zürich 30. Mai 2025

Bührles haben nichts gelernt

Bührle-Erbe Gratian Anda schweigt und bezahlt nicht.

Die Bührle-Stiftung verpflichtet sich zu Fluchtkunst-Leitlinien und fordert mit der Kunsthausgesellschaft drei Millionen von der Stadt – die Milliardärsfamilie Bührle beteiligt sich nicht.

Die Werke der Stiftung Sammlung Bührle bleiben als Dauerleihgabe weiterhin im Kunsthaus Zürich der Öffentlichkeit zugänglich, und die Zürcher Kunstgesellschaft (ZKG) übernimmt die Provenienzforschung. Dafür soll die Stadt drei Millionen Franken sprechen. Die Stadt selbst sitzt in der Kunsthausgesellschaft. Elf Monate nachdem der Historiker Raphael Gross einen Untersuchungsbericht publiziert hat, hat der Berg eine Maus geboren.

Halbherzige Leitlinien
Die Bührle-Stiftung und die ZKG haben am Montag entsprechende Leitlinien im Umgang mit NS-Fluchtkunst vereinbart. «Nach intensiven Gesprächen» seien diese Leitlinien für die weiterführende partnerschaftliche Zusammenarbeit beschlossen worden, heisst es in einem Communiqué des Kunsthauses Zürich. In einem auf fünf Jahre angelegten Projekt übernimmt die ZKG die Provenienzforschung der Sammlung im Kunsthaus.

Diese erweiterte Herkunftsforschung gemäss den Grundsätzen des Kunsthauses sei zeitlich dringlich, schreibt das Kunsthaus weiter. Sie lasse sich aus inhaltlichen, ethischen und institutionellen Gründen nicht auf unbestimmte Zeit verschieben. Für diese Antwort, die längst weltweit bestehendem Standard entspricht, hat die Stiftung allerdings elf Monate benötigt. Von der Familie Bührle gibt es darüber hinaus immer noch keine Stellungnahme zur Causa.

Wer zahlt, wer schweigt, wer forscht
Der Anwalt Olaf Ossmann, Experte für Restitutionsfragen und Vertreter von Opferfamilien, darunter die Familie Emden, sagt gegenüber tachles: «Wenn man sich in die Perspektive der Antragssteller oder einstigen Besitzerfamilie begibt, dann gelangt man zur Erkenntnis, dass durch diese Aktivitäten lediglich sichergestellt ist, dass für Betroffene für weitere fünf Jahre keine Regelung möglich ist und alles blockiert bleibt.» In Sachen Emden ist gemäss Ossmann der vorliegende Fall ausrecherchiert, bleibt aber ungelöst.

Gemäss der Mitteilung der Bührle-Stiftung übersteige das Projekt das, was sich das Kunsthaus mit seinen regulären Finanzmitteln in der notwendigen Frist von fünf Jahren leisten könne. Die Trägerin, die Zürcher Kunstgesellschaft, stellt darum einen Unterstützungsantrag in der Höhe von drei Millionen Franken an die Stadt Zürich. Es ist davon auszugehen, dass das Geld gesprochen wird, hat die Stadt Zürich doch Einsitz.

Diese erweiterte Herkunftsabklärung erfolgt den Angaben zufolge gemäss dem Subventionsvertrag mit der Stadt Zürich sowie dem Dauerleihauftrag der Bührle-Stiftung, wie es in der Mitteilung weiter heisst. Und einmal mehr – wie schon in der Ära von Lukas Gloor, ehemaliger Leiter der Bührle-Stiftung – soll die Provenienz nicht unabhängig, sondern von den Provenienzverantwortlichen des Kunsthauses durchgeführt werden, von Joachim Sieber, der schon unter Gloor gearbeitet hat. Das finden Experten problematisch und fordern eine unabhängige Untersuchung. Die Einsetzung der unabhängigen Expertenkommission für historisch belastetes Kulturerbe durch den Bundesrat ist allerdings nicht abgeschlossen.

Abwesenheit der Familie
Obwohl der Bundesrat bereits am 22. November 2023 die Schaffung einer solchen Kommission angekündigt hat, dauern die politischen Verhandlungen über deren genaue Ausgestaltung an. Das wiederum bedeutet, dass Werke, die nun vom Kunsthaus in Eigenregie untersucht werden, während der Zeit von avisierten fünf Jahren nicht von unabhängiger Stelle untersucht werden können.

Die Bührle-Stiftung bekennt sich zwar dazu, bei Werken der Dauerleihgabe mit begründeten Hinweisen belasteter Geschichte «faire und gerechte Lösungen anzustreben». Doch dieses Bekenntnis ist nicht mehr als die Umsetzung der Washingtoner Prinzipien, die im revidierten Vertrag mit der Stadt Zürich längst vereinbart wurden. Drei neue Ausstellungen sollen in den nächsten fünf Jahren die Herstellung der historischen Zusammenhänge vertiefen. Diese sollen sich unter anderem der Rolle jüdischer Sammlerinnen und Sammler in der Förderung der Moderne sowie der Rolle des Kunstsammlers und Rüstungsfabrikanten Emil Bührle widmen.

Hintergrund ist ein Untersuchungsbericht des Historikers Raphael Gross im Auftrag der Stadt Zürich im letzten Jahr. Er hielt fest, dass die bisherige Herkunftsforschung der Stiftung Bührle nicht ausreichend war und es weitere Abklärungen braucht. Viele der Werke in der Sammlung Bührle hatten zur Zeit des Zweiten Weltkriegs jüdische Eigentümerinnen und Eigentümer. Wer allerdings die Provenienzforschung bezahlt, bleibt unklar. Dass jüdische Organisationen nicht dagegenhalten und sich zustimmend äussern werden, hat die Kunsthausgesellschaft auch schon sichergestellt, wie tachles-Recherchen ergeben haben.

Im Gemeinderat Zürich ist eine Motion geplant, die Raphael Gross und sein Team für die Provenienzforschung miteinbeziehen will. Das könnte Sinn machen, weil er bereits grosse Teile der zur Diskussion stehenden Werke untersucht hat. Auf Anfrage von tachles wollte Raphael Gross keine Stellung nehmen.

Jüdische Absegnung
Während der Schweizerische Israelitische Gemeindebund und die Israelitische Cultusgemeinde Zürich die Ankündigung der Bührle-Stiftung in einer Medienmitteilung weitgehend begrüssen, schlägt die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) zwei Tage später kritische Töne an. Geschäftsführer Philip Bessermann kritisiert, dass keine Unabhängigkeit gewährleistet sei, da die Provenienzforschung beim Kunsthaus selbst liege und ein unabhängiges Gremium fehle. «Der Vorsteher der Kunstgesellschaft argumentierte letztes Jahr in einem geleakten Brief, eine Aufarbeitung führe zu «neuem Unrecht» durch «Enteignung»», sagt Bessermann und fragt: «Wie kann unter diesen Umständen die Kunstgesellschaft glaubhaft Provenienzforschung betreiben?» Ausserdem blieben rund 400 Werke der Bührle-Sammlung ausgeschlossen, die Kosten würden an die Stadt delegiert, während sich weder die Bührle-Stiftung noch das Kunsthaus beteiligten. Zudem würden die NS-Verstrickungen Bührles und seine Rolle als Waffenlieferant nicht ausreichend thematisiert. Bessermann fordert ein unabhängiges Gremium, die vollständige Einbeziehung der Sammlung, eine geteilte Finanzierung sowie eine Diskussion über eine Umbenennung der Ausstellung.

Der grosse Abwesende in der Debatte ist Gratian Anda, Erbe der Familie Bührle. Er ist Enkel und Erbe des Waffenproduzenten und NS-Kollaborateurs Emil Georg Bührle. Sein Reichtum durch Rüstungsgeschäfte mit dem NS-Regime führte zur Kunstsammlung. Als Präsident der Stiftung Sammlung E. G. Bührle ist Gratian Anda massgeblich an der Präsentation der Kunstwerke im Kunsthaus Zürich beteiligt. Zur Kontroverse äusserte er sich bisher nicht öffentlich. Er besuchte 2024 eine ehemalige Zwangsarbeiterin, die während des Zweiten Weltkriegs für seinen Grossvater arbeiten musste, und bat sie um Entschuldigung. Dabei betonte er, dass es ihm um menschliche Anerkennung und nicht um finanzielle Entschädigung gehe. Diese zahlte dann die Stadt Zürich, mit rund acht Millionen Franken an rund 320 Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen. Dieser Schritt erfolgte nach Recherchen des Magazins «Beobachter», die aufdeckten, dass junge Frauen in der Nachkriegszeit in einer Spinnerei von Emil Bührle unter Zwang arbeiten mussten. Gemäss der «Bilanz»-Liste der 300 Reichsten Schweizer aus dem Jahr 2024 wird das Vermögen der Familie Anda-Bührle auf 1,3 Milliarden Schweizer Franken angegeben. Damit belegt sie Rang 129 unter den reichsten Personen der Schweiz.

Ein internationaler jüdischer Sammler reagiert auf das neue Kapitel gegenüber tachles so: «Es überrascht nicht, dass es in der Schweiz keinen politischen Willen zu geben scheint, die Bührle-Saga mit moralischer Stärke zu lösen. Was ist das für eine Botschaft an die Jugend von heute und an künftige Förderer des Kunsthauses Zürich? So oder so, die Zeche muss irgendwann bezahlt werden.» Wie viele andere Votanten, wollte er nicht mit Namen genannt werden. Gemäss Informationen von tachles wollen nun amerikanische Stellen die Causa Bührle genauer unter die Lupe nehmen.

Yves Kugelmann