das jüdische logbuch 24. Feb 2023

Das Xylophon gegen Massenmord

Berlin, Februar 2023. «Die Strasse stinkt nach Blut. Hier haben sie die Wahrheit massakriert» schreibt Wolfgang Borchert in «Draussen vor der Tür».

Kriege beginnen mit der Lüge, die sich durchgesetzt hat. Auch im Krieg gegen die Ukraine mit seinen mörderischen Verbrechen gegen die Menschheit. Hier in Berlin ist der Krieg omnipräsent. Entlang der Strassensteigen erinnern Stolpersteine, Gedenktafeln, Monumente, die Museen an die Weltkriege des 20. Jahrhunderts – und die Überreste der Mauer irgendwie auch als Anfang des Kriegs in der Ukraine. Die Meile zwischen «Topographie des Terrors» ist an diesem kalten Sonnentag voller Menschen, vor Gedenkstätte und weiter zum Potsdamer Platz stehen Menschenschlangen. Der Krieg bewegt Besucher und die Berlinale. Sie ist politisch, vielleicht sogar zu wenig cinematographisch. Ukraine, Iran, die Flüchtlinge, viele Weltkonflikte sind omnipräsent. Endlich. Bald werden sie die Mahnmale in Butscha, Cherson, Saporischja besuchen. Einige werden nach Hause kommen als lebende Tote: «Einer von denen, die nach Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist.» Borchert war einer von ihnen und sein Text einer der wichtigsten des 20. Jahrhunderts. Der Text vom Mann mit dem Xylophon, er spielt mit Prothesen. Jene, die zurückkehren, wird der Krieg entmenschlicht haben. Die russischen Mörder, die ukrainischen Helden – die doch keine sein sollten und wollten. Die Fratze des Krieges ist eine der Männer. Und es bleibt die Frage: Was haben die Menschen nicht gelernt nach dem Jahrhundert der Genozide, Massaker, industriellen Menschenvernichtungen?

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.

Yves Kugelmann