Drei Jahrzehnte nach den Osloer Abkommen wollen Frankreich, Belgien, Kanada und Grossbritannien an der Uno-Vollversammlung von Montag neue Fakten schaffen – eine Kontroverse ist schon vorprogrammiert
Gut eine Woche vor der geplanten Anerkennung bei der Generaldebatte der Vereinten Nationen stimmte die Uno-Vollversammlung am Freitag bereits für ein Dokument, das ein Ende der Herrschaft der islamistischen Terrororganisation Hamas im Gazastreifen sowie eine Zweistaatenlösung fordert. 142 Länder sprachen sich für die Unterstützung des Papiers aus. Zehn stimmten dagegen, darunter die USA und Israel. Zwölf Mitgliedsländer enthielten sich. Die Schweiz begründet ihre Enthaltung damit, dass eine Vollmitgliedschaft Palästinas derzeit «wegen der instabilen Situation und Friedensbemühungen» nicht hilfreich sei. Grossbritannien wird sich gemäss Medienberichten Frankreichs Forderungen anschliessen.
Frankreich prescht vor
Die Abstimmung fand mit Blick auf ein für den 22. September im Vorfeld der UN-Generaldebatte geplantes Treffen zu dem Thema statt, für das Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die offizielle Anerkennung eines Staates Palästina durch sein Land angekündigt hat.
Frankreichs Vorstoss hängt vor allem mit Macrons Wunsch zusammen, den verheerenden Gaza-Krieg zu beenden. Nicht zum ersten Mal versucht er, mit umstrittenen diplomatischen Initiativen internationale Konflikte zu lösen. Er unterstreicht damit auch Frankreichs Anspruch auf eine Führungsrolle in der Weltpolitik.
Nach Angaben seines Aussenministeriums geht es Macron vor allem um die Umsetzung der Zweistaatenlösung, die neben Israel einen unabhängigen Palästinenser-Staat vorsieht. Mit der Anerkennung setzt er auf ein neues Druckmittel gegen Israel – nachdem frühere Bemühungen wirkungslos geblieben sind. Bei einem Besuch in der Region zeigte er sich tief betroffen von der humanitären Lage in Gaza. Experten zufolge will er zugleich das Prinzip wahren, internationale Konflikte nicht mit zweierlei Mass zu bewerten.
Palästinensischer Traum seit Generationen
Nach dem Ersten Weltkrieg fiel die Region Palästina zunächst unter britische Verwaltung. 1917 hatte London Juden eine «nationale Heimstätte», zugleich aber auch den Arabern Unterstützung, versprochen. Versuche, beide Nationalbewegungen in einem Staat zu vereinen, scheiterten an zunehmender Gewalt.
Die Ermordung von sechs Millionen Juden während des Holocaust verstärkte die Überzeugung, dass die Einrichtung eines jüdischen Staates als «sicherer Hafen» unerlässlich war. 1947 beschlossen die Vereinten Nationen daraufhin die Teilung Palästinas: Israel für Juden, Palästina für Araber. Die arabische Seite lehnte den Plan jedoch ab. 1948 wurde von jüdischer Seite auf dieser Basis der Staat Israel gegründet. Unmittelbar darauf griffen die Nachbarländer Ägypten, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien den jungen Staat an. Doch sie verloren. Der erste Nahost-Krieg, Israels Unabhängigkeitskrieg, führte zu Flucht und Vertreibung von mehr als 700 000 Palästinensern während der «Nakba» («Katastrophe»). Hunderttausende weitere folgten im Sechstagekrieg 1967, heute als «Naksa» («Rückschlag») bezeichnet.
Extremisten torpedierten Friedensprozess
Der Friedensprozess in den 1990er Jahren weckte zunächst grosse Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des jahrzehntelangen blutigen Konflikts, der auf beiden Seiten zahlreiche Opfer gefordert hatte. Es konnte jedoch nach der Schaffung einer Palästinensischen Autonomiebehörde keine Einigung über die zentralen Konfliktpunkte erzielt werden – von den Grenzlinien über den Status Jerusalems bis hin zu dem Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge und der Frage der israelischen Siedlungen.
Extremisten auf beiden Seiten haben zudem immer wieder versucht, den Friedensprozess mit Gewalt zu torpedieren. Auch die tiefe Spaltung zwischen den rivalisierenden palästinensischen Organisationen Hamas und Fatah hat das palästinensische Streben nach einem eigenen Staat über die Jahre nachhaltig geschwächt. Obwohl bereits fast 150 der 193 Mitgliedsstaaten einen palästinensischen Staat anerkannt haben, hat aus palästinensischer Sicht die Entscheidung mehrerer zentraler Weltmächte, die traditionell zu den engsten Unterstützern Israels zählen, eine besondere Bedeutung. Wichtiger noch ist jedoch, dass diese Anerkennung die Möglichkeit der Umsetzung der Zweistaatenlösung stützen soll, die derzeit durch den massiven Siedlungsausbau Israels im Westjordanland, Annexionsbestrebungen sowie durch die systematische Schwächung der Palästinensischen Autonomiebehörde mit Sitz in Ramallah stark gefährdet ist.
Eine Anerkennung verleiht dem palästinensischen Streben nach einem eigenen Staat neue Legitimität und könnte den Weg zur vollen Uno-Mitgliedschaft ebnen.
Israels Strategie
Die israelische Regierung lehnt die Zweistaatenlösung mit der Begründung ab, sie gefährde die Existenz Israels. Sie wirft der Autonomiebehörde von Präsident Mahmud Abbas vor, Palästinenser zu Terror zu ermutigen. Zudem wird kritisiert, eine Anerkennung jetzt käme einer «Belohnung für die Hamas» nach dem beispiellosen Massaker vom 7. Oktober 2023 gleich. Die Terrororganisation Hamas hat sich die Zerstörung Israels und die Einrichtung eines islamischen Staates auf dem gesamten Gebiet des historischen Palästinas auf die Fahne geschrieben.
Gleichzeitig treibt die rechtsreligiöse Regierung Binyamin Netanyahus den Ausbau der Siedlungen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem stetig voran. Die Gebiete, in denen heute mehr als 700 000 Siedler neben rund drei Millionen Palästinensern leben, wurden von Israel im Sechstagekrieg 1967 erobert. Die Palästinenser beanspruchen sie ebenso wie den Gazastreifen für einen eigenen Staat. Durch die fortschreitende Besiedlung bliebe davon jedoch schon heute nur ein «Flickenteppich» übrig. Rechtsextreme und den Siedlern geneigte Minister innerhalb der Regierung drängen zudem massiv auf eine Annexion des Westjordanlands, das sie als Teil des biblischen Israels betrachten. Finanzminister Bezalel Smotrich drohte zuletzt, Israel werde sich das Gebiet – auf Hebräisch «Judäa und Samaria» – einverleiben, sollte ein palästinensischer Staat anerkannt werden.
Die Agenda in New York
Jedes Jahr im September reisen mehr als 100 Staats- und Regierungschefs an den East River nach New York, um vor dem wichtigsten Gremium der Vereinten Nationen zu sprechen. Die Generaldebatte der Uno-Vollversammlung gilt als grösste diplomatische Bühne der Welt und bietet damit den idealen Rahmen für eine völkerrechtlich bedeutende Ankündigung wie diese.
Frankreich prescht vor
Die Abstimmung fand mit Blick auf ein für den 22. September im Vorfeld der UN-Generaldebatte geplantes Treffen zu dem Thema statt, für das Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die offizielle Anerkennung eines Staates Palästina durch sein Land angekündigt hat.
Frankreichs Vorstoss hängt vor allem mit Macrons Wunsch zusammen, den verheerenden Gaza-Krieg zu beenden. Nicht zum ersten Mal versucht er, mit umstrittenen diplomatischen Initiativen internationale Konflikte zu lösen. Er unterstreicht damit auch Frankreichs Anspruch auf eine Führungsrolle in der Weltpolitik.
Nach Angaben seines Aussenministeriums geht es Macron vor allem um die Umsetzung der Zweistaatenlösung, die neben Israel einen unabhängigen Palästinenser-Staat vorsieht. Mit der Anerkennung setzt er auf ein neues Druckmittel gegen Israel – nachdem frühere Bemühungen wirkungslos geblieben sind. Bei einem Besuch in der Region zeigte er sich tief betroffen von der humanitären Lage in Gaza. Experten zufolge will er zugleich das Prinzip wahren, internationale Konflikte nicht mit zweierlei Mass zu bewerten.
Palästinensischer Traum seit Generationen
Nach dem Ersten Weltkrieg fiel die Region Palästina zunächst unter britische Verwaltung. 1917 hatte London Juden eine «nationale Heimstätte», zugleich aber auch den Arabern Unterstützung, versprochen. Versuche, beide Nationalbewegungen in einem Staat zu vereinen, scheiterten an zunehmender Gewalt.
Die Ermordung von sechs Millionen Juden während des Holocaust verstärkte die Überzeugung, dass die Einrichtung eines jüdischen Staates als «sicherer Hafen» unerlässlich war. 1947 beschlossen die Vereinten Nationen daraufhin die Teilung Palästinas: Israel für Juden, Palästina für Araber. Die arabische Seite lehnte den Plan jedoch ab. 1948 wurde von jüdischer Seite auf dieser Basis der Staat Israel gegründet. Unmittelbar darauf griffen die Nachbarländer Ägypten, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien den jungen Staat an. Doch sie verloren. Der erste Nahost-Krieg, Israels Unabhängigkeitskrieg, führte zu Flucht und Vertreibung von mehr als 700 000 Palästinensern während der «Nakba» («Katastrophe»). Hunderttausende weitere folgten im Sechstagekrieg 1967, heute als «Naksa» («Rückschlag») bezeichnet.
Extremisten torpedierten Friedensprozess
Der Friedensprozess in den 1990er Jahren weckte zunächst grosse Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des jahrzehntelangen blutigen Konflikts, der auf beiden Seiten zahlreiche Opfer gefordert hatte. Es konnte jedoch nach der Schaffung einer Palästinensischen Autonomiebehörde keine Einigung über die zentralen Konfliktpunkte erzielt werden – von den Grenzlinien über den Status Jerusalems bis hin zu dem Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge und der Frage der israelischen Siedlungen.
Extremisten auf beiden Seiten haben zudem immer wieder versucht, den Friedensprozess mit Gewalt zu torpedieren. Auch die tiefe Spaltung zwischen den rivalisierenden palästinensischen Organisationen Hamas und Fatah hat das palästinensische Streben nach einem eigenen Staat über die Jahre nachhaltig geschwächt. Obwohl bereits fast 150 der 193 Mitgliedsstaaten einen palästinensischen Staat anerkannt haben, hat aus palästinensischer Sicht die Entscheidung mehrerer zentraler Weltmächte, die traditionell zu den engsten Unterstützern Israels zählen, eine besondere Bedeutung. Wichtiger noch ist jedoch, dass diese Anerkennung die Möglichkeit der Umsetzung der Zweistaatenlösung stützen soll, die derzeit durch den massiven Siedlungsausbau Israels im Westjordanland, Annexionsbestrebungen sowie durch die systematische Schwächung der Palästinensischen Autonomiebehörde mit Sitz in Ramallah stark gefährdet ist.
Eine Anerkennung verleiht dem palästinensischen Streben nach einem eigenen Staat neue Legitimität und könnte den Weg zur vollen Uno-Mitgliedschaft ebnen.
Israels Strategie
Die israelische Regierung lehnt die Zweistaatenlösung mit der Begründung ab, sie gefährde die Existenz Israels. Sie wirft der Autonomiebehörde von Präsident Mahmud Abbas vor, Palästinenser zu Terror zu ermutigen. Zudem wird kritisiert, eine Anerkennung jetzt käme einer «Belohnung für die Hamas» nach dem beispiellosen Massaker vom 7. Oktober 2023 gleich. Die Terrororganisation Hamas hat sich die Zerstörung Israels und die Einrichtung eines islamischen Staates auf dem gesamten Gebiet des historischen Palästinas auf die Fahne geschrieben.
Gleichzeitig treibt die rechtsreligiöse Regierung Binyamin Netanyahus den Ausbau der Siedlungen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem stetig voran. Die Gebiete, in denen heute mehr als 700 000 Siedler neben rund drei Millionen Palästinensern leben, wurden von Israel im Sechstagekrieg 1967 erobert. Die Palästinenser beanspruchen sie ebenso wie den Gazastreifen für einen eigenen Staat. Durch die fortschreitende Besiedlung bliebe davon jedoch schon heute nur ein «Flickenteppich» übrig. Rechtsextreme und den Siedlern geneigte Minister innerhalb der Regierung drängen zudem massiv auf eine Annexion des Westjordanlands, das sie als Teil des biblischen Israels betrachten. Finanzminister Bezalel Smotrich drohte zuletzt, Israel werde sich das Gebiet – auf Hebräisch «Judäa und Samaria» – einverleiben, sollte ein palästinensischer Staat anerkannt werden.
Die Agenda in New York
Jedes Jahr im September reisen mehr als 100 Staats- und Regierungschefs an den East River nach New York, um vor dem wichtigsten Gremium der Vereinten Nationen zu sprechen. Die Generaldebatte der Uno-Vollversammlung gilt als grösste diplomatische Bühne der Welt und bietet damit den idealen Rahmen für eine völkerrechtlich bedeutende Ankündigung wie diese.
Sara Lemel, Michael Evers