Ungarische Juden haben mit einem offenen Brief sowohl die israelische Regierung für den Gaza-Krieg als auch die führenden jüdischen Institutionen in Ungarn scharf kritisiert.
Mehr als 300 ungarische Juden – darunter prominente Persönlichkeiten wie die Rabbinerin Katalin Kelemen, der Dichter Lajos Parti Nagy und der Holocaust-Historiker László Karsai – unterzeichneten einen offenen Brief und distanzierten sich von den «einseitigen, extremen Stellungnahmen» der aktuellen israelischen Regierung sowie der wichtigsten jüdischen Organisationen in Ungarn. Inzwischen unterstützten mehr als 1.400 Menschen, auch Nichtjuden, das Schreiben.
Die Unterzeichner äusserten «Solidarität mit allen Beteiligten am israelisch-palästinensischen Konflikt» zu den Opfern des 7. Oktober, den palästinensischen Zivilisten sowie den überlebenden Geiseln und der notleidenden Bevölkerung im Gazastreifen. Sie prangerten zudem an, dass in Ungarn Anti-Kriegs-Demonstrationen weitgehend verboten seien und die Presse stark eingeschränkt werde.
In Ungarn gibt es etwa 47.000 Juden. Die offizielle jüdische Gemeinschaft und die ungarische Regierung sollen, so der Brief, gegen abweichende jüdische Meinungen repressiv vorgehen und kritische Sprecher von Veranstaltungen ausschliessen. Die Autoren warnen: «Wir wissen aus der ungarisch-jüdischen Geschichte, was der Preis des Schweigens ist.»
Der ungarische Premier Viktor Orbán gilt als enger Verbündeter von Israels Regierungschef Binyamin Netanyahu. Kritische Stimmen beklagen, dass kaum Plattformen für Debatten über den Gazakrieg existieren und internationale Menschenrechtsberichte ignoriert werden.
Der offene Brief führte zu heftigen Kontroversen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. So bezeichnete der Philosoph György Gábor das Schreiben als «Brief der Heuchelei» und warf den Unterzeichnern vor, sich vom eigenen Milieu zu distanzieren, um gesellschaftliches Wohlwollen zu gewinnen.
Die wichtigsten jüdischen Organisationen Ungarns, Mazsihisz und EMIH, äusserten sich bislang nicht öffentlich zu dem Brief. Parallel dazu bereitet die Gemeinde gerade ein zehntägiges Kulturfestival in Budapest vor.