Zürich 23. Okt 2025

Richtungswahl in der ICZ?

Arthur Braunschweig (links) und Edi Rosenstein (rechts) kandidieren gemeinsam als Co-Präsidenten der ICZ.

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich Anfang Dezember ist es noch ruhig – doch die Ausrichtungsdebatte ist in Gange

Am 8. Dezember wählen die Mitglieder der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) ein neues Präsidium. ICZ-Präsident Jacques Lande, der seit 2019 im Amt ist, wird kein weiteres Mal antreten. Die Wahl fällt in eine Zeit, die auch für die Zürcher Gemeinde herausfordernd ist. In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Debatten aufgrund verschiedener Standpunkte im Hinblick auf die Situation in Israel und Gaza (tachles berichtete). Zudem ist die Sorge über den ansteigenden Antisemitismus auch in der ICZ ein Thema und die Gemeinde arbeitet an einer «Vision 2030», die vom neuen Präsidium umgesetzt werden soll.
Bisher haben sich zwei Kandidaten ins Spiel gebracht, die zusammen als Co-Präsidenten ins Rennen gehen möchten: Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein. Auch der Name Robert Bloch wird als ein möglicher Kandidat genannt, er sagt aber auf Anfrage: «Derzeit ist noch kein Entscheid über meine Kandidatur gefallen.» Daher hat tachles vorerst mit Braunschweig und Rosenstein das Gespräch gesucht, in dem sich die beiden auffallend einig sind, auch als es um die Frage nach der Motivation für die Kandidatur geht. Braunschweig sagt, die ICZ liege ihm am Herzen: «Sie ist meine jüdische Heimat.» Er sei sein ganzes Leben, abgesehen von den Zeiten, in denen er im Ausland war, aktiv und engagiert in der ICZ gewesen. Sei es als Leiter im Jugendbund, als Präsident der GRPK oder als Mitglied der Rabbinersuchkommission. Zudem singe er seit etwa 30 Jahren im Synagogenchor. «Ich habe jetzt die Möglichkeit, etwas zurückzugeben, und kann es mir jetzt auch einrichten. Für mich ist die Möglichkeit eines Co-Präsidiums Teil meiner Motivation und ein Plus.» Rosenstein nickt zustimmend und sagt daraufhin: «Ich hatte jetzt das Gefühl, ich höre mein Echo. Ich kann jedes Wort unterstreichen.» Auch er sei ein Kind der ICZ und in der Gemeinde sozialisiert worden. «Mein Vater war ICZ-Präsident, ich wuchs in einer sehr jüdisch bewussten, nicht religiösen, Familie auf.» Auch Rosenstein war im Jugendbund und unter anderem über 30 Jahre sehr engagiert in der Sikna. «Ich möchte dieser Institution etwas zurückgeben. Die Zeit stimmt für mich ebenso wie für Arthur und ich kann mir das Co-Präsidium in der jetzigen Konstellation sehr gut vorstellen.» 
Was auf den ersten Blick nach grosser Einigkeit und daher auch nach einer sinnvollen Lösung klingt, stösst innerhalb der ICZ nicht nur auf Zustimmung. So äussert sich der ehemalige ICZ-Präsident André Bollag auf Nachfrage skeptisch über ein Co-Präsidium an sich. Er habe die Erfahrung gemacht, dass dies keine gute Lösung und auch nicht effizient sei. Aus seiner Sicht mache ein Co-Präsidium vielleicht Sinn, wenn sich zwei Kandidaten aufstellen lassen, die eine unterschiedliche Ausrichtung oder ein unterschiedliches Alter haben. «Dann könnte sich das Co-Präsidium gut ergänzen. Wenn zwei Personen aber ohnehin auf einer Linie sind, finde ich ein Co-Präsidium nicht zielführend», so Bollag.
Braunschweig ist anderer Ansicht. Er sagt: «Uns beiden scheint ein Co-Präsidium eine gute Form der Führung zu sein – gerade bei einer ehrenamtlichen Leitung. Dies sehen heute ja einige Institutionen so. Man ergänzt sich und kann sich bei Bedarf ersetzen. Es steht insgesamt mehr Kapazität zur Verfügung, und die Qualität von Entscheiden ist besser. Wir sehen das Co-Präsidium als echten Vorteil.» Und Rosenstein sieht gerade die Einigkeit beider als Vorteil: «Für ein Co-Präsidium ist es wichtig, dass die Kommunikation zwischen den zwei Personen und die Chemie stimmen. Das können wir für uns klar bejahen.»
Beide sind sich über die Herausforderungen der aktuellen Zeit bewusst. Rosenstein sagt: «Der 7. Oktober hat nicht nur in Israel und in den palästinensischen Gebieten in Gaza sehr grosses Leid gebracht. Er hat auch innerhalb unserer Gesellschaften zu Zerwürfnissen und Gräben geführt.» Der 69-Jährige denkt, dass es ein wichtiger Teil seiner Aufgabe sein wird, diese Gräben wieder zuzuschütten. «Wir möchten dafür sorgen, dass wir als ICZ, welche ein Melting Pot von verschiedenst gelagerten Mitgliedern ist, wieder näher zusammenrücken und uns finden.» Der Konflikt, der auch innerhalb der ICZ stattfinde, sollte vielmehr gegen Antisemitismus und Antizionismus gerichtet werden, anstatt gegenüber den eigenen Mitgliedern, so Rosenstein. Braunschweig fügt an: «Wir waren an rechtsextremen Antisemitismus gewöhnt, seit dem 7. Oktober ist nun der linke Antisemitismus stark spürbar. Er paart sich mit dem Teil des Islamismus, der auch antisemitisch ist.» Aus Sicht des 66-Jährigen sei das «zersetzend» für unsere freie Gesellschaft. «Damit müssen wir umgehen. Es gibt ein grosses Bedürfnis nach Austausch, nach Gesprächen und nach Klärung. Die Kommunikation mit den Mitgliedern wird uns ein grosses Anliegen sein. Hier hat der 7. Oktober auch unsere Gemeinde stark beeinflusst und teilweise auch überfordert.»
Bei den beiden Kandidaten stellt sich die Frage, ob es nun einen politischen Richtungswechsel in der ICZ geben wird. Rosenstein räumt ein, dass von gewissen Kreisen moniert werde, sie seien links und antiisraelisch. Aber: «Wer uns kennt, weiss, dass dies nicht stimmt. Wir sind eng mit Israel verbunden: Wir haben beide nahe Familie und Freunde in Israel, und wir engagieren uns seit Jahrzehnten stark für Israel. Und wir sind dialogbereit, zum Nutzen und zur Stärkung von Israel.» Braunschweig betont, dass es beiden ein grosses Anliegen sei, dass die ICZ der breite Hafen bleibe, der sie im Laufe der Geschichte immer war. Das Spektrum an verschiedenen Meinungen gelte es gerade jetzt zu erhalten und auszuhalten, auch wenn es auch intern Reibungen gibt. «Hier ist das Präsidium besonders gefordert», sagt er. Beide sind bereit für Diskussionen über ihre politische Positionierung innerhalb der Gemeinde. «Diese Diskussion führen wir gerne mit Offenheit und in Richtung Toleranz», sagt Rosenstein. «Einheitsgemeinde ist nicht gleich Einheitsbrei.» Beiden sei wichtig, die Grundwerte der ICZ zu bewahren, inklusive der religiösen Ausrichtung. «Das Grundfundament der ICZ wird mit uns bestehen bleiben und verbessert werden», sagen die Kandidaten.
Egal, wer das Präsidium Anfang 2026 übernehmen wird: Die Ziele, die aktuell in der «Vision 2030» erarbeitet werden, gilt es umzusetzen. Das ist auch Rosenstein und Braunschweig klar: «Wir werden sicher an dem Auftrag arbeiten, den wir von der Gemeindeversammlung erhalten werden. Sie ist oberstes Organ und somit unsere vorgesetzte Stelle.» Auch die Finanzen wollen beide angehen, denn die ICZ habe doch einige Probleme finanzieller Natur, wie Rosenstein sagt. «Die Gemeinde hat einen Auftrag erhalten, die Ausgaben zu senken, auch die Steuerbelastung für die Mitglieder. Wir werden hier einen Fokus setzen müssen, um auch zukünftige Generationen weiter an die ICZ heranbringen zu können.»
Auch sonst haben die beiden die nächste Generation im Blick, Rosenstein erläutert: «Wir möchten Aktivitäten, vielleicht auch über die Grenzen hinaus, entwickeln. Dabei geht es natürlich auch immer um Matchmaking und darum, gemischt religiösen Ehen entgegenzuwirken. Wir Juden sehen es natürlich lieber, wenn jüdisch geheiratet wird.» Auch hier bläst Braunschweig ins gleiche Horn, wenn er betont, dass gemischt religiöse Ehen in der Wahrnehmung der jüdischen Tradition eine Gefahr für die Kultur seien. «Das ist klar und jede und jeder, dem der Erhalt des Judentums für seine Enkelkinder wichtig ist, spürt das.» Gleichzeitig aber seien gemischt religiöse Ehen, wenn es so weit ist, immer auch ein Potenzial, denn es würden zusätzliche Menschen in Kontakt mit dem Judentum kommen. Er sagt: «Es braucht daher beides: Aktivitäten, welche dazu führen, dass sich Juden kennenlernen und sich verlieben können. Und die ausgestreckte Hand für Menschen, die dem Judentum näher kommen wollen.» Die ICZ habe bereits viele, sehr wertvolle Mitglieder gewonnen, die aus freiem Entscheid jüdisch geworden seien und sich in der Gemeinde zu Hause fühlten.
Abschliessend sagt Rosenstein: «Wir werden dafür sorgen, dass die Qualitäten, die die ICZ aus der über 160-jährigen Geschichte entwickelt hat, weitergeführt und verbessert werden. Ich bin immer für eine Vorwärtsstrategie.» Ob er diese zusammen mit Braunschweig umsetzen kann, ist zu diesem Zeitpunkt noch völlig offen. Es ist davon auszugehen, dass es weitere Kandidaturen für das Amt des Präsidiums geben wird. Diese können der ICZ bis am 14. November gemeldet werden. Kurz darauf, am Mittwoch, 19. November, wird es in der ICZ einen Gemeindeabend zur Wahl ins Gemeindepräsidium geben. Dann werden sich alle Kandidierenden den anwesenden Mitgliedern persönlich vorstellen und offene Fragen beantworten. l
Am 8. Dezember werden die Mitglieder der ICZ ein neues Präsidium wählen. 
«Das Spektrum an verschiedenen Meinungen gelte es zu erhalten und auszuhalten, auch wenn es auch intern Reibungen gibt. »

Valerie Wendenburg