Telegramm aus dem Krieg 21. Okt 2023

Steve Bar, Bar El Adam, Guy Ezrati, von Initiative «Erans Engel»

Geschichten von Menschen im Krisengebiet in Israel, an der Front und aus der Zivilgesellschaft. In dieser neuen tachles-Kolumne porträtiert die Autorin Menschen im Krisengebiet. Heute über drei Aktivisten in Tel Aviv.

Sie tragen die modischen äusseren Zeichen der unbeschwerten Jugend als Zeichen der Zugehörigkeit, die hippen Sonnenbrillen, die lässig auf der Stirn sitzen, die bunten Tätowierungen, die weissen T-Shirts mit ihrem Logo: dem Gesicht von Eran, eingefasst in ausgebreitete Flügel. Fragt man auf dem Messegelände von Tel Aviv nach dem Weg, begegnet man ihnen. Steve Bar (38), Bar El Adam (27) und Guy Ezrati  (28) gehören zu einer kleinen Vereinigung israelischer Zivilisten, die seit 2014 für Bürger in Israel arbeitet.  "Erans Engel" ist zunächst eine Gruppe von Freunden und Jugendfreunden. Die Organisation wurde 2014 von Eran gegründet, der inzwischen an Covid gestorben ist, und unterstützt benachteiligte Menschen. "Diesen Menschen zu helfen, ihnen warme Mahlzeiten zu bringen, wenn das Geld knapp ist, Spielzeug für die Kinder, das ist unser Ziel".  Eine alltägliche, unfehlbare und bedingungslose Hilfe. Auf die Frage, weshalb er das tue, wirft Bar El ein Wort in den Raum, das in diesen Tagen des Krieges geradezu archaisch wirkt: Aus Liebe.  Liebe für die Menschen, die er liebt, seine Freunde, ihre Freunde, die Freunde ihrer Freunde. Und schon bald analysiert er seine eigenen Worte: «Wir haben schreckliche Monate erlebt, in denen die Menschen in diesem Land über alles stritten, über die Politik, über die Regierung. Wir hatten Angst vor einem innerstaatlichen Bruderkrieg. Wir hingegen hielten an unseren Grundwerten fest, an den Menschen, die wir seit jeher kennen». Und fährt fort «Wir wollten weiterhin grundlegende Hilfe leisten, jenseits von politischen Ideen. In diesem Sinne sind wir politisch, aber auch unpolitisch». Sie führen mich in ihre Höhle des Ali Baba: In das Untergeschoss des Ausstellungsgeländes. Innert weniger als 24 Stunden haben sie ein Logistikzentrum errichtet, in dem die Spenden sortiert, verpackt und an diejenigen geliefert werden, denen es an allem fehlt und die alles verloren haben. Die Bewohner der Kibbuzim und Moschawim im Süden, die Soldaten, die an die Front geschickt wurden und denen es in den ersten Tagen an allem fehlte, und diejenigen, die schon immer wenig oder noch weniger hatten und in diesen Tagen des Krieges arbeitslos sind. 

Wie in einem Ameisenhaufen arbeiten 1500 Freiwillige und haben bereits fast 12’000 Bedürftige erreicht. Die Atmosphäre ist elektrisierend.  Einer der Organisatoren brüllt in den Lautsprecher: «Wir machen eine Pause, um uns zu erholen». Die Musik lässt die Wände des Untergrunds vibrieren und die Engel und Engelchen jeden Alters beginnen zu tanzen und sich zu umarmen. Guy Ezrati, erklärt: «Am Samstag letzter Woche wurde uns klar, dass dieses Massaker die Traumata unserer Familien noch verstärken würde. In all den Jahren war die Verbindung zwischen der Shoa und der Gründung dieses Staates etwas trübe geworden. Natürlich erzählten uns meine jüdischen Grosseltern, die aus Thessaloniki geflohen waren, von früher, aber wir hatten das Gefühl, dass wir uns in einer neuen Welt befanden, in der sogar die Konflikte mit unseren Nachbarn gelöst werden würden und dass es unser ureigenstes Recht war, unser Leben zu geniessen. Das wurde sozusagen der Sinn unseres Lebens.» Am Samstag änderte sich alles und die langjährigen Freunde verstanden sofort die Bedeutung des Augenblicks, des Ereignisses. «Jetzt geht es los», sagt Steve Bar. Er ist Unternehmer und Eventmanager für internationale Unternehmen, nicht nur aus der High-Tech-Branche. Er fügt hinzu: «Letzte Woche sollte ich mit internationalen Kunden in Ägypten sein und vielversprechende Verträge feiern. Alles wurde abgesagt» Seither besucht Steve Familienbeerdigungen und sucht nach technischen Lösungen für Probleme, die sich jeden Tag auf andere Weise stellen. «Wie können die Unterkünfte der Zivilisten ausgestattet werden, damit sie mit ihren Angehörigen in Kontakt bleiben können. Unternehmen finden, die bereit sind, der Bevölkerung fehlende Computer zu spenden.» Steve scheint auch von einer Welle der Solidarität seiner Kunden und Freunde getragen zu werden. «Sie spenden ohne zu zählen, rufen an und sind uns vor allem nahe unfehlbar und bedingungslos».  Für Bar El, Steve, Guy und die anderen gibt es keinen Zweifel : das archaische Wort Liebe ist hypermodern.



 

Anna-Patricia Kahn