Trump möchte im Nahen Osten Frieden nach seinen eigenen Vorstellungen durchsetzen– doch vor Ort bleibt der Waffenstillstand brüchig und die Entwaffnung der Milizen reine Theorie.
Frieden ist derzeit Donald Trumps Lieblingsthema. In 32,2 Prozent seiner Stellungnahmen spricht er darüber. Damit liegt «Frieden» deutlich vor Begriffen wie «Saudi-Arabien» (12,6 %), «Waffenstillstand» (10,2 %) oder «Israel» (8,8 %). «Unabhängigkeit» steht nicht auf Trumps Themenliste. Dabei gibt er nicht nur Richtlinien für Israels Aussenpolitik an, denn auch innenpolitisch ist er in Jerusalem mit dabei. Das Gnadengesuch von Benjamin Netanyahu geht auf eine seiner «Anregungen» zurück.
Nichts läuft ohne Trumps Vorgaben. Er bremst Israel vor allzu scharfen Reaktionen, wenn bewaffnete Hisbollah-Kämpfer tagtäglich in der Sperrzone südlich des Litani-Flusses auftauchen. Auf seinen «Wunsch» bringt die US-Sondergesandte Morgan Ortagus die libanesische Regierung dazu, in Ras Naqura direkt mit einem israelischen Diplomaten zu verhandeln. Zum ersten Mal. Warum? Zur «Unterstützung der Unabhängigkeit Libanons». Wie könnte es anders sein.
Verhandlungen unter Druck
Trotzdem: Mit der im Waffenstillstandsabkommen abgemachten Entwaffnung der Schiitenmiliz Hisbollah hapert es noch. Aus diesem Grund wirkte auch die Vereitelung eines Schmuggeltransports mit Tausenden Gewehren aus dem Iran über Syrien wenige Tage zuvor allzu spontan. Libanons Regierung steht unter Erfolgsdruck, läuft doch zum Jahresende die Frist aus, die der libanesischen Armee zur «Demilitarisierung» der weitaus schlagkräftigeren Hisbollah gesetzt wurde. Trump will «seinen» Frieden wahren und Israel trotz andauernder Spannungen von einem neuen Waffengang im Südlibanon und Südsyrien zurückhalten. Deshalb auch die Hinzunahme der zivilen Diplomaten neben den Vertretern des Militärs beim Treffen in Ras Naqura. Die libanesische Armee braucht mehr Zeit. Wie auch die Truppen des neuen syrischen Regimes, von denen noch niemand weiss, ob es sich immer noch um eine islamistische Miliz oder schon um eine reguläre Armee handelt. Trump glaubt an Letzteres, Israel hat seine Zweifel.
Nicht so spontan wirken auch die Bemühungen der Hamas im Gazastreifen, die erste Stufe der 20 Waffenstillstandsparagrafen hinter sich zu lassen. Was nicht ohne Rückführung aller Geiseln geht, auch der toten. Die Verzögerung der Suche nach der letzten Geisel wirkt methodisch. Immer wieder kommt es in der Sperrzone hinter der Gelben Linie zu Zusammenstössen zwischen Bewaffneten der Hamas und der IDF. Jeder Tag ist den Islamisten wichtig: für die Rekrutierung neuer Kämpfer, für die Wiederaufrüstung, für den Machterhalt. Die Rückführung der sterblichen Überreste der letzten israelischen Geisel könnte daher noch dauern.
Zu Beginn des Waffenstillstands konnte die Hamas nicht mehr den Sold ihrer Kämpfer bezahlen. Nach einigen Wochen Kampfpause und neuen Versorgungstransporten übernehmen sie gegenwärtig – verstärkt mit neuen Rekruten und neuen Waffen – wieder die Herrschaft über die Strassen in den Gebieten, die nicht unter israelischer Kontrolle stehen. Durch «Polizeiaufgaben», zu denen das Eintreiben von Steuern auf den Märkten und an Strassenkontrollen gehört, hat die Terror-Miliz seit Oktober bereits um die 50 Millionen Euro eingenommen.
Ein Plan ohne Partner
Auch Entwaffnung und Entmachtung gehören zu den 20 Punkten Trumps, sind aber bislang nur blosse Theorie. Am Gazastreifen entsteht eine riesige Befehlszentrale der US-Armee, die die Umsetzung des 20-Punkte-Plans überwachen soll. Riesig, aber doch nicht ganz so riesig wie ursprünglich angekündigt. Welche Soldaten aus aller Welt im Gazastreifen mit dabei sein werden, ist immer noch nicht bekannt. Nur die ägyptische Armee steht ohnehin an der Südgrenze.
Wer noch? Diese Frage ist bislang nicht einmal umstritten. Israel zeigte sich zwar nicht begeistert, als die Türkei und Katar als erste Kandidaten Interesse an einer Teilnahme äusserten. Doch auch diese beiden Staaten mit ihren besonderen Beziehungen zur Muslimischen Bruderschaft haben ihre ursprüngliche Bereitschaft bislang nicht konkretisiert. Wie es aussieht, gehen die infrage kommenden Staaten und ihre Armeen davon aus, dass die Hamas noch vor Ankunft der internationalen Truppe ihre Waffen freiwillig niederlegt. Eine durch die internationale Truppe selbst und notfalls mit Gewalt durchgesetzte Entwaffnung steht nicht in ihrem Programm. Erste Vermittlungsvorschläge kommen aus Doha und Ankara. Nur die schweren Waffen sollen abgegeben werden. Oder: Die internationale Friedenstruppe solle die Waffen «treuhänderisch» übernehmen. Irgendein Kompromiss wird sich doch finden lassen.
Nichts ist verpflichtend, nichts ist konkret. Noch ist die letzte Geisel nicht zurück, doch die zweite Stufe der 20-Trump-Punkte soll trotzdem beginnen. Trump will es so. Bereits in zwei Wochen will er mit den Vorbereitungen zur Aufstellung der Internationalen Übergangsbehörde beginnen, der Gaza International Transitional Authority (GITA). Deren Vorsitz will Donald Trump selbst übernehmen, um mit ihr dann die unabhängige palästinensische Technokraten-Regierung für den Gazastreifen zusammenzustellen. Ohne Beteiligung der Hamas. Heisst es. Auch wenn diese mittlerweile immer stärker die Kontrolle im Streifen zurückgewinnt. Selbst wenn sie formell nicht in der Technokraten-Kommission vertreten sein sollte – mit Waffen in ihren Händen wird die Hamas nicht zum passiven Beobachter werden.
Irgendwie sollen auch die Beduinen-Clans mit ihren bewaffneten Banden wieder in die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung eingespannt werden. Doch mit all ihrer kriminellen Erfahrung hätten sie auch nach einer Umerziehung zum Polizeidienst gegen eine bewaffnete Hamas keine Chance. Für die Zivilbevölkerung im Streifen wäre ein Unterschied zwischen Clans und Hamas ohnehin nicht spürbar. Willkür bleibt Willkür und täglich grüsst das Murmeltier.
Die alten Schlachten kehren zurück
Was sagt Israel dazu? Die Armee bereitet sich auf neue «breiter angelegte Kämpfe» gegen eine wieder erstarkte Hamas vor. Netanyahu aber schweigt bis auf regelmässige Telefonate mit Donald Trump. Der äussert sich offiziell nicht zu Israels Drohungen – doch Frieden bleibt sein Lieblingswort.
So züchtet die Regierung in Jerusalem ihre eigenen Murmeltiere. Trotz aller Spannungen an den Kriegsfronten nimmt sie ihren alten Kampf gegen das Oberste Gericht und den Justizapparat wieder auf. Deren Entmachtung bleibt das Ziel, auch wenn die Initiative sich langwieriger gestaltet, als von den Ministern erwünscht.
Alles war schon geplant: Gegen den Widerstand der Opposition und sogar vereinzelter Koalitionsabgeordneter sah es letzte Woche so aus, als hätte das Gesetz zur Wehrpflichtbefreiung junger ultraorthodoxer Schriftgelehrter doch noch eine Mehrheit. Die aus der Koalition ausgetretenen orthodoxen Minister bereiteten sich schon auf ihre Rückkehr vor. Es eilte, steht doch die Haushaltsabstimmung im Kabinett an. Die Koalition muss bis dahin wieder vollständig sein. Doch dann stand alles still.
Das Dilemma der Opposition
Die Zahl der Widerständler aus den eigenen Reihen fiel höher als erwartet aus. Netanyahu sagte wenige Minuten vor ihrem geplanten Beginn eine Pressekonferenz am Dienstag ab, auf der er sich zum ersten Mal öffentlich für das umstrittene Gesetz einsetzen wollte. Ebenfalls verunsichert zogen sich auch die orthodoxen Minister wieder zurück, obwohl ihre Ministerien für sie freigehalten worden waren.
Noch überraschender als das andauernde Schweigen des Premiers im allgemeinen Chaos aber war das Schweigen der Opposition. Sie steckte fest in ihrem alten Dilemma: Sie hätte sich in dem Chaos, das die Regierungskoalition anrichtete, parlamentarisch verweigern können. Gleich mehrfach hatte die Regierungsmehrheit das Gesetz gebrochen. Etwa als sie nach dem Abgang der orthodoxen Abgeordneten deren geräumte Ämter nicht neu besetzte. Das Gesetz schreibt dem Parlament die Ernennung von Ausschussvorsitzenden zwingend vor. Daraufhin hätte die Opposition ihre Mitarbeit einstellen können, was das parlamentarische Chaos noch gesteigert hätte. Stattdessen kamen die Vertreter der Opposition pflichtbewusst ihren Aufgaben in den Ausschüssen ohne Vorsitzende nach.
Nicht so die Regierung Netanyahu. Sie kennt kein Dilemma. Als das Oberste Gericht sich zusammensetzte, um über die Legalität der umstrittenen Kündigung der Rechtsberaterin Gali Baharav-Miara zu verhandeln, verweigerte sich die Regierung und schickte keinen Vertreter ins Oberste Gericht. Um Gesetze oder parlamentarische Pflichten zu ignorieren, braucht diese Regierung keine Aufforderung. Auch nicht von Donald Trump.