es wird als programmatischer Auftakt gelesen – gerade im 60. Jubiläumsjahr von Nostra Aetate, jener wegweisenden Erklärung, mit der die katholische Kirche 1965 ihr Verhältnis zum Judentum grundlegend revidierte. Rabbi Noam Marans vom American Jewish Committee (AJC) betont, dass gerade die Herkunft Leo XIV. aus den Vereinigten Staaten bedeutungsvoll sei. „Die USA sind das weltweit bedeutendste Zentrum für jüdisch-katholische Beziehungen“, sagt Marans. Die Präsenz jüdischen Lebens, die Vielzahl interreligiöser Bildungsstätten und die institutionelle Zusammenarbeit in sozialen und politischen Fragen hätten den Boden bereitet für ein tiefes gegenseitiges Verständnis. Dass nun ein Papst aus diesem Kontext kommt, sei nicht nur symbolisch relevant – es könne konkrete Folgen für den interreligiösen Dialog weltweit haben.

Auch Rabbi Joshua Stanton, ein führender Vertreter der Jewish Federations of North America, äußerte sich hoffnungsvoll. Er interpretiert die Berufung Leo XIV. als Chance, jüdische Stimmen wieder häufiger in den Dialog mit der Kirche einzubinden. „Ich wünsche mir, dass Papst Leo jüdische Führungspersönlichkeiten in den Vatikan einlädt, wie es Johannes Paul II. und Benedikt XVI. getan haben“, so Stanton. Gerade in einer Zeit zunehmender religiöser Instrumentalisierung in politischen Konflikten könne der Vatikan ein globales Zeichen der Verständigung setzen. Ob Leo XIV. diese Erwartungen erfüllen kann, bleibt offen. Bisher trat er nicht explizit als Stimme im jüdisch-katholischen Austausch in Erscheinung. Als Bischof und später Kardinal war er vor allem in Peru tätig – einem Land mit geringer jüdischer Bevölkerung. Auch als Präfekt der Bischofskongregation in Rom seit 2023 lag sein Fokus eher auf innerkirchlichen Verwaltungsfragen als auf interreligiösen Beziehungen.

Dennoch: Seine theologische Sozialisation in Chicago und sein Engagement für soziale Gerechtigkeit – insbesondere in lateinamerikanischen Armutsvierteln – deuten auf eine tiefe Verwurzelung in den Prinzipien der Gleichheit, Toleranz und Dialogbereitschaft hin. Eigenschaften, die im jüdisch-christlichen Gespräch unerlässlich sind. Der Vorsitzende des International Jewish Committee for Interreligious Consultations (IJCIC), Rabbi David Rosen, nannte die Wahl Leo XIV. eine „ermutigende Entwicklung“, warnte aber zugleich vor überzogenen Hoffnungen. „Was zählt, ist nicht die Herkunft, sondern das Handeln. Der interreligiöse Dialog lebt von persönlichen Gesten und institutioneller Beständigkeit.“

2025 bietet der Kirche und der jüdischen Welt gleich mehrere symbolträchtige Gelegenheiten: 80 Jahre nach dem Ende des Holocaust und 60 Jahre nach Nostra Aetate ist das historische Gedächtnis wieder besonders präsent. Die Shoah, einst Auslöser eines Paradigmenwechsels in der Haltung der Kirche zum Judentum, bleibt ein Prüfstein jeder ernstgemeinten Verständigung. Papst Leo XIV. wird sich daran messen lassen müssen, ob und wie er diesen historischen Auftrag annimmt. Die jüdische Welt blickt mit vorsichtigem Optimismus auf dieses Pontifikat – in der Hoffnung, dass aus der biographischen Nähe zur jüdischen Geschichte und Gegenwart ein echtes Programm wird: ein Programm der Anerkennung, des Austauschs und der gemeinsamen Verantwortung in einer zerrissenen Welt.

Ben Sales