TEL AVIV 25. Jul 2025

Weisse Stadt in dunklen Zeiten

Gründer Micha Gross hatte eine Vision – und nun feiert er 25 Jahre Bauhaus Center.

Der Schweizer Micha Gross feiert mit dem Bauhaus Center Tel Aviv 25 Jahre Jubiläum – zwischen Geschichte, Kriegszerstörung und Visionen.

Das Bauhaus Center Tel Aviv feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen. Den Auftakt macht eine Vernissage mit einer Sammlung von Postern, die von Künstlern und Designern im Geiste des Bauhaus-Zentrums und der oft beschworenen «Weissen Stadt» eigens für die festliche Veranstaltung entworfen wurden. Jeremie Hoffmann, Architekt und Historiker, seit 2005 Leiter der Denkmalpflegeabteilung der Stadtverwaltung Tel Aviv, wird anlässlich des Bauhaus-Center-Jubiläums über die speziellen Herausforderungen zur Bewahrung der Bauhaus-Ensemble sprechen, welche seit 2003 Unesco-Weltkulturerbe sind.

Gründer und Leiter des Bauhaus Center Tel Aviv ist Micha Gross. Ein persönlicher und lang gehegter Traum hat sich kürzlich für ihn und seine Frau erfüllt: «vor einigen Wochen haben wir eine Wohnung in einem Bauhaus beziehen können, es ist unsere Traumwohnung».

Nach seinem Lizenziat an der Uni Zürich wechselte der gebürtige Schweizer an das Technion Haifa, wo er auf seinem Spezialgebiet, der experimentellen Schlaf- und Traumforschung, promovierte. Anschliessend folgte er der Einladung der Universität und führte gut fünf Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter das Schlaflabor. Zudem gründete Micha Gross gemeinsam mit Asher Ben Shmuel das erste klinische Schlaflabor in Zürich.

Aufbruch mit Geschichte
1994 entschied sich das Ehepaar zur Rückkehr nach Israel, wo sie sich in Tel Aviv niederliessen, dem Geburtsort seiner Frau. Micha Gross kehrte zunächst an das Technion zurück, um dort im Schlaflabor zu arbeiten. Gross erzählt, wie er als Wissenschaftler auf die Idee kam, ein Zentrum für Bauhaus-Architektur zu gründen, «ich habe mich schon immer sehr für Architektur interessiert. Meine Ehefrau arbeitete als Reiseleiterin in Israel. Als wir unser zweites Kind, eine Tochter, erwarteten, wollte sie, trotz Arbeit, viel in der Nähe unseres Kindes sein. Es entstand die Idee, Bauhaus-Touren für Touristen zu organisieren, und wir begannen, uns tief in die Thematik Bauhaus und Modernismus einzuarbeiten und Touren zu konzipieren.» Dies mit Unterstützung eines Experten, «wir hatten das grosse Glück, Shmuel Mestechkin, einen israelischen Bauhaus-Absolventen persönlich treffen und konsultieren zu können».

Shmuel Mestechkin (1908–2004), geboren in Wasylkow bei Kiew, war Absolvent der Bauhaus-Schule. 1915 machte er zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder Alija. Nach seinem Abschluss am Bauhaus kehrte er nach Israel zurück und begann im Büro von Joseph Neufeld zu arbeiten. Mestechkin, neben seiner Leidenschaft für den Modernismus auch Unterstützer der Kibbuzbewegung, entwarf den Kibbutz Hashomer Hatztair sowie Gebäude für die Kibbutzim Naan, Ramat Hakovesh, Mizra und Ashdot Yaakov.

Ritterschlag aus Europa
«Die Resonanz auf unsere Bauhaustouren waren enorm», erinnert sich Micha Gross, «anfangs waren es überwiegend Israeli. Wir haben die Bauhaus-Touren nicht erfunden, die Thematik in unseren Touren aber vertieft und schnell zeigte sich, dass unsere Gäste zusätzliche Informationen wünschten. Das brachte uns auf die Idee die Ersten zu sein, die eine Anlaufstelle für Bauhaus-Interessierte schaffen. Viele hielten uns für völlig verrückt». 2000 war es so weit: die Einweihung des Bauhaus-Center in Tel Aviv als private Institution.

Zehn Jahre zuvor, 1990, hatte die Stadtverwaltung Tel Aviv eine Abteilung zum Denkmalschutz ins Leben gerufen. 2003 dann der «Ritterschlag», Aufnahme der «Weissen Stadt» ins Unesco-Weltkulturerbe. «Dies ist dem unermüdlichen Engagement von Nitza Metzger-Smuk und allein ihr zu verdanken», betont Micha Gross, «Architektin, Restauratorin und ehemalige Direktorin der Denkmalschutzbehörde. Sie war diejenige, die trotz aller Widerstände die Bewerbung geschrieben und an die Unesco adressiert hat».

Nitza Metzger-Smuk studierte Architektur in Florenz, wo sie die ersten Erfahrungen auf dem Gebiet der Erhaltung historischer Gebäude sammelte. Sie ist Autorin des Buches «Leben in den Dünen», in dem sie Beispiele modernistischer Architektur der 1930er Jahre in Tel Aviv sammelte. 1990 kehrte sie nach Tel Aviv zurück, wo sie zur Chefarchitektin und Restauratorin der Stadt ernannt wurde. 1994 organisierte sie das Festival «Bauhaus in Tel Aviv», für das sie herausragende Architekten aus verschiedenen Ländern gewinnen konnte. 2003 eröffnete sie ihr eigenes Büro für Denkmalpflege.

Gebäude, Strassen, Fassaden
Die Aufnahme der Weissen Stadt in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes ist auch eine Verpflichtung, das architektonische Bauhaus-Erbe zu bewahren. «Die Stadt Tel Aviv hat ihren eigenen Weg gefunden, einen sehr pragmatischen Ansatz, dem Unesco-Auftrag des Denkmalschutzes nachzukommen» erläutert Micha Gross, «das Bauhaus-Erbe wurde in drei Kategorien eingeteilt: Gebäude, die nicht verändert werden dürfen, Gebäude, die aufgestockt werden dürfen, wobei die Fassaden der zusätzlichen Stockwerke nach hinten versetzt sein müssen, sodass man sie von der Strasse aus nicht sieht. Bei der dritten Kategorie dürfen die zusätzlichen Etagen deutlich sichtbar sein.»

Der Erhalt der Bauhaus-Gebäude ist kostspielig und erklärt die pragmatische Herangehensweise der Finanzierung, denn die hinzugefügten Etagen können verkauft werden, wodurch die Instandhaltung finanziert wird. Dem geht eine Eigentümerversammlung voraus. Mit einer Dreiviertelmehrheit muss die Idee einer sogenannten ‹Nachverdichtung› angenommen werden.» Die meisten Bauhaus-Wohnungen sind Eigentumswohnungen. Es obliegt den Wohnungseigentümern, gemeinsam eine Firma zu finden, die die Instandsetzungen beziehungsweise Renovierungen durchführt. Nach einer kleinen Pause fügt Micha Gross hinzu, «in Europa wäre dieser Ansatz des Denkmalschutzes undenkbar, Tel Aviv geht es pragmatisch an». In der Tat, der «Tel Aviver Weg» stösst vielerorts auf Unverständnis und wird kontrovers diskutiert. «Ein gutes Beispiel für eine gelungene Nachverdichtung sind die Bauhäuser, die am Dizengoff-Platz stehen. Sie wurden um zwei Etagen aufgestockt. Meiner Meinung nach kommt ihr Bauhaus-Charakter dadurch noch deutlicher zum Ausdruck,» schwärmt Micha Gross.

Im Rahmen umfangreicher und aufwendiger Umbauarbeiten wurde der Kikar Dizengoff wieder in seinen Originalzustand der 1930er Jahre versetzt. Die Menschen haben es dankbar angenommen, der zentral gelegene Dizengoff-Platz hat sich zu einem beliebten Treffpunkt entwickelt und ist zudem ein urbaner Spiegel der Ereignisse im Land. «Die Erinnerung an die Hamas-Opfer vom 7. Oktober 2023 sowie die noch in Gaza festgehaltenen Geiseln, zeigt sehr gut, wie dieser Platz funktioniert: Die Menschen haben sich hier spontan zusammengefunden, um ihrem Schmerz, ihrer Trauer und ihrer Verzweiflung gemeinschaftlich Ausdruck zu verleihen. Sie haben den Dizengoff-Platz, umgeben von Bauhaus-Ensembles, friedlich zu einem öffentlichen Denkmal transformiert. Die Stadt Tel Aviv verhält sich klug: Sie lässt die Menschen gewähren, interveniert nur, wenn es zu chaotisch wird, auch hinsichtlich der Hygiene, schliesslich ist es ein öffentlicher Platz.»

Iran trifft Bauhaus
Auch der «Zwölf-Tage-Krieg» mit Iran in diesem Juni hat seine Spuren hinterlassen. Micha Gross berichtet von massiven Beschädigungen an Bauhaus-Ensembles in der Gegend, wo einst das legendäre Mugrabi-Opernhaus, 1928–1930 von Joseph Berlin erbaut, seinen Standort hatte, Allenby-/Ecke Ben-Yehuda-Strasse. In den 1940er Jahren beherbergte das Gebäude die Palestine Folk Opera Company. Ab den 1970er Jahren wurde der Theatersaal auch als Kinosaal genutzt. Das Mugrabi wurde durch einen Brand am 17. Juni 1986 schwer beschädigt, 1989 wurde es zugunsten eines Parkplatzes abgerissen.

Auf die Frage, warum man bei der «Weissen Stadt» für gewöhnlich vom Bauhaus und nicht vom Internationalen Stil spricht, ist Micha Gross, Gründer und Leiter des Bauhaus Center Tel Aviv, vorbereitet: «Wir können es nicht eindeutig beantworten. Tatsache ist, dass unter den Hunderten Architekten, die am Aufbau der Stadt Tel Aviv beteiligt waren, sechs ehemalige Bauhaus-Studenten waren, so auch der legendäre Arieh Sharon, der mit seiner Architektur landesweit prägend war». Gross deutet in seinem Büro auf eine gerahmte Architektur-Skizze: «Sharon entwarf auch Arbeitersiedlungen, ganz im Sinne von Hannes Meyer, einem berühmten Schweizer Architekten und Urbanisten.» Hannes Meyer wirkte einige Jahre als Direktor am Bauhaus Dessau. «Allgemein spricht man vom Modernismus: ein Stil, der sich nach dem Ersten Weltkrieg herausgebildet hat. Man nennt diesen architektonischen Stil auch International Style, ein allgemeiner Überbegriff, geprägt in den 1920er Jahren in den USA. Dieser moderne Stil wurde auch am Bauhaus gelehrt», und er fährt fort: «Man erzählt sich, dass in den 1970er oder 1980er Jahren jemand aus Deutschland zu Besuch in Tel Aviv war, möglicherweise als Gast bei Michael Levin, einem israelischen Architektur-Historiker. Dieser Besucher soll beim Anblick der Häuser gesagt haben, dass die Häuser in Tel Aviv ihn an Bauhaus-Gebäude in seiner Heimat erinnern, was dazu geführt haben soll, dass sich in Tel Aviv die Bezeichnung ‹Bauhaus› etablierte.

«Nach dem 7. Oktober waren auch wir wie gelähmt, so wie das ganze Land. Wir haben uns gefangen, machen weiter, neue Ausstellungen sind in Planung, so auch über einen jungen südamerikanischen Architekten, einen Modernisten». Das Bauhaus Center Tel Aviv ist eine privat geführte Institution und daher auf projektbezogene Unterstützung angewiesen, wie etwa bei der Realisierung eines Buchs über Lotte Cohen, der ersten Frau, die in Palästina ein Architekturbüro eröffnete.

Die Liste prominenter Besucher liest sich wie eine Who-is-Who-Liste: Botschafter vieler Länder, amerikanische und europäische Politiker sowie aus Südamerika, der chinesische Kulturattaché. «Für Simon Geissbühler, Schweizer Botschafter in Israel, haben wir eigens eine Tour konzipiert und ihn in unserem Bauhaus-Zentrum hinsichtlich vertiefender Literatur beraten», ergänzt Micha Gross seine Aufzählung. Auch für Architekturstudenten ist das Bauhaus-Zentrum eine wichtige Anlaufstelle, unter ihnen auch Araber, «wir hatten jahrelang einen jungen arabischen Studenten, der während seines Architekturstudiums bei uns gearbeitet hat.»

Im Strudel der Weltpolitik
Die aktuelle Ausstellungskonzeption legt ihren Fokus auf erfolgreiche Instandhaltungsarbeiten einiger Bauhaus-Ensembles. «Wir konnten die Ausstellung bereits in der Schweiz, Moskau, Deutschland, Georgien und in weiteren Ländern zeigen. Seit dem Gaza-Krieg – in Folge des Hamas-Terrorangriffs am 7. Oktober 2023 – haben uns einige westeuropäische Länder, die bereits unsere Ausstellung angefragt hatten, abgesagt», Micha Gross pausiert einen Moment, fährt dann fort, «man kann es einen Boykott nennen. Nicht in Russland. Wir sind nochmals eingeladen, eine Ausstellung zu zeigen, dieses Mal auch in Jekaterinburg. Ich werde als Referent vor Ort sein und einen Vortrag über die Weisse Stadt halten.» Organisiert wurden Kontakt und Durchführung über die israelische Botschaft in Moskau.

Anfangs hielten die Israelis Micha Gross und seine Frau für völlig verrückt. «Man nannte uns Fantasten», schmunzelt Micha Gross, «wir haben uns nicht beirren lassen, haben es durchgezogen». Der Erfolg gibt ihnen recht. Das Bauhaus Center Tel Aviv ist einzigartig, eine geschätzte private Institution, und geniesst ein hohes internationales Renommee. Wer etwas über Bauhaus, Modernismus und Denkmalschutz in der Weissen Stadt erfahren möchte, ist hier richtig.

Gundula Madeleine Tegtmeyer