Der Psychiater und Forscher wurde 99 Jahre alt.
Bereits am Donnerstag vor zehn Tagen ist in seinem Haus in Truro, Massachusetts, Robert Jay Lifton verstorben. Der Pionier zur Psychologie des Völkermords war seit seinem Standardwerk «The Nazi Doctors: Medical Killing and the Psychology of Genocide» aus dem Jahr 1986 eine zentrale Figur der Holocaust- und der Forschung zu jüdischer Geschichte.
Lifton wuchs in Brooklyn als Sohn jüdischer Einwanderer aus Osteuropa auf und widmete seine Forscher-Karriere der menschlichen Fähigkeit zu Grausamkeit und Widerstandsfähigkeit. Er hatte für «The Nazi Doctors» über ein Jahrzehnt Nazi-Ärzte und Überlebende von Konzentrationslagern interviewt, um die Beweggründe der Mediziner für deren grausame Experimente zu ergründen. Lifton hat später in dem Dokumentarfilm «Robert Jay Lifton: Nazi Doctors» erklärt, ihn fasziniere die «Umkehrung von Heilen zum Töten: Wenn eine ganze Gesellschaft, einschliesslich der Fachkräfte, insbesondere der Ärzte, zum Töten erzogen wird, erleichtert dies die Durchführung von Völkermord erheblich.»
Lifton überschritt als Wissenschaftler Grenzen zwischen Psychiatrie, Geschichte und der Tradition jüdischen Denkens, setzte sich aber auch mit anderen Völkermorden auseinander und untersuchte, wie Hiroshima-Überlebende, Vietnamveteranen und Holocaust-Überlebende gleichermassen mit Traumata und Erinnerungen ringen. Er entwickelte Konzepte zu Schuldgefühlen von Überlebenden und beeinflusste damit laut der «New York Times» Generationen von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen.
Er hat gleichwohl nie seine Herkunft vergessen und bestand darauf, dass die Holocaust-Forschung von zentraler Bedeutung für das Verständnis jüdischer Identität bleiben müsse. Er hielt zahlreiche Vorlesungen an jüdischen Institutionen, beriet Holocaust-Gedenkprojekte und inspirierte Studierende, die Erinnerung an den Holocaust sowohl als wissenschaftliches Feld als auch als gemeinschaftliche Verantwortung zu begreifen.
Lifton fiel zudem als harscher Kritiker von Trump auf, den er als Beispiel dafür beschrieb, wie «eine Flut von Unwahrheiten eine ganze Gesellschaft überfluten kann». Er hat an Yale, Harvard und der City University of New York gelehrt und wurde neben den «Nazi Doctors» für sein Buch «Death in Life: Survivors of Hiroshima» (1987) geehrt. Lifton hinterlässt die Tochter Natasha Lifton, den Sohn Kenneth Lifton, seine Partnerin Nancy Rosenblum und vier Enkelkinder. Seine Frau, die Autorin Betty Jean Lifton, ist 2010 verstorben.