zur lage in israel 10. Jan 2025

Wer greift wen wann wie an?

Teheran, Jerusalem und Washington tanzen umeinander in der Frage, ob der grosse Krieg zwischen diesen Ländern in Kürze ausbrechen wird. Alle Seiten sind nervös und planen ihre nächsten Schritte, in der Hoffnung, zu verstehen, was die anderen vorhaben.

Israelische Experten warnen die eigene Regierung. Sie sehen die Gefahr, dass der Iran schon in Kürze einen Totalangriff auf Israel ausführen könnte. Als Beleg dafür nennen sie die immer aggressivere Sprache, die das Regime in Reden und Ansprachen an das eigene Volk und in den Medien verwendet. Angeblich würden sogar schon Vorbereitungen auf einen Angriff getroffen werden. Dabei ist Teheran heute schwächer denn je. Seine «Achse des Widerstands» ist zusammengebrochen: Die Hamas ist militärisch geschlagen, die Hizbollah massiv geschwächt, Syrien gefallen, der «irakische Widerstand» hat von sich aus angekündigt, keine Angriffe mehr auf Israel durchzuführen. Bleiben nur noch die Huthi. Die sind zwar ein Problem, aber nicht wirklich existenzbedrohend für Israel. Also bleibt nur der Iran selbst. Nur, warum sollte das Land, dessen komplette Flugabwehr beim zweiten israelischen Angriff zerstört wurde, ausgerechnet jetzt einen Krieg gegen Israel entfachen wollen?

Die Gründe sind mannigfaltig. Zum einen ist da noch eine offene Rechnung. Die Mullahs hatten nach Israels taktisch perfekt ausgeführtem Luftangriff vor wenigen Wochen Vergeltung angekündigt, die bislang aber ausgeblieben ist. Möglicherweise will man nicht als Papiertiger dastehen. Hinzu kommt das Zeitfenster, das dem Regime zur Verfügung steht. US-Präsident Joe Biden ist nur noch zwei Wochen im Amt. Möglicherweise rechnet man damit, dass bei einem massiven Angriff auf Israel jetzt die USA keinen Vergeltungsschlag mehr durchführen werden. Was unter Trump ab dem 20. Januar ganz anders ausschauen könnte. Schliesslich könnte da auch noch der Wunsch sein, die eigene Abschreckung wiederherzustellen, Israel empfindlich zu treffen und damit wenigstens ein klein wenig den Nimbus einer Regionalmacht vorgaukeln.

Doch ob diese Rechnung aufgehen würde? Natürlich verfügt der Iran noch über weit mehr als 1000 ballistische Raketen. Bereits ab ca. 300 gleichzeitig abgefeuerten Raketen bekäme die israelische Luftabwehr massive Probleme, Israel wäre wieder auf die Unterstützung der USA und anderer Partner angewiesen, wie schon bei den beiden ersten Angriffen Teherans. Wenn man sich ganz schnell zu einer dritten Attacke entscheiden würde, könnten die Vorbereitungen für die Abwehr möglicherweise unterlaufen werden.

Ist das wirklich so? Israels Armee behauptet, alle Eventualitäten im Blick zu haben und jederzeit reagieren zu können. Auch jetzt sei man auf alles bestens vorbereitet, heisst es. Joe Biden hat zumindest alles in Stellung bringen lassen, damit die US-Army den Iran theoretisch sofort bombardieren könnte. Ein Angriff Teherans könnte dann möglicherweise doch das endgültige militärische Aus für die Mullahs bedeuten – sogar noch in der Ära Biden. Der Iran ist bereits jetzt wirtschaftlich am Rande des Kollaps, gezielte Luftangriffe Israels oder der USA auf Ölanlagen und andere entscheidende Infrastruktur würden das Land lähmen, von den Nuklearanlagen gar nicht zu reden.

Diese spielen natürlich in jeder Hinsicht eine grosse Rolle. Denn immer noch überlegt Ayatollah Khamenei, ob er den Befehl zum Durchbruch hin zur Atommacht geben soll. Insofern ist auch für Israel das Zeitfenster eng, ebenso für die USA. Ein atomar aufgerüsteter Iran wäre nicht nur für den Nahen Osten eine Gefahr, sondern für die ganze Welt. Das ist am Beispiel Nordkoreas zu sehen. Vielleicht wäre es Israel recht, wenn das Regime jetzt den Befehl zum Angriff auf Israel geben würde. Es hätte dann gute Gründe, um das «Problem» ein für allemal auszuschalten. Ob das aber noch mit Joe Biden wirklich zu machen ist? Wahrscheinlicher ist, dass Premier Netanyahu lieber auf Donald Trump wartet. Auf ein paar Wochen kommt es nicht mehr an.

Wobei völlig unklar ist, was Trump wirklich tun will, tun wird. Auf seinem Social-Media-Account bei «Truth social» postete er einen Clip eines Professors der Columbia-Universität, der Netanyahu einen «dunklen Sohn einer Hure» nennt, der «obsessiv» damit beschäftigt sei, die USA in einen Krieg mit dem Iran hineinzuziehen. Dies zu posten kündigt nicht wirklich davon, dass Trump nur darauf wartet die Mullahs in die Steinzeit zu bomben, im Gegenteil.

Doch wie so oft bei Trump, weiss man am Montag nicht, was er am Dienstag will und am Mittwoch tut. Welche Strategie – wenn es denn eine gibt – er wirklich im Nahen Osten verfolgen wird, bleibt im Augenblick ein Enigma. Dass er hofft, in der Region endlich Frieden zu schaffen, eine Neuordnung der Verhältnisse, ist klar. Sein Traum: Den Friedensnobelpreis zu bekommen, ebenso wie ein von ihm gehasster Vorgänger im Amt, Barack Obama. Doch für eine Friedensordnung muss er den Iran bezwingen. Mittels eines Vertrages, der aber diesmal so fundiert sein muss, dass aus Teheran keine echte Gefahr mehr droht, oder eben doch mittels eines Angriffs auf die Nuklearanlagen des Regimes.

Es sind sehr viele Wenns und Abers in all diesen Überlegungen, die davon zeugen, wie nervös die Situation im Nahen Osten ist und wie alle Seiten wohl ununterbrochen versuchen, die Pläne des Feindes zu «lesen» und zu verstehen. Möglicherweise sind die markigen Worte, die man derzeit aus Teheran hört, nur das laute Bellen eines Hundes, der nicht beissen kann oder will.

Bleibt Premier Netanyahu. Was will er? Will er einen Krieg mit dem Iran? Dafür wird er auf alle Fälle das Einverständnis Donald Trumps benötigen. Wird er es bekommen? Wird er es schaffen, Trump von seinen Plänen zu überzeugen, wenn er tatsächlich vorhaben sollte, das iranische Atomprogramm zu pulverisieren?

Am Ende geht es jedoch immer nur um die eine entscheidende Frage: Was wollen die USA tun? Was will Donald Trump? Der ist im Augenblick mit dem Panamakanal, der Einverleibung Kanadas und des Kaufs von Grönland in seinen Reden beschäftigt. Ist das lustig? Nein. Bei diesem Mann mit der neuen radikalen Entourage muss man solche Absurditäten ernst nehmen. Ernst muss man aber auch einen Satz Trumps nehmen, den er nun seit Wochen immer wiederholt: Sollten die Geiseln von der Hamas nicht bis zu seinem Amtsantritt freigelassen werden, dann «werde die Hölle ausbrechen». Und das kann nur zweierlei bedeuten: Die US-Armee wird in Gaza mit in den Krieg einsteigen, was allerdings kaum vorstellbar ist. Oder die US-Air Force wird Teherans strategische Ziele doch ins Visier nehmen und zuschlagen. Wie gesagt, bei Trump ist in Zukunft alles denkbar. Dies oder das Gegenteil.

Richard C. Schneider ist Journalist und redaktioneller Mitarbeiter von tachles.

Richard C. Schneider