Das Jüdische Logbuch 21. Feb 2020

Der faschistische Terror gegen Migration

Berlin, Februar 2020. Der erfolgreiche Schriftsteller aus Ost-Berlin. Der Oberarzt und führende Neurologe am Jüdischen Krankenhaus Berlin. Die leitende Verantwortliche eines deutschen Ministeriums. Der Künstler aus China. Der Journalist aus Afghanistan, Mutter dreier christlich-muslimischer Kinder aus Deutschland, die ehemalige Ärztin, der Unternehmer. Ein Berliner Abend bis tief in die Nacht. Unterschiedliche Biografien, Herkunft, Ethnien, Religionen, sehr unterschiedliche Perspektiven und doch eint die zufällig zusammengefundenen Menschen das Liberale. Es wird offen debattiert über Politik, Gesellschaft und Herausforderungen – vor allem wird versucht, die deutsche Politik im Kontext deutscher Geschichte und aktuellen Entwicklungen bis zuletzt in Erfurt zu verstehen, ohne falsche Analogien zu bemühen. Dann ist Mittwochnacht alles wieder da. Der gezielte, mörderische, rechtsextremistische Anschlag von Hanau auf arabischstämmige Menschen wenige Tage nach der Aushebeln einer neuen neonazistischen Terrorzelle zeigt, dass rund 20 Jahre nach den NSU-Morden, zwei Jahre nach den Prozessen nichts vorbei ist und die Aufarbeitung weitere neonazistische Terrorzellen nicht verhindern wird. Waren in den 1970er und 1980er Jahren zuerst Israel und Juden Angriffsziel, sind Muslime als die neuen Chiffren des vermeintlich Fremden hinzugekommen. Ob der Neo-nazismus letztlich zurück in die christliche Gesellschaft gefunden hat, bleibt eine andere Debatte. Doch klar ist, dass Europa rechtsex­tremer, antisemitischer Populismus einen neuen Diskurs und verfassungsrechtliche Massnahmen benötigt. Klar ist auch nach den Skandalen in Hessens Polizei oder jüngst unter deutschen Soldaten, dass rechtsextremes Gedankengut bis tief ins Innere von Sicherheitsbehörden reicht. Das Fremde überfordert Europas Gesellschaft. Die Migration überfordert Individuen und Systeme. Die einzige Antwort darauf ist, nicht zurückzuschrecken, sondern Selbstbewusstsein. Politik und die Zivilgesellschaft lassen sich von den Faschisten treiben und merkbar/unmerkbar versetzen sich liberale Werte und sicher geglaubte Errungenschaften. Das Dumpfe hat längst die Alltagsdebatte im Griff. Leugnung von Geschichte, Stigmatisierung von Minderheiten, liberalen Gesellschaften, Populismus – dem mag der heutige Diskurs der Mitte nicht mehr beikommen. Zurückschrecken vor den eigenen Errungenschaften, wird Pro­bleme nicht lösen und Faschisten nicht schwächen, sondern nur stärken. Vielleicht werden Europas Staaten Synagogen, vielleicht ein paar jüdische Schulen, aber sicher nicht alle gefährdeten Minderheiten ­schützen können, die von Nationalisten, 
Extremisten und Faschisten gefährdet sind. Daher muss die liberale Mitte unabhängig von Parteibüchern Antworten finden und umsetzen. Bis der Faschismus auf diesem Kontinent keine Chance mehr hat. Gerade auch an solchen Abenden.

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann