genf 06. Jun 2025

Von Partnerschaft zu Polarisierung

Jacques Ehrenfreud wehrt sich und übt Kritik.

Die Universität Genf beendet eine strategische Partnerschaft mit der Hebräischen Universität – jüdische Hochschulangehörige reagieren scharf.

Mitten in einer Phase erhöhter Spannungen und propalästinensischer Proteste an Schweizer Hochschulen hat die Universität Genf einen Schritt unternommen, der starke Reaktionen ausgelöst hat: Am 3. Juni kündigte sie an, die langjährige strategische Partnerschaft mit der Hebräischen Universität Jerusalem vorzeitig zu beenden. Auch der Austauschvertrag mit der Tel-Aviv-Universität, gültig bis Februar 2026, soll nicht verlängert werden. Die politischen Hintergründe werden nicht ausdrücklich benannt, doch Zeitpunkt und begleitende Aussagen werfen Fragen auf.

In ihrer offiziellen Mitteilung spricht die Universität von einer strukturellen Neuausrichtung weg von bilateralen «strategischen Partnerschaften» hin zu breiteren, multilateral eingebetteten Netzwerken. Stark betont wird, dass man sich institutionell aus politischen Debatten heraushalten wolle. Diese «institutionelle Zurückhaltung» sei eine Grundbedingung für freie Meinungsäusserung. Zugleich äussert die Universität aber auch «tiefe Besorgnis über die humanitäre Situation in Gaza» und fordert insbesondere die israelische Regierung zur Einhaltung des Völkerrechts auf. Rektorin Audrey Leuba wies in einem Interview mit dem Sender RTS den Vorwurf politischer Parteinahme zurück. Die Entscheidung sei Ergebnis eines mehrmonatigen Konsultationsprozesses mit einem Expertengremium zur Rolle von Hochschulen im öffentlichen Diskurs. Die Universität wolle kein politischer Akteur sein, sondern ein Raum für offene, pluralistische Debatten bleiben.

Kritik an der Entscheidung
Alfred Bodenheimer, Judaistikprofessor und Leiter des Zentrums für Jüdische Studien an der Universität Basel, widerspricht: Wer unter dem Druck von Besetzungen und Protesten Kooperationen mit israelischen Universitäten kappt, könne sich nicht auf Neutralität berufen. «Das ist eine verfälschte Darstellung», so Bodenheimer. Gemeinsam mit Jacques Ehrenfreund, Professor für Jüdische Geschichte an der Universität Lausanne, leitet er den Verein zur Unterstützung jüdischer Hochschulangehöriger in der Schweiz (JUMS). In einer Stellungnahme vom 4. Juni kritisiert JUMS die Entscheidung als einseitig und politisch motiviert. Wörtlich heisst es: «Das bedingungslose Kapitulieren vor den Forderungen antiisraelischer Agitatorinnen und Agitatoren ist der bisher letzte Schritt in einer Politik der Nachgiebigkeit, die schon seit Monaten eine beinahe ungehinderte Präsenz dieser Kreise an der Universität erlaubt.» Der Verein warnt zudem vor den Folgen eines akademischen Boykotts, der eine Delegitimierung Israels spiegle, deren Konsequenzen letztlich auch der palästinensischen Bevölkerung schaden. Bodenheimer betont: «Gerade Israels Universitäten sind Orte, an denen Demokratie und Koexistenz gelebt werden. Wer sie schwächt, stärkt genau jene Kräfte, die beides ablehnen. Es entsteht eine selbsterfüllende Prophezeiung: Antidemokratische Stimmen gewinnen an Einfluss, während Befürworter von Offenheit und Wissenschaft an Boden verlieren und genau das geschieht, was man angeblich verhindern will.» JUMS kritisiert zudem, dass die Universitätsleitung die zunehmenden Bedrohungsgefühle jüdischer Studierender und Forschender ignoriere. Eine Gesprächsanfrage vom 13. Mai an Rektorin Leuba, ausgelöst durch Berichte aus der jüdischen Hochschulgemeinschaft, sei unbeantwortet geblieben.

Bereits im Vorfeld hatte sich das Klima auf dem Campus zugespitzt. Eine von Studenten organisierte Ausstellung verglich Gaza mit Auschwitz, was veranlasste, dass mehrere Professoren sich mit der Bitte um Intervention an JUMS wandten. «Wir wollten deutlich machen, dass dieser Vergleich absolut inakzeptabel ist», so Ehrenfreund. Doch auch hier folgte keine Reaktion. Stattdessen betonte Leuba in einem offenen Brief die Meinungsfreiheit als übergeordnetes Prinzip. Im Mai kam es auch erneut zu Besetzungen von Universitätsgebäuden durch propalästinensische Aktivisten, die das Ende aller Kooperationen mit israelischen Institutionen forderten. Auch hier griff die Universitätsleitung nur zurückhaltend ein. Ehrenfreund spricht von einem «Autoritätsverlust gegenüber radikalen Gruppen».

Problem Romandie
Ähnliche Szenen spielten sich in Lausanne ab. Am Dies Academicus am 23. Mai stürmten Aktivisten propalästinensischer Gruppen den Festsaal und unterbrachen den Festakt. Redner – darunter der Rektor der Universität Lausanne, Frédéric Herman, und Bildungsdirektor Frédéric Borloz – wurden als «Komplizen des Genozids» bezeichnet. Laut Bodenheimer und Ehrenfreund zeigen sich in der Romandie deutlich andere Tendenzen als in der Deutschschweiz. Während jüdische Stimmen in Basel oder Zürich Gehör fänden, stossen sie in Genf und Lausanne auf Ignoranz. «Dass eine Rektorin auf derartige Anfragen nicht reagiert, ist uns in der Deutschschweiz noch nie passiert», so Bodenheimer. Ehrenfreund ergänzt: «Die Situation ist extrem. Universitäten handeln nicht mehr, auch wenn jüdische Stimmen offen angegriffen werden.»

Die Vorfälle und der Umgang der Universitäten damit zeichnen ein Bild wachsender Radikalisierung und zunehmender Sprachlosigkeit gegenüber jüdischen Anliegen. Damit werden grundsätzliche Fragen über den Zustand der akademischen Kultur und die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit antisemitischen Tendenzen aufgeworfen. Was als institutionelle Zurückhaltung deklariert wird, wirkt wie Kapitulation. Ehrenfreund bilanziert: «Wir bedauern sehr, dass die Universität Genf dem Druck nicht standgehalten hat. Es ist ein beunruhigendes Signal, dass eine kleine Gruppe radikaler Studierender imstande war, eine grundlegende Beziehung zu einer der wichtigsten Universitäten der Welt zu zerstören.»

Emily Langloh