Leiter des grössten jüdischen Friedhofs entlassen
In einem heftigen Streit über die Kontrolle der Restaurierungs- und Erhaltungsmassnahmen am grössten jüdischen Friedhof Europas ist der langjährige Direktor der Jüdischen Gemeinde in Warschau entlassen worden. Witold Wrzosinski, der seit 2020 die Geschicke des historischen Friedhofs an der Okopowa-Strasse geleitet hatte, wurde am 10. Dezember aus seinem Amt entfernt, nachdem er versucht hatte, die Vertragsbedingungen mit der staatlich kontrollierten Polnischen Stiftung für Kulturerbe neu zu verhandeln.
Der 1806 gegründete Friedhof gilt mit über 200.000 Grabstätten als zentrales Zeugnis jüdischen Lebens in Polen vor dem Holocaust und umfasst Massengräber von etwa 50.000 im Warschauer Ghetto ermordeten Juden sowie Gräber bedeutender Rabbiner, Intellektueller und Kulturschaffender.
Wrzosinski kritisierte den bestehenden Vertrag mit der Stiftung als «missbräuchlich», weil er der lokalen jüdischen Gemeinschaft kaum Mitspracherechte bei der Priorisierung von Restaurierungsprojekten einräume. Sein Vorschlag, die Rolle der Gemeinde bei künftigen Arbeiten zu stärken, sei abgelehnt worden. Dabei verwies er darauf, dass die Stiftung unter Leitung von Michał Laszczkowski steht, der enge Verbindungen zur früheren Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit besitzt, die in Polen die historische Erinnerungspolitik stark geprägt hat.
Laut Wrzosinski habe Laszczkowski bei Verhandlungen erklärt, das «mentale Wohlbefinden der jüdischen Gemeinschaft» sei für ihn kein Kriterium, woraufhin der Konflikt eskalierte. Nachdem Wrzosinski erklärte, die Vereinbarung mit der Stiftung aufkündigen zu wollen, drohte diese mit rechtlichen Schritten und dem Abzug staatlicher Gelder – was schliesslich zu seinem Sturz führte.
Die Entscheidung stiess auf scharfe Kritik bei jüdischen Historikern und Kulturerbe-Experten. Barbara Kirshenblatt-Gimblett, Chefkuratorin des POLIN-Museums der Geschichte der polnischen Juden, organisierte eine internationale Petition zur Wiedereinsetzung Wrzosinskis, die innerhalb weniger Tage hunderte Unterstützer fand.
Der Streit wirft ein Schlaglicht auf die komplexe Debatte in Polen über die Deutung und Verwaltung jüdischer Geschichte und Erinnerung – ein Thema, das national und international kontrovers diskutiert wird. Befürworter einer stärkeren lokalen Beteiligung sehen in der Entlassung ein alarmierendes Zeichen staatlicher Einflussnahme auf den Umgang mit dem jüdischen Kulturerbe.