Israel ist im Krieg mit dem Iran. Die Welt blickt noch immer sprachlos auf die sensationellen Erfolge der israelischen Armee, insbesondere des Mossad und der Luftstreitkräfte, die seit der Überraschungsattacke vergangene Woche auf Nuklearstandorte und Kommandeure der iranischen Terrormaschinerie Erfolg um Erfolg verbucht. Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran wurde im Vorfeld der gegenwärtigen militärischen Auseinandersetzung aufgrund der Kräfteverhältnisse oft als Kampf zwischen David und Goliath bezeichnet. Israel ist mit seinen 22 000 Quadratkilometern flächenmässig ein Klecks gegenüber dem 75-mal grösseren Iran. Punkto Bevölkerung ist der Iran neunmal grösser als der Israel, und auch die iranische Armee ist auf dem Papier viel grösser als jene Israels. Es gibt jedoch weitere Parallelen zwischen dem gegenwärtigen Krieg und der Episode um David und Goliath. Untersuchen wir die biblische Geschichte auf chronologische Weise:
«Die Philister aber versammelten ihre Heere zum Streit und zogen zusammen bei Socho in Juda» (1 Samuel 17:1). Es waren ausdrücklich die Philister, die sich zum Kampfe gegen die Israeliten versammelten. Sie waren die Initiatoren der Auseinandersetzung. Gleichermassen arbeiteten die Iraner seit Jahren an ihrem Atomprogramm, um Israel zu vernichten.
«Und die Philister standen am jenseitigen Berge, die Israeliten aber am diesseitigen Berge, so dass das Tal zwischen ihnen lag. Da trat aus dem Lager der Philister ein Zweikämpfer hervor, namens Goliath von Gat, sechs Ellen und eine Spanne hoch» (17:3–4). Goliaths Körpermasse war unvergleichlich grösser als jene des kleinen David, metaphorisch ein Ausdruck der oben ausgeführten Kraftverhältnisse zwischen dem grossen Iran und dem kleinen Israel.
«Er hatte einen ehernen Helm auf seinem Haupt und trug einen Schuppenpanzer, und das Gewicht seines Panzers betrug fünftausend Schekel Erz. Und er hatte eherne Schienen an seinen Beinen und einen ehernen Wurfspiess zwischen seinen Schultern (…), die Spitze seines Speers wog sechshundert Schekel Eisen und sein Schildträger ging vor ihm her» (17:5–7). Der Iran hat sich militärisch jahrelang auf den Konflikt mit Israel vorbereitet. Milliarden von Dollar wurden in die eigene Ausrüstung und jene ihrer Stellvertreter («Schildträger») wie etwa der Hisbollah-Miliz zur Bekämpfung Israels gebuttert.
«Und er stellte sich hin und rief den Schlachtreihen Israels zu und sprach zu ihnen: Was seid ihr ausgezogen, euch für den Streit zu rüsten? Bin ich nicht ein Philister, und ihr seid Schauls Knechte? (…) Ich habe am heutigen Tag den Schlachtreihen Israels Hohn gesprochen; gebt mir einen Mann und lasst uns miteinander kämpfen!» (17:8–10). Goliath war schrecklich arrogant und sich seines Sieges sicher. Auch die iranische Führung zeichnete sich durch Überheblichkeit aus: Sie scheute sich nicht, die Zerstörung Israels offiziell anzukündigen. Bekannt ist die grosse digitale Uhr auf dem Palästina-Platz in Teheran, die sogenannte Israel-Restzeituhr, welche im Countdown die vermutete maximale Restlaufzeit des Staates Israel bis zu dessen «vorbestimmter» Zerstörung im Jahre 2040 herunterzählt. Auch in den letzten Wochen trieben die Iraner ihre arroganten taktischen Spielchen weiter: Atomgespräche weiterführen und Zeit schinden, während man im Stillen, langsam aber sicher, den Bau an der Atombombe vollenden kann.
«Als Schaul und ganz Israel diese Rede des Philisters hörten, entsetzten sie sich und fürchteten sich sehr» (17:8–10). Die Angst vor dem grossen und unausweichlichen Krieg mit dem Iran, der existenziellen Bedrohung des jüdischen Staates, war seit rund zwei Jahrzehnten im tiefen Bewusstsein der Israelis.
«Und Schaul sprach zu David: Geh hin, Gott sei mit dir!» (17:37). Der König ernennt den furchtlosen David als jenen Kämpfer, der es mit Goliath aufnehmen soll. Vielleicht ist es kein Zufall, dass der gegenwärtige Mossad-Chef Barnea zum Vornamen auch David heisst.
«Als nun der Philister den David sah und beschaute, verachtete er ihn; denn er war ein Knabe (…). Und der Philister sprach zu David: Bin ich denn ein Hund, dass du mit einem Stecken zu mir kommst? Und der Philister fluchte David bei seinem Gott und sprach zu David: Komm her zu mir, ich will dein Fleisch den Vögeln des Himmels und den Tieren des Feldes geben! (…) David aber sprach zu dem Philister: Du kommst zu mir mit Schwert, Speer und Wurfspiess; ich aber komme zu dir im Namen (…) des Gottes der Heerscharen Israels, den du verhöhnt hast!» (17:42-46). Goliath nimmt David weder theologisch noch strategisch ernst und lässt sich von diesem in die Irre führen. Auch die Iraner sind in der vergangenen Woche in die brillante Täuschungsfalle Israels getappt und haben sämtliche Zeichen eines anstehenden israelischen Militärschlags ignoriert.
«Und David steckte seine Hand in die Tasche und nahm einen Stein daraus und schleuderte und traf den Philister an der Stirn, sodass der Stein in seine Stirn fuhr und er auf sein Angesicht zur Erde fiel. So überwand David den Philister mit der Schleuder und mit dem Stein und schlug ihn und tötete ihn» (17:49–50). David überwältigte Goliath allem voran nicht durch seine Muskeln, sondern durch sein Köpfchen. Er erkannte Goliaths Schwachstelle und besiegte ihn durch eine gezielte Attacke und ein präzises Timing. Genauso ist Israel vergangene Woche beim Präventivschlag gegen den Iran vorgegangen.
«Als aber die Philister sahen, dass ihr Stärkster tot war, flohen sie. Und die Männer von Israel und Juda machten sich auf und erhoben ein Kriegsgeschrei und jagten den Philistern nach, bis man in die Ebene kommt» (17:52). Das unglaubliche Bild der Massenflucht Hunderttausender von Iranern aus ihrer Hauptstadt aufgrund israelischer Angriffe hätte vor zehn Tagen, geschweige denn zwei Jahren, kein Mensch für möglich gehalten.
David und Goliath 2025. Wir erleben in der Tat historische Zeiten biblischen Ausmasses.
Emanuel Cohn unterrichtet Film und Talmud und lebt in Jerusalem.
Talmud heute
20. Jun 2025
David und Goliath 2025
Emanuel Cohn