Am 8. Oktober jährt sich der Tod von Felix Salten, dem jüdischen Autor von «Bambi», zum 80. Mal.
Obwohl sich Felix Salten in dieser Hinsicht vielleicht stärker engagierte als seine anderen jüdischen Weggefährten im Kreis des «Jung-Wien», ist er heute nicht primär für seine jüdische Herkunft oder seinen Zionismus bekannt. Der 1869 als Siegmund Salzmann geborene Autor zählte zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Paradoxerweise ist er vor allem für zwei Werke bekannt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das eine ist ein pornografisches Buch, das er anonym schrieb, dessen Autorenschaft er jedoch nie übernahm. Das andere ist eines der beliebtesten und erfolgreichsten Kinderbücher der Neuzeit.
Zwar bekannte er sich in seinen Büchern offener zu seiner jüdischen Herkunft und zum Zionismus als seine Freunde Arthur Schnitzler, Stefan Zweig oder Peter Altenberg. Doch für sein zionistischstes Werk «Neue Menschen auf alter Erde» ist Salten heute nicht bekannt. In diesem Reisebuch beschreibt er seinen eigenen Exodus durch die Wüste von Ägypten nach Palästina und stellt den Zionismus darin als weit mehr als eine Befreiungsbewegung für ein bestimmtes Volk dar, nämlich als eine weltliche Befreiungsbewegung. Salten, ein guter Freund und Bewunderer Theodor Herzls, vertrat die Ansicht, dass Herzls wahre Genialität darin lag, dass er ein Künstler war, der die Kraft besass, seine Märchen wahr werden zu lassen. In seinem Buch folgt Salten den Spuren Herzls und präsentiert sich darin nicht nur als Theoretiker, sondern auch als engagiertes Mitglied der zionistischen Bewegung. «Aber ich weiss, dass ich, als Jude, mich in die Seele hinein schämen würde, nicht nach meinen Kräften am Aufbau von Palästina mitgeholfen und beigetragen zu haben.»
Ebenso wenig ist Salten für seinen vielleicht jüdischsten Roman «Simson» bekannt, in dem er dieselben Überzeugungen in Form einer auf den Kopf gestellten biblischen Erzählung umsetzt. Darin ist Simson nicht für seine Stärke bekannt, sondern für seine Befreiung von dieser, seine Erwählung durch Gott und seine jüdische Botschaft an alle Völker gegen die Knechtschaft. Laut Salten ist der Antisemitismus eine Krankheit, unter der die Welt leidet. Wäre diese Krankheit geheilt, wäre die gesamte Menschheit befreit: «Es ist ein fluchbeladener Segen, den wir tragen…aber es bleibt ein Segen! Ein gepriesener Segen! […] Wir haben das Licht der Welt, darum müssen wir leiden, solange es dunkel ist, wir haben die Weisheit der Welt…darum müssen wir Misshandlung dulden, solange die Dummheit herrscht…wir bringen die Befreiung der Welt… darum werden wir verfolgt, solange es Knechtschaft gibt».
Salten ist jedoch nicht für diese Werke bekannt, sondern allenfalls für seinen Roman «Bambi», der zunächst ein Flop war, später aber die Grundlage für einen der beliebtesten und erfolgreichsten Disney-Filme bildete. Und obwohl es weit hergeholt ist, haben bereits viele versucht, das Jüdischsein des Autors auch in diesem Buch zu finden. Einer der Ersten, der diese zunächst unbegründete Idee vorschlug, war Saltens einstiger Freund und späterer bitterer Feind Karl Kraus. Der Mann, der in einem berühmten Tagebuchbeitrag von Arthur Schnitzler mitten im Café Griensteidl eine Ohrfeige von Salten bekam, was «allseitig freudig begrüsst wurde», machte sich in seiner berüchtigten «Fackel»-Zeitschrift mehr als einmal über Salten lustig. Bereits vor dem grossen Erfolg des Buches erkannte Kraus in einem 1929 in Die Fackel erschienenen Beitrag mit dem vielsagenden Titel «Jüdelnde Hasen» die Ironie darin, dass Salten, den er bissig als «Zionisten» bezeichnete, selbst dafür bekannt war, gerne zu jagen: «Es dürfte nicht allen, die die umfassende Wirksamkeit unseres Felix Salten kennen und schätzen, bekannt sein, dass sie ihm auch noch Zeit lässt, das Weidwerk zu pflegen. Wohl wissen viele, dass es ihm gelungen ist, die Tierseele zu belauschen, aber sie würden gewiss nicht vermuten, dass der Weg zur Schreibmaschine hier durch das strapaziöse Erlebnis geführt hat, und wenn sie schon einem Legitimisten die Hantierung mit dem Schiessgewehr zutrauen, so würden sie doch nicht glauben, dass ein Zionist einem Reh ein Haar krümmen könnte. Gleichwohl ist dem so, und Salten steht dem Waldesweben, in das er manchmal mit der Flinte einbricht, näher, als es den Anschein hat und als man einem Bekenner des Moses zutrauen würde, aber jedenfalls des Mooses wegen.»
Dass «Bambi» jüdische Elemente enthielt, war jedoch nicht nur ironisch gemeint. So verfasste der berühmte jiddische Schriftsteller Schalom Asch die Einleitung zur jiddischen Übersetzung des Romans. Darin schrieb er, dass Salten den jüdischen Kindern ein grosses Geschenk gemacht habe, indem er «den Wald in ihre schtetlische Stube brachte». Zudem wurde mehrfach erörtert, wie die Hirsche und andere Tiere in dem Buch in ständiger Angst vor Verfolgung leben und von einem Ort zum anderen ziehen mussten – genauso wie die Juden zu jener Zeit. Es wurde darüber gesprochen, wie die Jäger sadistisch, gewalttätig und fröhlich in den Wald eindrangen, genauso wie die Pogromisten in die jüdischen Dörfer und Städtchen. Die Diskussionen der Tiere untereinander, ob ein Zusammenleben mit den Jägern möglich sei, spiegelten die damaligen jüdischen Diskussionen über Assimilation wider.
Die «Jüdischkeit» von Bambi steht jedoch vor allem mit dem Schicksal seines Autors Felix Salten in Verbindung. Ungeachtet des grossen Erfolgs von Buch und Film starb dieser vor 80 Jahren einsam und mittellos im Zürcher Exil. Er wurde aus der Kultur, die er massgeblich beeinflusst hatte, vertrieben und ist heute leider fast in Vergessenheit geraten.