genf 20. Jun 2025

Heftige Kritik an anonymen «Experten»

Pro-palästinensische Studenten und Aktivisten applaudieren bei einer Demonstration in dem besetzten Geopolis-Gebäude der Universität Lausanne am 6. Mai. 2024.

Mehrere Kreise äussern ihre Empörung über die Aufkündigung der Partnerschaft der Genfer Universität mit der Hebräischen Universität Jerusalem.

Wir haben es weltweit und insbesondere in den Vereinigten Staaten gesehen. Das Amt des Universitätsrektors erfordert Strenge und eine sehr grosse Unabhängigkeit des Geistes. Und auch eine Menge Mut. Eigenschaften, die auch bei uns momentan auf die Probe gestellt werden. An den Universitäten von Genf und Lausanne verärgert und beunruhigt die mangelnde Entschlossenheit der Hochschulleiter seit dem Pogrom der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem Krieg in Gaza. Vor einigen Wochen hat die Universität Genf (UNIGE) ihre Partnerschaft mit der Hebräischen Universität Jerusalem beendet.

Am Tag vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Israel und dem Iran hat ihre Nachbarin am Genfer See, die Universität von Lausanne (UNIL), nichts Besseres zu tun gehabt, als den gleichen Prozess einzuleiten. Da die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Forschern offiziell aufrechterhalten bleibt, verärgert dieser Boykott, der sich nicht wirklich so zu nennen wagt, sowohl propalästinensische Aktivisten als auch diejenigen, die der Meinung sind, dass echte akademische Freiheit nur durch eine solide und vielfältige wissenschaftliche Zusammenarbeit möglich ist.

Für Letztere «kapitulieren» Rektorin Leuba (UNIGE) und Rektor Herman (UNIL) vor den Auswüchsen linker Extremisten. In Lausanne wird Frédéric Herman ungewöhnlicherweise nicht für eine zweite Amtszeit kandidieren.

Divergenzen auf drei Ebenen
Hermann gab den Forderungen der Forschungsethikkommission der UNIL, die auf ihren Antrag hin Anfang Mai einen Bericht über die Beziehungen zur Hebräischen Universität Jerusalem (HUJI) vorgelegt hatte, leicht nach. Darin empfiehlt sie, die Entsendung von Studierenden dorthin unverzüglich einzustellen, die bestehenden Vereinbarungen nicht zu verlängern, aber die laufenden Kooperationen für Forscher aufrechtzuerhalten.

Herman erklärt in der Zeitung «24 Heures», dass «die Haltung der Behörden der Hebräischen Universität Jerusalem zu den rechtlichen und ethischen Fragen, die durch den aktuellen Krieg in Gaza aufgeworfen werden, in dreierlei Hinsicht von der Verpflichtung der UNIL abweicht: die Achtung des Völkerrechts, ein bürgerschaftliches Engagement der UNIL, das in ihrer Charta verankert ist, und die Sorgfaltspflicht bei der Unterstützung angesichts schwerer Menschenrechtsverletzungen.»

Ein militanter Text
Die Association pour le soutien et la promotion des membres juifs des hautes écoles (JUMS), deren Vorsitz Jacques Ehrenfreund und Alfred Bodenheimer gemeinsam innehaben, ist empört und wird den Staatsrat und den Grossen Rat des Kantons Waadt, die höchsten Aufsichtsbehörden dieser Universität, anrufen. Die Vereinigung stellt den Expertenbericht, der die Entscheidung der UNIL-Leitung bestimmt hat, von vornherein in Frage. «Er zeugt von einer Unkenntnis sowohl der Situation Israels und seiner Geschichte als auch der Rolle der universitären Institutionen in einer Demokratie, die sich im Krieg befindet. Zahlreiche Elemente dieses Berichts lassen den Verdacht aufkommen, dass es sich in Wirklichkeit um einen militanten Text handelt, der eine fragwürdige Vorstellung davon vermittelt, was eine Universität sein sollte.»

Zu den wichtigsten strittigen Punkten des Berichts zählt die JUMS den Widerspruch zwischen einer Aussage, die «mit der Ablehnung eines allgemeinen Boykotts einer ganzen Nation beginnt und mit einer Empfehlung endet, die dieser Aussage widerspricht».

Transparenz gefordert
Die Vereinigung beanstandet insbesondere die behauptete Anonymität des Berichts, die «gelinde gesagt erstaunlich ist: Es ist zwar akzeptabel, dass eine Expertengruppe während der Ausarbeitung ihres Berichts anonym bleibt, um keinem Druck ausgesetzt zu sein, aber das gilt nicht mehr, sobald dieser veröffentlicht wurde. Transparenz und akademische Ethik verlangen, dass man für das, was man produziert hat, Verantwortung übernimmt, damit die Öffentlichkeit die Seriosität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Autoren beurteilen kann.» Dies ist zweifellos der schwerwiegendste Vorwurf.

Weiterhin prangert die JUMS «wesentliche sachliche Fehler der Experten» an: Die Behauptung, Israel halte sich nicht an die vom Internationalen Gerichtshof angeordneten vorläufigen Massnahmen, könne nicht der Hebräischen Universität angelastet werden, da diese eine akademische Einrichtung und keine politische Instanz sei. Die Expertengruppe fügt hinzu, dass akademische Einrichtungen zu den rechtlichen Entscheidungen ihres Staates Stellung nehmen müssten. Wenn dem so ist, müsste man sich fragen, ob die UNIL Stellung genommen hat, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweiz verurteilte. Um konsequent zu sein, müsste die UNIL auch alle Abkommen in Frage stellen, die sie mit Staaten unterhält, die von internationalen Instanzen verurteilt wurden. Die Sonderbehandlung der einzigen hebräischen Universität weckt den Verdacht einer diskriminierenden Behandlung.

Israel im Krieg ausgelassen
Die Experten sprechen auch von einer «militarisierten Atmosphäre» innerhalb der Universität: Dabei wird ignoriert, dass Israel eine Demokratie im Krieg ist, in der Wehrpflicht besteht und offensichtlich ein grosser Teil der Studierenden und Lehrenden zum Militärdienst einberufen wird, um ihr Land zu verteidigen. Sie hätten erwähnen können, dass Israel einer der wenigen Staaten ist, die seit Jahrzehnten im Krieg stehen und nie die Grundsätze der Meinungs- und akademischen Freiheit in Frage gestellt haben. Einige Formulierungen des Berichts lassen vermuten, dass die Experten das unveräusserliche Recht des Staates Israel auf Selbstverteidigung in Frage stellen.

Der Bericht konzentriert sich auf eine Diskussion zwischen den Universitätsbehörden und einer Professorin, die trotz ihrer diffamierenden Äusserungen ohne Folgen für Letztere blieb. Der Rektor der UNIL hatte im vergangenen Jahr die Vizepräsidentin der Hebräischen Universität, die arabisch-israelische Professorin Mouna Khoury, empfangen, die diesen Fall ansprach, und hinsichtlich dessen Ausgangs er sie noch beruhigen konnte. Sie hatte ausserdem daran erinnert, dass ein Drittel der Studierenden der Universität Palästinenser sind und dass ihre Meinungsfreiheit niemals eingeschränkt wird. Die JUMS kommt zu dem Schluss: «Die Unterscheidung zwischen akademischer Arbeit und politischem Handeln ist die Voraussetzung für die Erfüllung des Auftrags der Universität, objektivierbares Wissen zu produzieren und weiterzugeben. Von einer akademischen Einrichtung zu erwarten, dass sie sich als Institution zur Politik eines Staates äussert, zeugt von einer zumindest fragwürdigen Auffassung von Universität, die ihren Auftrag selbst gefährdet.»



Alle Partnerschaften unter der Lupe?
Der liberale Abgeordnete David Vogel teilt diese Einschätzung. Er erwägt, den Grossen Rat anzurufen: «Dieser Bericht ist ein echter Skandal. Die Experten betrachten die Hebräische Universität als eine Art Umerziehungslager. Die UNIL macht sich lächerlich, und ich bin fassungslos über die Anonymität dieser Expertenkommission und frage mich übrigens, wie ihre Mitglieder ernannt wurden. Wenn man sich auf solche Überlegungen einlässt, muss man alle Partnerschaften mit allen Ländern in Frage stellen: China mit den verfolgten Uiguren, Frankreich mit seinem Eingreifen in Mali und die Vereinigten Staaten, die ihren Anteil an schmutzigen Kriegen hatten. Wenn nun zufällig ein Bardella in Frankreich an die Macht käme, würde die UNIL dann alle ihre Partnerschaften mit Hochschulen beenden, weil er ein Politiker des Rassemblement National wäre?»

Zum Schluss kehren wir noch einmal kurz zur UNIGE zurück, aber das könnte genauso gut auf die UNIL zutreffen, und zitieren diese Meinung von Daniel Halpérin, einem renommierten Kinderarzt, ehemaliger Privatdozent an der Genfer Hochschule und Präsident der Schweizerischen Vereinigung der Freunde von Dr. Janusz Korczak, der sich kürzlich in der «Tribune de Genève» geäussert hat: «Mit der Ankündigung der einseitigen Auflösung dieser Partnerschaft in einem verwirrenden Wirrwarr, genau 100 Jahre nach der Einweihung der HUJI, hat die UNIGE einmal mehr ihre Unfähigkeit unter Beweis gestellt, Autorität und Unabhängigkeit zu zeigen. In der Annahme, die propalästinensischen Unruhestifter zufriedenstellen zu können, die sie seit anderthalb Jahren schikanieren, (…) und ihre Ressourcen für Hassaufrufe missbrauchen, hat sie Feigheit bewiesen.»

Edgar Bloch