das jüdische logbuch 29. Sep 2023

Im Namen Gottes

Nizza, September 2023. Auf der Promenade des Anglais findet eine Wache am Mahnmal des Attentats vom 14. Juli 2016 statt. Polizisten gedenken der Opfer. Mit der Inbrunst der Grand Nation wird auch das zelebriert: mit der Kraft der Laizität, der Symbolik der Revolution und dem Statement der Wehrhaftigkeit stehen die Männer stramm in der glühenden Sonne. Am Himmel keine Wolke. Im Namen Gottes richtete der islamistische Attentäter vor sieben Jahren die 86 Opfer mit einem Lastwagen hin, über 400 wurden teils schwer verletzt. Horror und Terror per Lastwagen. Auf der Höhe des Casinos von Nizza, wo gerade eine jüdische Hochzeit stattgefunden hatte, beendeten Sicherheitsbeamte den Alptraum. – Es ist Jom Kippur, die Menschen machen sich auf zum Neila-Gebet hinter der Place Masséna in Nizza. Aus allen Richtungen schreiten die Menschen zu den Synagogen. Die Hohen Feiertage Jamim Noraim führen Menschen zusammen. Derweil wird die Schweiz von zwei Skandalen überrollt. Die evangelikale Chocolatier-Familie Läderach soll Teil eines psychischen und physischen Gewaltmissbrauchs an Kindern und Mitgliedern einer sektengleichen Gemeinschaft sein. Im Namen Gottes. Scheinheiligkeit, Missbrauch, Lüge. Das Schweizer Fernsehen hat in einer Dokumentation Abgründe aufgedeckt, die auch nach den Recherchen zur Familie in den letzten Jahren kaum hätten erahnt werden können. Die Familie wehrt sich mit PR-Salven, schüchtert Opfer und Medien trotz erdrückender Fakten mit Klagen ein. Eine Woche zuvor publiziert die Universität Zürich in einem Bericht über 1000 dokumentierter Missbrauchsfälle der katholischen Kirche der Schweiz. Im Namen Gottes missbrauchten kirchliche «Würdenträger» Kinder, vertuschten, negierten, während sie den Menschen in der Kirche Gottes Wort und Familienwerte predigten. Die katholische Kirche mit ihrem Jahrhunderte tranierten System von Mord und Totschlag, Antisemitismus und Übergriffen, sexuellem Missbrauch von Kindern, Frauen, Männern in einem perversen System von Zölibat und Lüge, von selbstgerechter Attitüde bis in die tiefe Gegenwart. Falsche Selbstliebe statt richtige Nächstenliebe. Alles im Namen Gottes. Und es geschieht heute noch tagtäglich in diesem perversen Männer-Syndikat. Millionen von Opfern und Massenmorden bis in die Gegenwart: In Kanada missbrauchte und folterte die Kirche bzw. ihre perversen Repräsentanten Kinder von Ureinwohnern, in Irland brachten sie tausende von unehelichen Kindern um. Die Liste der Kirchenverbrechen sollte längst als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft sein, die Kirche auf die EU-Liste der Terrororganisationen aufgeführt werden, wie andere, die im Namen Gottes Menschen töten. Die einen tun es aus Hass gegen Menschen, die andere aus Liebe zu Gott und sich selbst – doch für die Opfer macht das keinen Unterschied. Daher dürfte die Unschuldsvermutung Täter – auch Jürg Läderach – nicht länger schützen, Opfer noch länger Leiden aussetzen, sondern der Nichtschuldigbeweis angetreten werden müssen. Doch weltweit führen Kirchen unabhängige internationale Kirchengerichte, weltliche Gerichte schauen zu oft weg oder sind aufgrund von Verjährung der Fälle nicht mehr zuständig. Alles ein perverser Hohn. Nun fehlt nur noch, dass die Mafia und die Fifa eigene Gerichtshöfe führen. Die Schiedsgerichtsbarkeit bleibt oft fragwürdig, wie sich in diesen Tagen auch bei jüdischen «Bet Din» bei Wilkür (vgl. Seite 12) und Vertuschung bei Missbrauchsfällen zeigt, wie kürzliche Recherchen zeigten. Man kann es nicht vergleichen, für die Opfer macht es aber auch hier keinen Unterschied. – Im Namen Gottes bringen Verbrecher Leid über Menschen. Es sind keine Ausnahmen, keine Einzelfälle – es ist System. Ablasshandel, das nächste Gebet, die Verbrecher rundherum werden sich weiter entlasten. Im Namen Gottes.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann