Kino 27. Mai 2025

Marcel Ophuls verstorben

Dokumentar-Filmer Marcel Ophuls im Jahr 2015.

Der bedeutende Dokumentar-Filmer wurde 97 Jahre alt.

Am Wochenende ist in Frankreich Marcel Ophuls verstorben. Der Sohn des grossen Spielfilm-Regisseurs Max Ophüls (1902-1957, Ophüls war ein Künstlername, ursprünglich hiess die Familie Oppenheimer) wurde 97 Jahre alt. Marcel Ophuls wurde am 1. November 1927 in Frankfurt geboren, die Mutter war die Schauspielerin Hildegard Wall (1894-1980). Er hat den Umlaut später fallen lassen. Die Familie floh bereits 1933 nach der Machtergreifung der Nazis nach Frankreich und erhielt dort 1938 die Staatsbürgerschaft. Nach dem Einmarsch der Deutschen 1940 floh die Familie in die USA, wo Max Ophüls seine Karriere fortsetzen konnte. 

Marcel Ophuls wurde US-Staatsbürger und diente in der US-Army. Er kehrte 1952 nach Frankreich zurück und heiratete 1956 die Deutsche Regine Ackermann. Seine Frau und ihre drei Töchter und drei Enkelkinder überleben ihn. Ophuls wurde nach einem Sorbonne-Studium Regie-Assistent unter John Huston und Anatole Litvak, war aber 1956-1959 Hörfunk- und Fernsehredakteur beim Südwestfunk in Baden-Baden. Eigene Versuche, Spielfilme zu drehen, brachten ihm bis 1965 keine sonderlichen Erfolge. 

Ophuls verlegte sich daher auf Dokumentarfilme. Dem Erstling «Hundert Jahre ohne Krieg – Das Münchner Abkommen von 1938» (1967) folgte zwei Jahre später der internationale Durchbruch mit dem vierstündigen Schwarzweiss-Film «Das Haus nebenan – Chronik einer französischen Stadt im Kriege» über die Bevölkerung von Clermont-Ferrand zwischen Kollaboration und Widerstand im Krieg. Das bahnbrechende Projekt begann als Produktion für das französische Staatsfernsehen. Doch Ophuls und sein Partner André Harris wurden wegen ihrer positiven Berichterstattung über die Pariser Studenten- und Arbeiterproteste 1968 entlassen. 

Sie konnten den auch unter «Leid und Mitleid» bekannten Film mit finanzieller und technischer Unterstützung des Schweizer und deutschen Staatsfernsehens fertiggestellt. Obwohl er in den Nachbarländern ausgestrahlt wurde, hat das französischen Fernsehen den Dokumentarfilm aufgrund einer ungeschminkten Darstellung der Kollaboration nicht ausgestrahlt. Das Werk wurde nur in wenigen Pariser Kinos gezeigt. Ophuls hatte hier seine innovative Technik einer offenen und unmittelbarer Recherche und Darstellung voll entwickelt. Er hat später dazu erklärt: «Ich mache mir vor Interviews nie Notizen oder übe eine Frage… Alle meine Entdeckungen müssen während der Dreharbeiten geschehen, damit der Zuschauer meine Überraschung miterlebt.» 

Der internationale Erfolg von «Leid und Mitleid» ebnete den Weg in die USA, wo Ophuls 1970 «The Harvest of My Lai» über das Massaker an vietnamesischen Zivilisten und «The Memory of Justice» (1976) drehte, eine kritische Aufarbeitung der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse. 1988 folgte ein weiteres Meisterwerk mit «Hôtel Terminus» über den nach Südamerika geflohenen Gestapo-Offizier Klaus Barbie, der 1983 nach Frankreich ausgeliefert und dort wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Ophuls erhielt dafür einen Oscar für den besten Dokumentarfilm. 

2013 dokumentierte Ophuls in «Ain’t Misbehavin’» seine eigene Vita inklusive seiner Jahre in Deutschland und der Auseinandersetzung mit der Arbeit des berühmten Vaters. In charakteristischer Offenheit hat Ophuls hier auch die Spannungen in seinem Leben und seiner Arbeit als jüdischer Nazi-Flüchtling ausgelotet. Trotz seiner doppelten US-amerikanischen und französischen Staatsbürgerschaft und seiner Entscheidung, in Frankreich zu leben und zu arbeiten, betrachtete er sich weiterhin als Deutscher. In einem Interview mit der «New York Times» wies Ophuls 1988 darauf hin, dass seine Frau Deutsche und Mitglied von Nazi-Jugend-Organisationen gewesen war: «Mein Schwager war in der Hermann-Göring-Division. Ich glaube nicht an Kollektivschuld» (Link).

Andreas Mink