Das Jüdische Logbuch 24. Mai 2019

Kino gegen Regime

Cannes, Mai 2019. Gleich einer Novelle von Guy de Maupassant wollten die Stürme und sintflutartigen Regenfälle die turbulenten und angespannten politischen Gezeiten dieser Tage vorwegnehmen. Wo sonst Tausende an der Strand- und Filmpromenade in Cannes flanieren, hetzen in diesem Jahr Agenten, Produzenten, Filmschaffende und die Presse durch Wind und Regen. Fans harrten dennoch stundenlang aus und warteten vor den Luxushotels auf die Stars. Ja, die Filme im Wettbewerb spielen natürlich die wichtigste Rolle gerade auch in diesem Jahr mit einem sehr starken Programm. Zu Recht wird die #MeToo-Debatte weiterhin geführt in einer Branche, die sich in vielen Bereichen nicht genügend reguliert und die Glaubwürdigkeit Markt- und anderen Mechanismen untergeordnet hat. Vermehrt allerdings beginnen die Gespräche von Cannes in diesen Wochen mit der Einordnung der politischen Situation in der Welt. Geradezu filmreif überwältigte der Ibiza-Skandal auch das Cannes-Wochenende und es wird nicht lange dauern, bis die Branche auch diesen Skandal auf die Leinwand bringt. Das engagierte Kino hat in Cannes seit jeher eine Plattform und bildet eine Art Eigenfraktion um Aufklärung gegen Korruption, Gewalt, Regime und letztlich auch die extreme Rechte in Europa. Kulturschaffende sind keine Politiker – doch oft die Seismographen von gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, um die die Öffentlichkeit nicht herumkommt, wenn sie dann hinschaut. Es sind die mutigen Filmemacherinnen und Filmemacher, die etwa Filme und Themen über antidemokratische oder totalitäre Staaten einbringen. Zwar sind die Debatten um die Präsenz der Streamingplattformen wie Netflix – die immer noch nicht im Festival gezeigt werden – abgeflacht und doch mitten in der Debatte. Die Streamingplattformen sind Mitglieder- und somit Elitebereiche, die noch nicht an den in Europa und in vielen Teilen der Welt üblichen Fördermodellen für Film und Kino partizipieren. Sie tragen erheblich zur Demokratisierung einer Gesellschaft bei, in der Filme mehr als Unterhaltung und eben aufklärerisch wirken. Die Jury wird weiterhin dafür garantieren müssen. Am Wochenende werden die Gewinnerinnen verkündet.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann