Georg Stefan Troller war Journalistenlegende und Zeitzeuge – sein Tod markiert das Ende einer Epoche an der Schwelle in eine neue Konfliktzeit.
Eines seiner vielen letzten Bücher – George, so nannte er sich selbst, und so nannten ihn seine Freunde, schrieb davon gefühlt jedes Jahr eines – trägt den Titel «Liebe, Lust und Abenteuer». «Das», so sein – wie stets – ironischer Kommentar, «ist doch alles, wonach ich strebte.» Das Buch erschien im Jahre 2019, kurz vor Trollers 98. Geburtstag. Und in der Tat, es war ein abenteuerliches Leben, das der 1921 im Wiener Fetzenviertel als Sohn eines jüdischen Pelzhändlers geborene Georg Stefan Troller gelebt hat, ein Leben, das, wäre es nach dem Willen der 1938 in Österreich einmarschierten Nazis gegangen, gar nicht so lange hätte dauern dürfen. Troller entzog sich mit seinem Bruder dem sicheren Tod durch Flucht, geradezu im letzten Augenblick und durch die Hintertür des Elternhauses. Zuerst in die Tschechoslowakei, dann nach Frankreich, wo er interniert wurde, sich wieder dünne machen konnte und dann mit Glück von Marseille aus eine Passage in die USA ergatterte. Das alles hat er selbst erzählt in seinem 2009 erschienenen Erinnerungsbuch «Selbstbeschreibung», in dem gleichnamigen Film, der mit der Wahrheit der Erinnerung zuweilen gerne ein literarisch-romantisches Vexierspiel treibt, vor allem aber in der grossartigen Filmtrilogie über Flucht und Exil «Wohin und Zurück» aus den 1980er Jahren, unter der meisterhaften Regie von Axel Corti. Als diese Trilogie 2015 wieder in die Pariser Kinos kam, bescherte ihm das den späten und verdienten Triumph in seiner Wahlheimat Frankreich, in Paris. Ein grosses Lehrstück in Sachen Kino, Geschichte, Humanität, so damals Claude Lanzmann.
Das jüdische Milieu
In den USA angekommen, floh Troller abermals. Das Milieu der jüdischen Emigration in New York, wo man, so Troller, bei Sachertorte und Mokka von der Wiener Heimat träumte, raubte dem jungen Mann, der sein Leben lang selbst mit Nostalgie der Wiener Kindheit nachhing, den Atem. Er wurde amerikanischer Soldat, amerikanischer Staatsbürger – den Pass trug er bis zum Lebensende stets bei sich, selbst in der Tasche seines Morgenrocks hatte er ihn zur Hand – und nahm über Sizilien, Österreich bis München und Dachau als Vernehmungsoffizier an der Befreiung Europas teil. Rückkehr in die USA, Studium der Theaterwissenschaften in Los Angeles, aber Ende der 1940er Jahre ist George Steven, das sind jetzt seine offiziellen Namen, dann doch wieder zurück in Europa, in Paris: «Ich hab meine Studien drüben gemacht», sagte er später im Interview, «und bin zurück, sobald ich konnte. Ich wollte an diesem Schicksal Europas Anteil haben, aus Zugehörigkeitsgefühl ...»
Aus der Doktorarbeit an der Sorbonne wird nichts, aber Troller arbeitet fürs amerikanische Radio, produziert deutschsprachige Sendungen, die ins Umerziehungsgebiet Deutschland West ausgestrahlt werden. George konnte stundenlang von diesen Jahren erzählen, ohne sich je zu wiederholen. Und auch von jenem Zufall, der ihn in den fünfziger Jahren von heute auf morgen für die ARD zum Autor des legendären Pariser Journals machte, das er schon in den sechziger Jahren in ein sehr erfolgreiches Buch überführte. In 55 Folgen brachte er im Laufe von fast zwei Jahrzehnten frischen Wind in die noch recht spiessigen deutschen Wohnstuben, indem er ein bohèmehaftes, quicklebendiges und so ganz und gar nicht verklemmtes Paris zeigte – und vor allem dessen Bewohner, von Juliette Gréco bis zum Clochard. Und auch wenn Troller sich im hohen Alter vehement dagegen wehrte, immer nur als Autor des Pariser Journals vorgestellt zu werden, so hat den auch von ihm geträumten Traum von Paris, so der Titel seiner geradezu lyrischen Erinnerungen an Paris aus dem Jahre 2017, immer wieder neu inszeniert.
«Das Fernsehen musste eigens für mich erfunden werden, weil ich sonst keinen Beruf gehabt hätte, der mich befriedigt», meinte Troller späterhin kokettierend. Für das ZDF drehte er bis in die neunziger Jahre 70 «Personenbeschreibungen», die Troller selbst, mit Recht, als sein Hauptwerk ansah. Von Woody Allen und Muhammad Ali über Orson Welles und Catherine Deneuve bis hin zu kleinen Starletts, Massenmördern in der Todeszelle, Vietnamveteranen. Troller hörte ihnen zu, brachte sie dazu, vor der Kamera sie selbst zu sein und blieb selbst stets unsichtbar. Nur seine wunderbar sonore Stimme rhythmisierte diese feinsinnigen filmischen Porträts. Als Menschenfresser hat er sich selbst gelegentlich bezeichnet. Einer, der von anderen wissen wollte, wer sie waren, um am Ende vielleicht zu verstehen, wer er selbst, der aus seiner Heimat Vertriebene, war.
Zwischen Heimaten
Heimat, das war ein Wort, auf das George in den letzten zehn Jahren immer häufiger zurückkam. 2011 versuchte er sich gar als Autor eines modernen Märchenbuchs: «Vogelzug zu anderen Planeten», lautete der Titel – und darin versammelte er Gestalten, die alle aus jener Heimat stammen, die George vielleicht die liebste war, der Kindheit. Der Leser begleitet den Kleinen Prinzen, Max und Moritz, Pinocchio, ja selbst Lolita auf ihren von Troller ausgedachten Reisen und Abenteuern, es geht darin lustig zu, melancholisch, rotzfrech – und doch steht immer die Frage im Hintergrund: Wo gehöre ich hin, wen kann ich lieben und, ja, lohnt es sich zu leben? Mit diesem Buch erfüllte sich für Georg Stefan Troller denn vielleicht doch noch der Traum, den er als Jugendlicher in Wien geträumt hatte: Ein Dichter wollte er werden, ein neuer Heine. An Talent fehlte es ihm wahrhaft nicht. Und es ist kein Zufall, dass er einem seiner erfolgreichsten Parisbücher den Titel «Dichter und Bohémien» gab. In gewisser Weise war er selber beides.
Die Stadt Paris indes, die George Stefan Troller nicht die erträumte Heimat war, der er aber eine ganze Reihe unvergesslicher Reportagen, Filme und Fotografien gewidmet hat und die ihm in seiner kunterbunten Wohnung unterm Dach in der Nähe des Eiffelturms zu Füssen lag, hatte eine Heimat in ihm gefunden, in seinen zahllosen und bezaubernden Paris-Büchern. Sie ist nun, wie wir, die wir Paris mit und durch George liebten und zu sehen gelernt hatten, verwaist.
Jürgen Ritte, Literaturkritiker, Essayist, Übersetzer, war bis 2023 Professor für Literaturwissenschaften an der Université Sorbonne Nouvelle Paris. Er lebt seit 40 Jahren in Paris. – Das Jahrhundertgespräch von Georg Stefan Troller mit Wolf Biermann erschien im Mai im Magazin aufbau.